Gesundheit

Jugendarbeit und psychisches Wohlbefinden

Die Verbesserung der Verhältnisse für junge Menschen und diejenigen, die sie unterstützen, ist eines der Ziele der 42 Jugendorganisationen, die im internationalen Netzwerk von Generation Europe – The Academy aktiv sind. Marthe Behr, Kuldar Lilleõis und Leonie Reif beleuchten diese Krisensituation und fordern dringende Maßnahmen zur Verbesserung der psychischen Gesundheit und Arbeitsbedingungen.

31.05.2024

Wie sieht es mit dem Wohlbefinden und der psychischen Gesundheit derjenigen aus, die am Programm beteiligt sind? Um das herauszufinden, hat eine Arbeitsgruppe Umfragen unter den teilnehmenden Projektmanager*innen, Jugendleiter*innen und Ambassadors durchgeführt. Im folgenden Bericht setzen Marthe Behr, Kuldar Lilleõis und Leonie Reif die Ergebnisse in einen Kontext, und formulieren Forderungen zur Lösung der Probleme.

Fakten zur Krise der psychischen Gesundheit

Die Jugend gilt bei vielen Menschen als die Hochphase des Lebens. Jung sein wird oft mit Freiheit assoziiert. Diese Assoziation geht mit der Vorstellung feiernder junger Menschen einher, die selbstbewusst sind und das Leben genießen. Tatsächlich sieht die Realität für viele junge Menschen jedoch anders aus.

Fast jeder fünfte europäische Junge im Alter von 15 bis 19 Jahren leidet an einer psychischen Störung, und mehr als 16 Prozent der Mädchen im gleichen Alter. Neun Millionen Jugendliche in Europa im Alter von 10 bis 19 Jahren leben mit psychischen Störungen, wobei Angstzustände und Depressionen mehr als die Hälfte aller Fälle ausmachen. Suizide sind laut UNICEF die zweithäufigste Todesursache bei Jugendlichen in der EU. Eine beeinträchtigte psychische Gesundheit ist das drängendste Gesundheitsproblem für junge Menschen in Europa.

Anfang des vergangenen Jahres hat die American Psychiatric Association (APA) eine Krise der psychischen Gesundheit junger Menschen ausgerufen. Nach zwei Jahren der Pandemie und ihrer gesundheitlichen, sozialen und wirtschaftlichen Folgen ist das für viele von uns wahrscheinlich nicht allzu überraschend. Nahezu alle Jugendlichen waren mit sozialer Isolation und Unterbrechungen in Schule und Ausbildung konfrontiert, viele verloren Bezugspersonen, erlebten, dass ein Elternteil seinen Arbeitsplatz verlor, oder wurden zu Hause körperlich und emotional misshandelt. Doch was während der Pandemie zutage trat, ist nur die Spitze des Eisbergs. Zusätzlich zu all den Schwierigkeiten, die die Pandemie verursacht hat, wächst die Besorgnis hinsichtlich sozialer Medien, Gewalt, Naturkatastrophen, Klimawandel und politischer Polarisierung. Nicht zu vergessen ist, dass auch das Erwachsenwerden selbst eine Herausforderung sein kann. Jugendliche und Heranwachsende befinden sich in einer Phase des Übergangs und müssen sich an eine Vielzahl von Veränderungen anpassen. Dies erhöht die Anfälligkeit für psychische Probleme.

Jugendliche im Generation-Europe-Netzwerk

In unserem Netzwerk von Generation Europe – The Academy erleben wir, was die Forschung zeigt: Bei unserem Symposium „Jugendarbeit in Europa: Mission (un)möglich?“, das im November 2023 in Deutschland stattfand, haben wir junge Menschen aus Europa eingeladen, ihre Gedanken und Gefühle zum Thema psychische Gesundheit zu teilen. Es wurde deutlich, dass sich zu viele junge Menschen unter Druck gesetzt und gestresst fühlen, was sich in einer erhöhten Burnout-Wahrscheinlichkeit bei Jugendlichen niederschlägt. Akademischer Druck und gesellschaftliche Erwartungen erwiesen sich als wesentliche Stressfaktoren. Diese psychischen Probleme können sich auch auf das körperliche Wohlbefinden der jungen Menschen auswirken.

