Jugendpolitik
Jugendpolitik für Europa. Die Umsetzung der EU-Jugendstrategie in Deutschland – Bilanz und Ausblick
„Europa“ stärker in der deutschen Kinder- und Jugendhilfe zu verankern – das war ein wesentliches Ziel der Umsetzung der EU-Jugendstrategie von 2010-2018 in Deutschland. Wie gut dies gelang und welche Herausforderungen bestanden, zeigt ein Forscherinnenteam am Deutschen Jugendinstitut (DJI).
30.06.2020
Wenn man neue Wege gehen will, muss man sich von traditionellen Mustern lösen. Genau das wurde in den Jahren 2010 bis 2018 versucht, als in Deutschland die EU-Jugendstrategie umgesetzt werden sollte. Mit der gemeinsamen Strategie einigten sich alle Länder der Europäischen Union darauf, die Lebenssituation junger Menschen zu verbessern. Unter anderem sollte die Chancengleichheit bei Bildung und Arbeit erhöht sowie politische und gesellschaftliche Partizipationsmöglichkeiten verbessert werden. Statt wie bisher in der Jugendpolitik auf eine ausschließliche Projektförderung zu setzen, machten sich Bund, Länder, öffentliche und freie Träger mit der EU-Jugendstrategie zum Ziel, „Europa“ stärker in der deutschen Kinder- und Jugendhilfe zu verankern. Wie gut dies gelang und welche Bedingungen positive Ergebnisse begünstigen, untersuchte ein Forscherinnenteam am Deutschen Jugendinstitut (DJI).
Das Innovative an der Umsetzung der EU-Jugendstrategie waren die neu geschaffenen Koordinationsstrukturen, an denen alle föderalen Ebenen nach dem Multi-Level-Governance-Modell beteiligt waren: Als Hauptgremium wurde eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe ins Leben gerufen. Öffentliche und freie Träger waren über einen Beirat des Bundes involviert (Baumbast u.a. 2015). Zudem wurden weitere regionale und kommunale Akteure einbezogen (Hofmann-van de Poll u.a. 2019). Die Evaluation des DJI zeigt, dass drei Faktoren die Zusammenarbeit der Akteure wesentlich beeinflussten: die Ausgestaltung der partnerschaftlichen Koordinationsstruktur, die genutzten Kommunikationswege und das zugrundeliegende Politikverständnis der einzelnen Beteiligten. Wenn vermieden werden soll, dass sich einzelne Akteure aus dem Prozess zurückziehen, müssen Kooperation und Abstimmung in allen drei Bereichen gelingen (Hofmann-van de Poll/Pelzer 2018a).
Die Erfolge werden kaum wahrgenommen
Die Umsetzung der EU-Jugendstrategie war – trotz herausfordernder Bedingungen – in vielerlei Hinsicht erfolgreich. Dennoch wird dieser Erfolg von den beteiligten Akteuren kaum wahrgenommen. Denn aufgrund der geringen Resonanz und Anerkennung, die die europäische Jugendpolitik von anderen Politikfeldern erfährt, drängt sich den Akteuren selbst immer wieder die Frage nach der Legitimation des Engagements für die Umsetzung europäischer Jugendpolitik auf. Letztlich befindet sich diese zumindest in Teilbereichen in einem Nicht- bzw. Spannungsverhältnis zu nationalen und lokalen Jugendpolitiken (Hofmann-van de Poll/Pelzer 2018b).
Ein langjähriger Prozess wie die EU-Jugendstrategie braucht zunächst allerdings Raum im Sinne von Zeit und personellen Ressourcen, ohne dabei die oft erwarteten kurzfristigen Ergebnisse zu liefern. In diesem Spannungsfeld fiel es den Akteuren offensichtlich schwer, die letztendlich positiven Resultate wahrzunehmen (Hofmann-van de Poll/Pelzer 2018b). Mit der Umsetzung der EU-Jugendstrategie in Deutschland wurde die Jugendpolitik nicht nur inhaltlich verändert, sondern es wurden auch neue Formen der Zusammenarbeit angestoßen. Diese Erfahrungen sollen in der neu gestarteten EU-Jugendstrategie in den Jahren 2019 bis 2027 eingebracht und weiterentwickelt werden. Unter anderem diskutieren Bund und Länder darüber, eine Plattform zur Koordination europäischer Jugendpolitik in Deutschland einzurichten, um damit eine bessere Möglichkeit zum Austausch für alle Akteure zu schaffen. Die Forscherinnen am DJI lieferten wichtige Anregungen zu dieser Weiterentwicklung der EU-Jugendstrategie.
Ihre Expertise nutzen sie darüber hinaus seit April 2019 zum Aufbau einer „Arbeitsstelle europäische Jugendpolitik“, in der von 2019 bis 2022 Europäische Jugendpolitik systematisch erforscht werden soll. Inhaltlich liegt der Fokus in den ersten Jahren auf den Themen „Youth Work“ und „Demokratie“.
