Interviewreihe Fachkräftemangel

Im Gespräch – Erzieher in Ausbildung

Jan W. befindet sich im zweiten Jahr seiner Ausbildung zum Erzieher an einem Berufskolleg in Ostwestfalen-Lippe. Nach über zwanzig Jahren Vollzeittätigkeit in einem anderen Beruf entschied er sich nach einer persönlichen Krise dazu, eine Ausbildung zum Erzieher zu beginnen. Im Gespräch berichtet er von seinen Beweggründen, den Beruf zu wechseln, und den Hoffnungen, die er mit der neuen Tätigkeit verbindet.

24.01.2024

Interview 2/5 – Erzieher in Ausbildung (42 Jahre) aus Ostwestfalen-Lippe

Im Gespräch

Erzählen Sie doch mal…

„Ich bin männlich, 42 Jahre alt und absolviere derzeit meine Ausbildung zum Erzieher an einem Berufskolleg. Ich habe zwei leibliche Kinder und ein Stiefkind, alle drei jugendlich. Ich befinde mich im zweiten Jahr dieser Ausbildung in Vollzeit und mein Anerkennungsjahr beginnt im August 2024. Dieses werde ich voraussichtlich in einer Wohngruppe nach §34 SGB VIII machen. 23 Jahre habe ich als Mediengestalter und Werbetechniker in Vollzeit gearbeitet und habe mich nach einer Krise endlich dazu entschieden, den Schritt zu gehen, die Ausbildung zu beginnen. Der Wunsch keimte schon sehr, sehr lange in mir, den Mut zu diesem Schritt fand ich aber erst in dieser schwierigen Lebensphase. Bisher habe ich zwei Praktika absolviert. Zum einen in einer Bauernhof-Kita und zum anderen in einer Tagesgruppe nach §32 SGB VIII.“

Was hat Sie dazu bewogen, die Ausbildung zum Erzieher zu beginnen?

„Den Beruf des Mediengestalters habe ich grundsätzlich sehr gerne gemacht, jedoch hatte ich schon lange das Gefühl, dass ich mich sinnvoller einbringe, wenn ich mit Menschen arbeiten kann. Während meines Zivildienstes in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung merkte ich zum ersten Mal, wie viel Freude mir die Arbeit im sozialen Bereich macht und wie sinnstiftend sie sein kann. Der Wunsch, Erzieher zu sein, meldete sich immer wieder mal, ich schob ihn aber immer wieder weg. Bis es eben nicht mehr anders ging und ich in dieser persönlichen Krise die mutige Entscheidung traf, den Schritt zu wagen. Allerdings darf nicht unerwähnt bleiben, dass es ohne die Möglichkeit der Inanspruchnahme des Aufstiegs-BaFög für mich nicht möglich gewesen wäre, diesen Weg einzuschlagen.“

Welche Wünsche und welche Hoffnungen verbinden Sie mit Ihrem neuen Beruf?

„Es klingt vielleicht naiv, aber ich wünsche mir, dass ich etwas bewegen kann. Ich erhoffe mir, dass meine Begeisterung dafür, mit jungen Menschen zu arbeiten, nicht so schnell verfliegt. Ich tue das wirklich so gerne, ich sehe so viel Sinn darin und es macht mir so viel Freude. Ich hoffe, dass dieser Enthusiasmus trotz aktueller Widrigkeiten wie dem Fachkräftemangel oder der finanziellen Situation mancher Träger nicht so schnell vergeht. Ich wünsche mir, dass ich nicht abstumpfe und das Ganze dann 'nur als Job' ansehe.“

In welchem speziellen Arbeitsfeld möchten Sie später einmal Fuß fassen?

„Für mich steht fest, dass ich nicht in den Kita-Bereich möchte, sondern unbedingt in die stationäre Jugendhilfe. Gerne möchte ich in einer Wohngruppe nach § 34 SGB VIII arbeiten und deswegen dort auch schon mein Anerkennungsjahr absolvieren. Mein Praktikum in der Kita hat mir in beiden Blöcken gut gefallen. Ich merke jedoch in meinem jetzigen Praktikum in einer Tagesgruppe nach § 32 SGB VIII, dass ich die Elternarbeit und die Zusammenarbeit mit dem Jugendamt sehr spannend finde. Für mich fühlt es sich passender an, in den Hilfen zur Erziehung mit Kindern ab dem Grundschulalter zu arbeiten.“

Was denken Sie über den Fachkräftemangel? Wird dieses Problem in der Schule und im Unterricht thematisiert?

„Ja, in der Schule wird der Fachkräftemangel absolut thematisiert. Nach den Praktikumsblöcken berichteten meine Mitschüler*innen häufig, dass sie ihre Praktikumsaufgaben nicht bewältigen konnten, da es an Zeit bzw. Mitarbeitenden fehlte. Von meinen 26 Mitschüler*innen berichteten fünf bis sieben Personen von derartigen Umständen. Fatal finde ich daran, dass es für uns Lernende nicht nur Pflichtaufgaben sind, die wir „erledigen“ müssen, sondern es fehlt dann eben gleichzeitig an wertvollen Erfahrungen, die wir nicht machen können. Dies ist nicht die Schuld der entsprechenden Einrichtung oder dem vor Ort arbeitenden Personal, sondern an anderer Stelle zu verantworten. Einige meiner Mitschüler*innen fühlen sich schon jetzt nicht richtig auf den Beruf vorbereitet, eben genau aufgrund dieser Erfahrungen. Seitens der Schule wird uns immer wieder Mut gemacht, dahingehend, dass wir sehr gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben werden.“

Was könnten Ihrer Meinung nach Strategien gegen den Fachkräftemangel sein?