Für die jungen Menschen schafft das Stigma, das mit dem Thema psychischer Gesundheit verbunden ist, ein Umfeld, in dem sie sich unzulänglich oder nicht unterstützt fühlen. Sie berichten von einem Mangel an Angeboten für emotionale Bildung und an Strategien zur Stärkung von Resilienz sowie der Fähigkeit, mit Stress umzugehen. Darüber hinaus fühlen sie sich mit unzureichenden Unterstützungssystemen konfrontiert, sowohl in den Schulen als auch in der Gemeinschaft insgesamt. Lange Wartezeiten für spezialisierte Hilfe außerhalb etablierter Einrichtungen verschärfen zusätzlich die Herausforderungen, mit denen junge Menschen konfrontiert sind, die Hilfe suchen.

Jugendarbeit als Unterstützungssystem

Es ist normal, dass Heranwachsende Höhen und Tiefen erleben. Doch für eine wachsende Zahl junger Menschen ist das Gleichgewicht zwischen Höhen und Tiefen aus den Fugen geraten. Dies ist auch eine Herausforderung für diejenigen, die mit jungen Menschen arbeiten. Non-formale Bildung und Jugendarbeit können junge Menschen in ihrer Entwicklung stärken. Aber junge Menschen in Krisen haben einen noch größeren Bedarf an Unterstützung und Begleitung. Sie brauchen und verdienen Fachkräfte, die in der Lage sind, angemessene Hilfsangebote anzubieten. Leider sehen wir in der Praxis, dass viele Fachkräfte selbst durch eine enorme Arbeitsbelastung, weit verbreitete Unterbezahlung und fehlende Angebote zur Aus- und Weiterbildung herausgefordert sind.

Umfragen, die wir im Rahmen des Netzwerks von Generation Europe – The Academy durchgeführt haben, zeigen, dass fast alle Fachkräfte unter einer hohen Arbeitsbelastung leiden. Die meisten von ihnen sind sehr unzufrieden mit ihrer Arbeitsbelastung und der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, da sie immer oder meistens nicht in der Lage sind, in ihrer Freizeit von der Arbeit abzuschalten. Für viele Fachkräfte der Jugendarbeit ist es normal, Überstunden zu machen, auch ohne zusätzliche Bezahlung. Wochenendarbeit? Nichts Besonderes.

Es überrascht nicht, dass 30 Prozent der Fachkräfte angeben, dass ihre Arbeit negative Auswirkungen auf ihr Wohlbefinden hat. Mehr noch: Jede*r Fünfte gibt an, unter einer schlechten oder sehr schlechten psychischen Gesundheit zu leiden. Als vielseitiges Berufsfeld stellt die Jugendarbeit viele Anforderungen an diejenigen, die in diesem Bereich arbeiten. Die Fachkräfte müssen nicht nur soziale Fähigkeiten und Fertigkeiten mitbringen, sondern auch in der Lage sein (internationale) Projekte zu leiten, planen und zu koordinieren, die Finanzierung zu sichern, Netzwerk- und Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben und nicht selten auch ein Team zu leiten. Das erfordert eine Vielzahl von Kompetenzen und geht mit einer großen Verantwortung einher. Und doch stellen wir fest, dass jede dritte Jugendarbeiterin und jeder dritte Jugendarbeiter im Netzwerk über keine einschlägige Ausbildung in diesem Bereich verfügt. Nur wenige Fachkräfte haben Zugang zu Supervision und Fortbildung. Dies ist eine inakzeptable Situation in Zeiten rasch wachsender Herausforderungen für junge Menschen und ihr Unterstützungssystem.

