AGJ-Positionspapier

Beteiligung junger Menschen in der EU-Politik – Wege zur demokratischen Teilhabe

Die Beteiligung junger Menschen spielt eine entscheidende Rolle in der Gestaltung des europäischen Projekts. Haupt- und ehrenamtlich in der Kinder- und Jugend(sozial)arbeit Tätige sind angehalten, diese Beteiligung nach besten Kräften zu unterstützen. Das AGJ-Positionspapier „Beteiligung junger Menschen in der EU-Politik – Wege zur demokratischen Teilhabe“ stellt verschiedene Formate und Prozesse im EU-Kontext vor, im Rahmen derer Kinder und Jugendliche ihrer Stimme Gehör verschaffen können und sollten: den EU-Jugenddialog, die Konferenz zur Zukunft Europas, den Europäischen Green Deal, die EU-Kinderrechtsstrategie und die European Youth Work Agenda.

15.12.2021

Das Positionspapier der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ stellt verschiedene Beteiligungsmöglichkeiten für junge Menschen im Kontext der Politik der Europäischen Union (EU) vor. Es richtet sich an ehrenamtlich und hauptberuflich in der Kinder- und Jugend(sozial)arbeit Tätige von der lokalen bis zur Bundesebene, denen anhand von konkreten Beispielen Anregungen gegeben werden sollen, wie sie die Mitgestaltung von EU-Politik durch junge Menschen unterstützen können. Ziel des Papiers ist es, aufzuzeigen, wie lokale bis nationale Entwicklungen und Prozesse aufgegriffen werden können, um diese in formalisierte Beteiligungsprozesse auf der EU-Ebene einspeisen zu können. Die vorgestellten Beispiele sind der EU-Jugenddialog, die Konferenz zur Zukunft Europas, der Europäische Green Deal, die EU-Kinderrechtsstrategie sowie die European Youth Work Agenda. Diese Formate und Prozesse sind von Bedeutung für das Leben junger Menschen, da auf europäischer Ebene wichtige Richtungsentscheidungen für die Gegenwart und Zukunft der jungen Generation getroffen werden.

Das vollständige Papier steht auch als PDF auf den Webseiten der AGJ zur Verfügung.

Kinder- und Jugendbeteiligung im EU-Kontext

Der EU-Jugenddialog

Der EU-Jugenddialog ist das zentrale Jugendbeteiligungsinstrument der EU. Er bietet jungen Menschen die Möglichkeit, eigene politische Forderungen zu formulieren und diese mit Politiker(-inne)n, Verantwortlichen aus Verwaltung, Expert(-inn)en und Praktiker(-inne)n in verschiedenen gesellschaftlichen und politischen Bereichen sowie mit anderen jungen Menschen zu diskutieren. Der EU-Jugenddialog ist in 18-monatige Zyklen aufgeteilt. In jedem Zyklus werden eines oder mehrere der elf Europäischen Jugendziele bearbeitet.

Der EU-Jugenddialog beinhaltet verschiedene Beteiligungsformate: Veranstaltungen, EU-weite Online-Konsultationen und die EU-Jugendkonferenzen. Veranstaltungen im Rahmen des EU-Jugenddialogs werden regelmäßig von Jugendorganisationen an verschiedenen Orten in Deutschland (oder online) durchgeführt. Im Rahmen der Veranstaltungen können junge Menschen mit einer/-m oder mehreren Politiker(-inne)n zu einem bestimmten Thema ins Gespräch kommen und eigene Forderungen und/oder Lösungsansätze formulieren. Diese Vorschläge werden im deutschen Kontext vom Deutschen Bundesjugendring (DBJR) gesammelt, ausgewertet und in die EU-Jugendkonferenzen eingespeist. Junge Menschen können im Rahmen des EU-Jugenddialogs auch selbst Veranstaltungen organisieren. Dafür können sie inhaltliche Unterstützung von einem jungen Multiplikator(-inn)enteam des DBJR (JUMP-Team) und/oder finanzielle Unterstützung aus dem EU-Förderprogramm Erasmus+7 erhalten.

