Jugendforschung

Keine Spur von Ostalgie

Eine Studie der Ruhr-Universität Bochum untersucht das DDR-Bild von thüringischen Schülern und kommt zu dem Ergebnis: Ostdeutsche Jugendliche verharmlosen den SED-Staat nicht.

15.11.2013

Was weiß die nachkommende Generation über die die deutsche Geschichte? Diese Frage ist seit jeher ein Politikum. Dementsprechend schlug eine Studie 2008 große Wellen, als sie verkündete, dass ostdeutsche Schülerinnen und Schüler die DDR verklären und ihr nostalgisch gegenüberstehen. In einer aktuellen Untersuchung geht RUB-Geschichtswissenschaftlerin Kathrin Klausmeier dem Thema erneut auf die Spur - und kommt zu einem ganz anderen Ergebnis: Ostdeutsche Schüler haben durchaus ein Bewusstsein dafür, dass in der DDR nicht alles in Ordnung war. RUBIN, das Wissenschaftsmagazin der Ruhr-Universität, berichtet über ihre Studie, in der Klausmeier 750 thüringische Schüler zu ihrem DDR-Bild befragt hat.

Strukturgeschichtliche Denken fällt schwer

In Klausmeiers 13-seitigem Fragebogen kommen unter anderem sogenannte Dilemmafragen zum Einsatz: Werden die Schüler gefragt, ob sie die Kinderbetreuung in der DDR besser als heute beurteilen, stimmen die meisten von ihnen zu. Ohne über die Konsequenzen nachzudenken: Kinderbetreuung in der DDR bedeutete nämlich gleichzeitig, dass die Kinder ideologisch erzogen wurden. Hakt man also in einer weiteren Frage nach, ob man diese ideologische Erziehung für eine garantierte Kinderbetreuung akzeptieren würde, lehnen das die Schüler ab. Plötzlich zeigt sich ein ganz anderes Bild; die Schüler sagen: "Das will ich dann doch nicht!" - obwohl es um dieselbe Sache geht. "Das strukturgeschichtliche Denken fällt den Schülern schwer", folgert Kathrin Klausmeier. Die Schüler sind nicht "ostalgisch", sondern haben zum Teil Schwierigkeiten, zwei Seiten - sozusagen Vor- und Nachteile - eines bestimmten Aspekts in ihrem Urteil zu berücksichtigen.

Konträre Deutungsangebote

Ein weiteres Ergebnis von Klausmeiers Studie ist, dass sich das DDR-Bild von west- und ostdeutschen Schülern gar nicht so stark unterscheidet, wie man annehmen mag. Der Unterschied liegt im biografischen Zugang der ostdeutschen Schüler, deren Eltern meist Zeitzeugen der DDR sind. Berichten diese aus ihrem damaligen Alltag, geht es verstärkt um Kindheitserfahrungen oder Freundschaften - Dinge, die auch in einer Diktatur positiv empfunden werden können. Die Schüler begegnen der DDR in Familiengesprächen also als dem Heimatland ihrer Eltern und somit auf einer emotionalen und familiär-loyalen Ebene. Ganz im Gegensatz zu dem DDR-Wissen, das im Unterricht vermittelt wird: Dieses wird von den Schülern häufig als "hart"
empfunden; oft geht es um die DDR als Diktatur und Stasi-Staat. "Für Schüler ist es schwierig, diese konträren Deutungsangebote miteinander zu verknüpfen und einzuordnen", so Klausmeier.

Mangelnde Begriffskompetenz

In Einzelinterviews stellte Klausmeier zudem fest, dass bestimmte Begriffe nicht richtig verstanden werden. Rund jeder Fünfte der thüringischen Schüler beantwortete beispielsweise die Frage, ob die DDR eine Diktatur war, mit Nein. Bei der Frage, ob es in der DDR freie Wahlen gab, verneinte über die Hälfte dieses Fünftels. Wie passen diese widersprüchlichen Zahlen zusammen? "In den Einzelinterviews habe ich bei den Schülern nachgefragt, was eigentlich Diktatur bedeutet", erklärt Klausmeier. "Dabei zeigte sich, dass sie den Begriff Diktatur in erster Linie mit der NS-Zeit verbinden. Daran wird gemessen, ob andere Staaten Diktaturen sind." Hier mangelt es also an Begriffskompetenz, was aber kein typisch ostdeutsches Problem ist.

Geschichtsunterricht ist gefordert

Voraussichtlich im Herbst 2014 wird Kathrin Klausmeier die Ergebnisse ihrer Studie als Promotionsschrift veröffentlichen. Und damit deutlich machen, dass sich ostdeutsche Schüler keineswegs die DDR zurückwünschen. Vielmehr ist der Geschichtsunterricht gefragt, um sie dabei zu unterstützen, Begriffe richtig zu verstehen, verschiedene Deutungsangebote sinnvoll zu verknüpfen und Geschichte kritisch zu hinterfragen.

Vollständiger Beitrag mit Bildern

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Quelle: Ruhr-Universität Bochum

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