Hintergrundinformationen
Das DJI-Projekt »Wissenschaftliche Begleitung der Umsetzung der EU-Jugendstrategie in Deutschland«
Das DJI-Projekt hat die Umsetzung der EU-Jugendstrategie in Deutschland von 2010 bis 2018 wissenschaftlich begleitet und evaluiert. Der inhaltliche Schwerpunkt der Evaluation lag einerseits auf den strukturellen Prozess der Zusammenarbeit zwischen den Akteuren, insbesondere von Bund und Ländern. Andererseits wurden die inhaltlichen Ergebnisse des Prozesses untersucht. Im Rahmen der Studie wurden die involvierten Akteure in den Jahren 2012 und 2015 in qualitativen leitfadengestützten Interviews befragt. Zwei Gruppendiskussionen mit ausgewählten Akteuren in den Jahren 2017 und 2018 rundeten die Datenerhebung ab. Zusätzlich wurden Sitzungsprotokolle und Beobachtungen ausgewertet und ergänzend zu den Primärdaten herangezogen. Die inhaltsanalytische Datenauswertung bezog sich entsprechend der thematischen Schwerpunkte auf eine strukturelle und eine inhaltliche Analyseebene. Im Sinne einer formativen Evaluation wurden die (Zwischen-)Ergebnisse der DJI-Studie mit den Akteuren diskutiert und somit eine Weiterentwicklung des Prozesses angestoßen. www.dji.de/eu-jugendstrategie
Die neue DJI-Arbeitsstelle: Europäische Jugendpolitik systematisch erforschen
Mit den jugendpolitischen Entwicklungen auf europäischer Ebene, insbesondere der Fortführung der EU-Jugendstrategie sowie jugendpolitischen Anstößen innerhalb des Europarates, ist der Bedarf nach systematischen Wissensbeständen gewachsen. Aufgabe der Arbeitsstelle „Europäische Jugendpolitik“ des Deutschen Jugendinstituts (DJI) ist es, relevante Fragestellungen zu europäischen jugendpolitischen Themen zu erforschen. Zudem liefert sie wissenschaftliche Beiträge zur europäischen Sozialberichterstattung der Bundesregierung und bereitet die wissenschaftlichen Ergebnisse so auf, dass diese auch in Politik und Praxis genutzt werden können. Die Arbeitsstelle wird zunächst für drei Jahre (2019 bis 2022) durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) finanziert. www.dji.de/aejp
Weitere Informationen zu europäischer Jugendpolitik, der EU-Jugendstrategie und ihrer Umsetzung in Deutschland finden sich außerdem auf dem Fachkräfteportal der Kinder- und Jugendhilfe und unter www.jugendpolitikineuropa.de
Über die Autorinnen
Frederike Hofmann-van de Poll ist seit dem Jahr 2010 wissenschaftliche Referentin in der Abteilung „Jugend und
Jugendpolitik“ am Deutschen Jugendinstitut (DJI) und setzt sich insbesondere mit den Forschungsthemen Governance, Youth Work sowie internationale und europäische Jugendpolitik auseinander. Kontakt: fhofmann@dji.de
Marit Pelzer ist seit dem Jahr 2018 wissenschaftliche Referentin in der DJI-Abteilung „Jugend und Jugendpolitik“ mit den Schwerpunkten Youth Work, europäische Jugendpolitik und Inklusion. Kontakt: mpelzer@dji.de
Literatur
BAUMBAST, STEPHANIE / HOFMANN-VAN DE POLL, FREDERIKE / RINK, BARBARA (2015): Wissenschaftliche Begleitung der Umsetzung der EU-Jugendstrategie in Deutschland. Abschlussbericht der ersten Projektphase. München
HOFMANN-VAN DE POLL, FREDERIKE / PELZER, MARIT (2018a): Acht Jahre Bund-Länder Zusammenarbeit im Bereich europäischer Jugendpolitik. Möglichkeiten, Chancen und Herausforderungen. Vortrag am 07.11.2018 in Berlin
HOFMANN-VAN DE POLL, FREDERIKE / PELZER, MARIT (2018b): Acht Jahre Umsetzung der EU-Jugendstrategie in Deutschland. Ergebnisse, Spannungsfelder und Perspektiven. Vortrag am 08.11.2018 in Berlin
HOFMANN-VAN DE POLL, FREDERIKE / RIEDLE, STEPHANIE / FRIEDRICH, PATRICIA (2019): Transferring European youth policy into local youth policy. In: Youth & Policy, 15.02.2019, Open Access Journal
Weitere Informationen zu europäischer Jugendpolitik, der EU-Jugendstrategie und ihrer Umsetzung in Deutschland finden sich außerdem auf dem Fachkräfteportal der Kinder- und Jugendhilfe http://www.jugendhilfeportal.de/jugendstrategie und unter www.jugendpolitikineuropa.de
Quelle: Deutsches Jugendinstitut e.V.
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