Die Ergebnisse der EU-Jugendkonferenzen und somit auch Teile der Ergebnisse des EU-Jugenddialogs fanden bereits mehrfach Eingang in politische Dokumente des Rates der EU. Auch in Deutschland wurden bereits Forderungen aus dem EU-Jugenddialog politisch aufgegriffen und umgesetzt. Zudem fließen in Deutschland alle Ergebnisse des EU-Jugenddialogs in die Konferenz zur Zukunft Europas ein, wodurch sie doppeltes Gewicht bekommen (können).

Die Konferenz zur Zukunft Europas

Bei der Konferenz zur Zukunft Europas handelt es sich laut EU-Kommission „um von Bürger/-innen getragene Debatten und Diskussionsreihen, bei denen die Menschen aus ganz Europa ihre Ideen austauschen und unsere gemeinsame Zukunft mitgestalten können“. Die Initiative wird zunächst von Mai 2021 bis voraussichtlich Mai 2022 umgesetzt. Im Rahmen der Konferenz sind Europäer/-innen aufgefordert, bis zum April 2022 ihre Ideen zur Zukunft der EU und ihrer Institutionen sowie zur zukünftigen Ausrichtung aller Politikfelder zu formulieren, in verschiedenen Veranstaltungen zu diskutieren und Vorschläge über eine mehrsprachige Online-Plattform einzubringen. Insbesondere junge Menschen sind eingeladen, ihre Meinung zu äußern, da ihr Leben von der zukünftigen Ausrichtung der EU-Politik überdurchschnittlich stark betroffen sein wird.

Konkret ist eine Beteiligung an der Konferenz zur Zukunft Europas über zwei Wege möglich. Zum einen über Veranstaltungen, die über die Konferenzwebseite gefunden werden können. Eine zweite Möglichkeit, Vorschläge zur Zukunft Europas einzubringen, ist das Formulieren eigener Ideen/Forderungen in Form von kurzen Texten auf der Online-Plattform.

Der Europäische Green Deal

Ziel des Europäischen Green Deals ist es, dass die EU bis 2050 klimaneutral wird. Dafür sollen politische Maßnahmen in fast allen Politikbereichen umgesetzt werden. Um Bürger/-innen an diesem Prozess zu beteiligen, gibt es innerhalb des Europäischen Green Deals den europäischen Klimapakt. Im Rahmen des Klimapakts können junge Menschen und ihre Organisationen z. B. Selbstverpflichtungen eingehen oder eigene Veranstaltungen durchführen.

Interessant für junge Menschen, die sich engagieren wollen, ist vor allem, dass solche Plattformen gegebenenfalls mit bestehenden Initiativen wie den CitizENV-Dialogen verknüpft werden. CitizENV-Dialoge sind Bürger(-innen)dialoge im Bereich Umweltpolitik, die bis Ende 2019 wiederkehrend in verschiedenen EU-Mitgliedsstaaten stattfanden und nun neu aufgelegt werden sollen. Die Veranstaltungen sind offene Diskussionen zwischen einer/-m EU-Beamt/-in und jungen Menschen zwischen 18 und 25 Jahren, an denen junge Menschen je einmal teilnehmen können. Alle Möglichkeiten, sich als junger Mensch im Rahmen des Klimapaktes einzubringen, stellt die EU-Kommission auf einer eigens dafür eingerichteten Webseite „Young People“ vor. Neben Beteiligungsmöglichkeiten für junge Menschen werden auf dieser Webseite auch Handlungsspielräume für Jugendorganisationen benannt.

Die EU-Kinderrechtsstrategie

Im März 2021 legte die Europäische Kommission eine erste umfassende EU-Kinderrechtsstrategie 2021–2027 vor. Ziel der EU-Kinderrechtsstrategie ist es, Kinderrechte in allen Politikbereichen zu einem zentralen Bestandteil aller Entscheidungen und Prozesse, die Kinder betreffen, zu machen. So soll Kindern in der EU und weltweit ein bestmögliches Leben ermöglicht werden. Zu diesem Zweck umfasst die Kinderrechtsstrategie für Personen unter 18 Jahren sechs Themenbereiche:

  1. Kinder als Akteur(-inn)en des Wandels im demokratischen Leben,
  2. Recht der Kinder, ihr Potenzial unabhängig von ihrem sozialen Hintergrund voll auszuschöpfen,
  3. Recht der Kinder auf Gewaltfreiheit,
  4. Recht von Kindern auf eine kindgerechte Justiz als Opfer, Zeugen, Verdächtige, Angeklagte oder Partei eines Gerichtsverfahrens,
  5. Recht der Kinder auf Sicherheit im digitalen Umfeld und auf Nutzung der sich dort bietenden Chancen zur Bekämpfung der Gewalt gegen Kinder und Gewährleistung des Schutzes von Kindern,
  6. Weltweites Eintreten für die Rechte von Kindern.

