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Wie Eltern und pädagogische Fachkräfte beim selbstbestimmten Aufwachsen mit Sexualität unterstützen können

Wie entsteht ein Baby? Warum verändert sich mein Körper in seinem Aussehen, wenn ich älter werde? Wie funktioniert Sex? Wie Eltern, Erziehende und pädagogische Fachkräfte junge Menschen beim selbstbestimmten Aufwachsen mit Sexualität unterstützen und wie sie mit möglichen Unsicherheiten umgehen können, darüber sprach das Initiativbüro Gutes Aufwachsen mit Medien mit der Sozialpädagogin und Referentin für sexuelle Bildung Karoline Heyne.

08.03.2024

Sexuelle Aufklärung von Anfang an: Kinder und Jugendliche begleiten

Sexualität begleitet uns unser gesamtes Leben und fängt nicht erst mit einem bestimmten Alter an. Sexuelle Aufklärung und sexuelle Bildung sind also keine einmalige Angelegenheit, sondern Teil eines kontinuierlichen Prozesses. „Häufig fragen mich Eltern, wie sie mit ihren Kindern über sexualitätsbezogene Themen sprechen können, wenn diese in die Pubertät kommen. Oder pädagogische Fachkräfte fragen mich, wann es sinnvoll wäre, sexuelle Aufklärung zu betreiben. Ich erläutere dann, dass Sexualität nicht ein Thema ist, dass man einmalig oder punktuell zu einem bestimmten Zeitpunkt aufgreifen sollte, sondern als Teil unseres Alltags begriffen werden sollte. Dazu zählt unter anderem über Gefühle und Emotionen zu sprechen, darüber, was ich möchte und was nicht – zum Beispiel bestimmte Berührungen oder Umarmungen – und auch zu vermitteln, wie Geschlechtsorgane richtig benannt werden“, sagt Karoline Heyne.

Für eine gute pädagogische Begleitung von Kindern und Jugendlichen im Umgang mit Sexualität – auch in digitalen Räumen – sieht Karoline Heyne es als entscheidend an, zu berücksichtigen, dass Kinder und Jugendliche unterschiedliche Bildungsbedürfnisse im Hinblick auf Sexualität haben: „Erwachsene und kindliche Sexualität unterscheiden sich ganz wesentlich. Kinder möchten nicht wissen was 'Sex' ist, sondern sie wollen verstehen, wie sie in die Welt gekommen sind. Jugendliche interessieren sich dann bereits sehr wohl für die Frage, was Sex ist, weil sie anfangen sich damit aus erwachsener Perspektive zu beschäftigen. Kinder schauen mit kindlicher Neugier auf die Welt und wollen erkunden, ausprobieren sowie entdecken. Kindliche Sexualität drückt sich spielerisch, spontan und unbefangen aus. Auf jeden Fall brauchen Kinder Erwachsene, die sie in ihren Fragen ernst nehmen und kindgerecht aber sachlich antworten. So lernen Kinder, dass sie über Themen zu Sexualität und Körper sprechen und sie sich vertrauensvoll an ihre Bezugspersonen wenden können. Manche Kinder nutzen auch das Internet, um Antworten zu finden. Hier sollten Eltern gut im Kontakt darüber bleiben, was das Kind im Internet erlebt und ihm zum Beispiel Kindersuchmaschinen wie FragFinn zeigen. Natürlich geht jedes Kind unterschiedlich mit Sexualität um und hat sein eigenes Tempo, wann es was wissen möchte. Darauf als Eltern oder pädagogische Fachkraft Rücksicht zu nehmen und auf die individuellen Bedürfnisse eines Kindes einzugehen ist entsprechend wichtig. Mit dem Beginn der Pubertät verändern sich auch die Bildungsbedürfnisse. Viele beschäftigt dann die Veränderung des eigenen Körpers, das Aushandeln erster romantischer Beziehungen und Sex sowie Fragen zur eigenen Identität. Zudem stehen Begehren und Befriedigung im Fokus. Antworten auf viele Fragen suchen Jugendliche oft gezielt im Netz, vor allem auch in Sozialen Netzwerken. Daher ist es wichtig, sich als Eltern und pädagogische Fachkraft, über informative und qualitative Angebote zu informieren und diese zu vermitteln. “

Genauso bedeutend wie auch bei anderen Themen ist die Vertrauens- und Beziehungsebene, wenn es darum geht als Ansprechperson im Hinblick auf Fragen zu Sexualität, Beziehungen, Identität und Körper wahrgenommen zu werden. Das heißt für Eltern und Erziehende, mit Kindern im Austausch zu sein und einen offenen und reflexiven Gesprächsraum anzubieten, der auf einer wertschätzenden Kommunikation basiert. „Mir persönlich ist es dabei sehr wichtig, zu erfahren, was junge Menschen interessiert, was sie spannend finden und was sie beschäftigt. Hier empfehle ich Eltern und pädagogischen Fachkräften einen Austausch als das wahrzunehmen, was er ist: Eine wunderbare Möglichkeit, mehr über die Lebenswelt junger Menschen zu erfahren. Das Spannende daran ist ja auch, dass man selbst nie auslernt. Ich erlebe in meiner Arbeit oft, dass Kinder, die ein offenes und vertrauensvolles Verhältnis zu ihren Eltern und eine gute Anbindung zu Hause haben, sich auch eher an diese als Ansprechpersonen wenden“, erläutert Karoline Heyne.

