Kinder- und Jugendmedizin

Kindergesundheit nicht zukunftsfähig aufgestellt – Politik muss jetzt handeln!

Die Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin (DGSPJ) fordert anlässlich ihrer 75. Jahrestagung vom 18.-21.9. in Mannheim die Politik und Gesellschaft dazu auf, künftig den Bedürfnissen von Kindern besonders in den ersten fünf Lebensjahren umfassender Rechnung zu tragen, als dies bisher der Fall war.

26.09.2024

In einer Zeit wachsender sozialer Ungleichheiten, des Fachkräftemangels und steigender gesundheitlicher Herausforderungen bedarf es insbesondere innovativer und sektorenübergreifender Lösungen. Nur dann kann nach Ansicht von DGSPJ-Kongress-Präsident Prof. Thorsten Langer die Chancenungleichheit, in der immer mehr Kinder aufwachsen, verringert werden: „Soziale Ungleichheiten manifestieren sich bereits früh und haben gravierende Auswirkungen auf die Gesundheit und Bildungschancen von Kindern, die kaum mehr aufgeholt werden können.“ Mehr zum Thema, wie Kinder unter der Sparzwängen der Politik leiden unter https://www.dgspj.de/wp-content/uploads/2024-07-05-DGSPJ-PM-HBSC-Studie.pdf (PDF: 219 KB). Daher müssen nach Ansicht der DGSPJ folgende politische Maßnahmen in Gang kommen:

1. Bessere Strukturen schaffen zur Aufdeckung von frühkindlichen Unterstützungsbedarfe 

Die ersten Lebensjahre sind entscheidend für die Entwicklung eines Kindes. Deshalb muss die frühkindliche Bildung so gestaltet werden, dass sie die individuellen Bedürfnisse jedes Kindes berücksichtigt und inklusiv ist. Kinder mit besonderen Förderbedarfen dürfen nicht benachteiligt werden. In den Sozialpädiatrischen Zentren (SPZ), in denen pro Jahr nahezu eine halbe Million kranker oder stark entwicklungsauffälliger Kinder behandelt werden, kommt es durch Personalmangel zu unerträglich langen Wartezeiten von teilweise bis zu einem Jahr. Betroffene Familien und die sie behandelnden Kinder- und Jugendärzt*innen geraten durch die dadurch versäumten Entwicklungschancen extrem unter Druck, beklagt Langer. Denn die langen Wartezeiten als Folge fehlender Behandlungsplätze und von qualifiziertem Personal weit über die SPZ hinaus führen dazu, dass vielen Familien die Zeit für eine frühzeitige erfolgversprechende Behandlung davonläuft und die gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe der betroffenen Kinder gefährdet ist.

2. Eine ausreichende Finanzierung sicherstellen und innovative Konzepte fördern

DGSPJ Co-Präsident Prof. Volker Mall fordert daher eine ausreichende Finanzierung und gezielte Förderung innova ver, sektorenübergreifender Angebote. Das ist bisher nicht der Fall, wie ebenfalls am Beispiel der SPZ deutlich wird. Immerhin 3,5 Prozent aller Kinder und Jugendlichen in Deutschland werden in den SPZ multiprofessionell und interdisziplinär sozialpädiatrisch mitbehandelt und betreut. Dafür werden lediglich ca. 0,1 Prozent der Versichertenbeiträge aufgebracht. Die SPZ-Finanzierung durch die GKV ist nicht teuer, reicht aber zugleich als effektive Investition in die sozialmedizinische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen auch nicht aus, kritisiert Mall.

Insbesondere die Unterfinanzierung der sozial- und heilpädagogischen Behandlungen von Kindern und Jugendlichen in SPZ ist aktuell – gemessen am gesellschaftlichen Wandel – kaum noch vertretbar. Dies sei politisch eigentlich erkannt und folgerichtig der Ausbau der SPZ im Koalitionsvertrag verankert, nur seien dieser Absichtserklärung noch keine Taten gefolgt. Mehr zum Thema unter https://www.dgspj.de/wp-content/uploads/2024-08-14-DGSPJ-PM-BAG-Therapeutinnen.pdf (PDF: 557 KB). Innovative Voraschläge für Verbesserungen liegen auf dem Tisch. Etwa eine rasche und bundeseinheitliche dauerha e Sicherstellung der Finanzierung nichtärztlicher sozialpädiatrischer Leistungen für die ambulante Behandlung oder die Implementierung neuer sektorübergreifender Versorgungskonzepte. Wie bei der Krankenhausfinanzierung ist zudem für die SPZ die Refinanzierung von Fixkosten bzw. Vorhaltekosten überfällig.

3. Prävention und Gesundheitskompetenz stärken

Eine nachhaltige Prävention muss bereits in der frühen Kindheit beginnen. DGSPJ-Co-Präsidentin Prof. Heidrun Thaiss fordert daher, dass Prävention und die Förderung von Gesundheitskompetenz endlich einen zentralen Platz in der frühkindlichen Bildung und im Schulalter einnehmen müssen. Mehr zum Thema https://www.dgspj.de/wp-content/uploads/2023-09-DGSPJ-PM-nationale-praeventionsstrategie.pdf (PDF: 221 KB).

Und zwar durch:

Zudem sei, so Thaiss, die Stärkung der Kinder- und Jugendgesundheitsdienste im Rahmen der Umsetzung des Pakts für den Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) seit langem überfällig. Mehr zum Thema unter https://www.dgspj.de/wp-content/uploads/2023-05-25-DGSPJ-pakt-fuer-den-oegd-wo-bleiben-die-kinder.pdf (PDF: 621 KB).

4. Mehr Partizipation von Patienten und Familien ermöglichen

Obwohl Patient*innen und Eltern mit ihrem täglich erlebten Erfahrungswissen um die Krankheit ihrer Kinder häufig kompetente Experten in eigener Sache sind, werden sie oft nur unzureichend und nicht auf Augenhöhe beteiligt. Mit chronic care Modellen, shared-decision-making-Konzepten oder Patientenschulungen können Patienten jedoch spürbar in ihrer Verantwortung und Autonomie gestärkt werden. Damit kann das „Machtgefälle zwischen professionellen Behandlern und Patienten besser ausbalanciert werden“, ist Langer überzeugt. Wie dies erfolgreich praktiziert werden kann, soll die Premieren-Veranstaltung „Beteiligung von Patienten und Familien in der Forschung“ auf dem DGSPJ-Kongress in Mannheim deutlich machen. Nach Ansicht von Kongress-Präsident Langer kann „ernstgemeinte Beteiligung in der Forschung nur dann funktionieren, wenn sie auf Augenhöhe passiert.“

Fazit

Die Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin hält es für dringend erforderlich, mit diesen und vielen weiteren konkreten Maßnahmen jetzt die richtigen Weichen für eine bessere und gezieltere Gesundheitsversorgung von Kindern und Jugendlichen zu stellen. Nur dann wird es gelingen, gerade auch Kindern mit Entwicklungsauffälligkeiten oder Kindern aus bildungsfernen Familien – unabhängig von ihrer sozialen Herkunft – bessere Chancen auf eine gesunde und nachhaltige Entwicklung zu ermöglichen.

Quelle: Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin (DGSPJ) vom 16.09.2024

Redaktion: Paula Joseph

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