Was sich ändern muss

Die psychische Gesundheit der Jugendlichen in Europa und der Fachkräfte im Bereich der Jugendarbeit ist ein wichtiges Thema, das sofortige Aufmerksamkeit erfordert. Die Krise der psychischen Gesundheit muss endlich ernst genommen werden, und psychische Erkrankungen müssen weiter entstigmatisiert werden. Junge Menschen müssen einen einfachen Zugang zu einem Unterstützungssystem erhalten, das einen offenen Dialog ermöglicht, die Resilienz fördert und in Krisensituationen schnelle Hilfe bietet. Daraus werden die folgenden acht dringendsten Forderungen abgeleitet:

  1. Implementierung von Strategien für die emotionale Erziehung, um den Menschen, einschließlich der Jugendlichen, Instrumente an die Hand zu geben, mit denen sie Stress und Druck wirksam bewältigen können.
  2. Förderung starker gemeinschaftlicher und sozialer Unterstützungsnetze, um sicherere Räume für junge Menschen zu schaffen, in denen sie sich offen mit ihrer psychischen Gesundheit auseinendersetzen und darüber diskutieren können.
  3. Einsatz für einen verbesserten Zugang zu angemessenen Aus- und Weiterbildungsangeboten für Fachkräfte der Jugendarbeit, um den Bedürfnissen junger Menschen in Bezug auf psychische Gesundheit gerecht zu werden.
  4. Verbesserung und Professionalisierung der Strukturen der Jugendarbeit in Europa durch langfristige finanzielle Unterstützung, professionelle Ausbildung und Supervisionsdienste.
  5. Der wachsenden Arbeitsbelastung und den unbefriedigenden Arbeitsbedingungen in der Jugendarbeit mit mehr geschultem Personal und fairer Bezahlung entgegenwirken.
  6. Einsatz für zugängliche therapeutische Ressourcen, einschließlich der Verfügbarkeit von Therapeut*innen, um Menschen in Not zu unterstützen.
  7. Initiierung und Unterstützung von Sensibilisierungskampagnen, um das Stigma abzubauen, das mit dem Themenfeld der psychischen Gesundheit verbunden ist. Schaffung eines neuen Narrativs für Erfolg im Leben und in der Bildung, das jenseits von Schulnoten eine umfassendere Sichtweise fördert.

Weitere Informationen

  • Generation Europe – The Academy ist ein internationales Netzwerk von Jugendorganisationen und ein vom IBB e.V. koordiniertes Förderprogramm für europäische Zusammenarbeit. Mehr als 40 Organisationen aus 14 europäischen Ländern sind beteiligt. Sie arbeiten in trilateralen Partnerschaften zusammen, um soziale Teilhabe zu ermöglichen – und zwar unabhängig von Herkunft, Einkommen der Eltern und bisherigem Erfolg im formalen Bildungssystem. Mehr Infos: generationeurope.org
  • Das Internationale Bildungs- und Begegnungswerk (IBB e.V.) ist eine institutionell und politisch unabhängige Non-Profit-Organisation mit Sitz in Dortmund. Das IBB fördert Demokratie und Partizipation durch Zusammenarbeit auf Augenhöhe über Ländergrenzen hinweg. Es vernetzt zivilgesellschaftliche Akteurinnen und Akteure, schafft Lern- und Erinnerungsorte, entwickelt Seminare, Fortbildungen, Projekte und Förderprogramme für Nichtregierungsorganisationen, Jugendliche und Erwachsene. Das IBB arbeitet auf verschiedenen Ebenen mit erfahrungs- und erlebnisorientierten Methoden, häufig an authentischen Orten des geschichtlichen und politischen Geschehens. Mehr Infos: ibb-d.de

Quelle: Internationales Bildungs- und Begegnungswerk (IBB e.V.) vom 27.05.2024

Redaktion: Paula Joseph

Back to Top