Die eigene Haltung reflektieren – Sexualität in unserer Gesellschaft

Geht es als pädagogische Fachkraft oder Eltern darum, Kinder und Jugendliche zu befähigen, selbstbestimmte Entscheidungen im Hinblick auf Sexualität, Körper, Beziehungen und Identität zu treffen, ist es wichtig, die eigene Haltung dazu und damit verbundene Einstellungen zu reflektieren. „Welche Vorstellungen zu Beziehungen und Rollenbildern gibt es in unserer Gesellschaft? Wie wird Sexualität in (digitalen) Medien, insbesondere in Filmen, vermittelt? Wie können unter Einfluss gesellschaftlicher Vorstellungen und Erwartungshaltungen eigene Bedürfnisse erkannt und ausgelebt werden? In meiner Arbeit ist es mir wichtig zum Nachdenken über bestehende gesellschaftliche Normen anzuregen und sich gemeinsam dazu auszutauschen“, betont Karoline Heyne.

Hemmschwellen und Unsicherheiten begegnen

So unterschiedlich die Zielgruppen in Karoline Heynes Arbeit sind, stellt sie dennoch immer wieder fest, dass das Thema Sexualität für alle etwas Persönliches ist. „Jeder Mensch verknüpft andere Dinge mit Sexualität, hat eigene Erfahrungen gemacht und bestimmte Einstellungen. Geht es darum, mit Kindern und Jugendlichen über Sexualität zu sprechen, fällt dies Eltern und Erziehenden nicht immer leicht. Einige fühlen sich mitunter unbehaglich oder unsicher, denn es bedeutet immer auch, sich mit der eigenen Sexualität und der eigenen Haltung dazu auseinanderzusetzen. Wenn dann noch Medienerziehung als Thema hinzukommt, kann ein Gefühl der Überforderung entstehen. Damit sich Eltern und Erziehende wohler und in der Lage fühlen, mit Kindern und Jugendlichen über ihre Bedürfnisse im Hinblick auf Sexualität und Medien zu sprechen, ist es mir in meinen Bildungsangeboten wichtig, einen offenen und geschützten Gesprächsraum für eine zunächst persönliche Annäherung anzubieten. Zum Beispiel können Teilnehmende dann über ihre eigene sexuelle Aufklärung reflektieren und miteinander ins Gespräch kommen. Zudem lässt sich Unsicherheit durch Wissen zu Sexualität abbauen. Was sollten Kinder und Jugendliche wissen? Was brauchen sie in welchem Alter? Welche altersgerechten Angebote gibt es? Letztlich tragen also ein wertschätzender Umgang und das nötige Fachwissen dazu bei, dass Eltern und Fachkräfte Kinder und Jugendliche so begleiten können, dass sie ihre Fragen und Unsicherheiten ansprechen können und selbstbestimmt und verantwortungsbewusst sexuell aufwachsen können.“

Pornografie in jugendlichen Lebenswelten

Ein Thema, dass viele Eltern und Erziehende beschäftigt, ist Pornografie als Teil der jugendlichen Lebenswelt. Sind junge Menschen im Netz unterwegs, können sie auch mit pornografischen Inhalten konfrontiert werden. Das kann entweder freiwillig passieren, dass Heranwachsende zum Beispiel gezielt nach Pornowebsites im Netz suchen und Pornos konsumieren oder ungewollt, indem sie pornografische oder sexuelle Inhalte per Chat oder via Soziale Medien gezeigt oder zugeschickt bekommen. Für einen selbstbestimmten Umgang mit Pornografie sieht Karoline Heyne es als besonders wichtig an, darüber mit jungen Menschen zu sprechen: „Was unterscheidet Pornsex von echtem Sex? Welche Macht haben Bilder und Videos, die bestimmte Vorstellungen von Rollen- und Geschlechterbildern oder gar sexualisierte Gewalt vermitteln? Wie lassen sich eigene sexuelle Bedürfnisse erkennen? Was heißt konsensueller Sex? Wir brauchen mehr Räume, in denen über Pornografie und deren Auswirkungen gesprochen wird und Jugendliche lernen, sexuelle und pornografische Inhalte einzuordnen und eine aufgeklärte Vorstellung von Sexualität zu entwickeln. Je besser junge Menschen spüren und kommunizieren können, was sich gut anfühlt, was den eigenen Bedürfnissen entspricht und was gut tut, umso besser können sie auch spüren, wenn sie etwas nicht erleben oder sehen wollen. Für ein Nein brauchen wir auch immer ein gutes Gespür für ein Ja.“

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