„Grundsätzlich habe ich Gefühl, dass es schon viele Menschen gibt, die den Beruf der Erzieher*in gut und auch sehr gerne machen. Wenn jedoch das Gefühl seitens der Mitarbeitenden entsteht, der „Befehlsempfänger“ des Trägers zu sein und eine Mentalität des „seht zu, wie ihr das hinbekommt“ herrscht, brennen viele aus. Es gibt meiner Erfahrung nach Träger, die wissen, wie sie die Arbeitsbedingungen so attraktiv gestalten, dass es in den zugehörigen Einrichtungen keinen Mangel an Personal gibt. Ich finde, dass Arbeiten auf Augenhöhe und eine gute Kommunikation zwischen Träger und Mitarbeitenden sehr wichtige Kriterien für die Zufriedenheit der Beschäftigten sind. Natürlich gibt es politisch ursächliche Dinge, wie zum Beispiel Finanzierungen bzw. Einsparungen, an denen auch der beste Träger erst einmal nichts ändern kann. Dennoch habe ich erlebt, dass es in Teams ein gutes Arbeitsklima geben kann, weil mit diesen Dingen einfach sehr transparent umgegangen wird und versucht wird, Lösungen für Probleme zu finden. Ich denke, das Gefühl der Wertschätzung seitens des Arbeitgebers in Form von Anhören, Ernstnehmen, Lösungen finden und offener Kommunikation ist unter anderem eine Strategie gegen den Fachkräftemangel, die die Träger selbst in der Hand haben.“

Bereitet Ihnen der Blick in die berufliche Zukunft aufgrund des Fachkräftemangels Sorge?

„Jein. Leider bin ich jemand, der es kennt, in einem Wirtschaftsunternehmen sehr an seine Grenzen und auch längere Zeit darüber hinauszugehen. Nach meiner Krise, die ich oben erwähnte, habe ich gelernt, besser einschätzen zu können, wann welche Grenzen erreicht sind. Ich schaffe es mittlerweile mal mehr, mal weniger, aber generell doch gut, diese Grenzen einzuhalten und für mich zu setzen. Ich hoffe und bin mir aber generell recht sicher, dass ich das Gelernte auch zukünftig in meinem Beruf gut anzuwenden weiß. Soweit die persönliche Seite. Mit Sorge betrachte ich allerdings die Tatsache, dass es immer schwierigere Fälle mit immer größeren Bedarfen in der Jugendhilfe gibt. Durch Familie und Freunde, die im sozialen Bereich tätig sind, erfahre ich immer häufiger, dass es durch fehlendes Personal dazu kommt, den Bedarfen der Kinder nicht mehr gerecht zu werden. Das ist ja eigentlich der Grund, weswegen ich diesen Beruf erlernen wollte – Beziehungsarbeit mit Klient*innen und deren Familien. Wenn diese so wertvolle Arbeit weder Zeit noch Raum findet, finde ich das fatal!“

Was wünschen Sie sich von einem zukünftigen Arbeitgeber? Welche Kriterien und Benefits sind für Sie für die Wahl des Arbeitgebers entscheidend?

„Ich wünsche mir, wie wahrscheinlich jede*r Arbeitnehmer*in, eine gute Work-Life-Balance leben zu können. Darüber hinaus ein zufriedenstellendes Gehalt und nicht das Gefühl, eine „Aufwandsentschädigung“ am Ende des Monats auf dem Konto zu haben. Ansonsten sind es eher menschliche Werte, auf die ich Wert lege und weniger die berühmten „Benefits“ in Form von Vergünstigungen. Ich erhoffe mir von einem zukünftigen Arbeitgeber, dass mir zugehört wird, dass ich ernst genommen werde, dass ich eigene Lösungsvorschläge und Ideen mit ins Team einbringen kann und das auch wertgeschätzt wird. Dass ich ein Team finde, welches gemeinsame, zielführende Prozesse leiten kann. Für mich ist wichtig, dass es kein Gefühl von „die da oben und wir hier unten“ gibt, sondern ich einen Träger finde, der ein Bild davon hat, was in den jeweiligen Einrichtungen Stand der Dinge ist. Da kommen wir zum Thema Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten und Supervision. Es ist meiner Meinung nach unabdingbar und sollte selbstverständlich sein, dass Träger den Mitarbeitenden Supervisionen ermöglichen und Fortbildungen zumindest teilweise finanzieren. Gerade im pädagogischen Bereich gibt es so viel Bewegung und so viele Situationen und Fälle, auf die man spontan reagieren muss, dass es immer notwendig ist, sich stets fortzubilden. Im Endeffekt kann man sagen, dass es flache Hierarchien, eine gute Kommunikation und ein tragfähiges Team sind, auf welches ich Wert lege!“

Das Interview führte Sophie Westerheide (freie Journalistin).

Unsere fünfteilige Interviewreihe

In den kommenden Wochen werden wir weitere spannende Einblicke in die Herausforderungen von Fachkräften in der Kinder- und Jugendhilfe bieten. Die Interviews werden verschiedene Perspektiven umfassen. Abonnieren Sie unseren Newsletter und folgen Sie uns auf Instagram und verpassen Sie keine Nachrichten zu Entwicklungen und Aktivitäten im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe.

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