Die European Youth Work Agenda und der Bonn-Prozess

Ende 2020 begann die Umsetzung der European Youth Work Agenda (EYWA). Die Agenda soll als strategischer Rahmen für die Weiterentwicklung und Stärkung von Youth Work in Europa dienen. Im Kontext des deutschen Systems der Kinder- und Jugendhilfe umfasst Youth Work weitestgehend die Arbeitsbereiche Kinder- und Jugendarbeit sowie Jugendsozialarbeit im Rahmen der §§11-13 SGB VIII. Die Umsetzung der Youth Work Agenda ist eng verknüpft mit der EU-Jugendstrategie 2019–2027, den Europäischen Jugendzielen sowie der Jugendbereich-Strategie 2030 des Europarats. Thematisch umfasst die Agenda acht Säulen. Sie zielen auf die Stärkung von Strukturen und Ressourcen für Youth Work durch Ausund Weiterbildungen, Angebotsausbau und gegenseitige Unterstützung bei der Bewältigung aktueller Entwicklungen, insbesondere in der postpandemischen Realität, ab. Dies soll durch die Schaffung eines Grundverständnisses und gemeinsamer Prinzipien sowie Koordinierung auf europäischer Ebene ermöglicht werden. Zudem soll Youth Work sichtbarer gemacht und als fester Bestandteil von Jugendpolitik etabliert werden.

Die Umsetzung der Youth Work Agenda durch den sogenannten Bonn-Prozess soll von der lokalen bis zur europäischen Ebene und in allen Bereichen von Youth Work in Europa stattfinden. Außerdem soll der Prozess so weit wie möglich von der Community of Practice auf allen Ebenen selbst gestaltet werden, was durch die Bereitstellung von Informationen, Möglichkeiten und Räumen unterstützt wird. Insbesondere junge Menschen rücken dabei in den Fokus.

Protestformen, soziale Bewegungen und Jugendinitiativen

Selbstorganisation ist gerade für junge Menschen von zentraler Bedeutung, da sie sich auf diesem Weg schnell aktiv einbringen, selbstbestimmt handeln und Verantwortung übernehmen können. Hier wird Demokratie für junge Menschen direkt erlebbar, wodurch Jugendbewegungen und -initiativen als soziale Räume eine wichtige Rolle in der politischen Bildung zukommt. Manche dieser Initiativen haben in den vergangenen Jahren viel Resonanz in der Öffentlichkeit erhalten, was dazu führte, dass sie sowohl auf EU- als auch auf Bundesebene stärker in politische Entscheidungsprozesse einbezogen werden.

Zur Orientierung kann ein im Kontext der Konferenz zur Zukunft Europas entwickeltes Handbuch hilfreich sein: „Ein Leitfaden für den Wandel. Dein Handbuch für Aktivismus“ wurde durch ein Projekt des European Youth Forum zusammengestellt und veröffentlicht. Es soll jungen Menschen, die etwas verändern wollen, helfen, ihre Ideen zu verwirklichen. Dazu werden alle Bereiche von der Konkretisierung der Idee bis hin zum Bekanntmachen der Initiative abgedeckt.

Bewertung und Fazit

Die vorgestellten formalisierten Prozesse und Formate im EU-Kontext bieten jungen Menschen auf verschiedenen Ebenen und mit verschiedenen thematischen Schwerpunkten Möglichkeiten, ihre Meinung zu EU-Politik zu äußern und Politik mitzugestalten. Dabei variieren die Formate allerdings mit Blick auf ihre Zugänglichkeit und Wirksamkeit. Die AGJ hat die vorgestellten Formate in ihrem Positionspapier bewertet. Anhand der Bewertungen sind in dem Positionspapier Gelingensbedingungen für die Beteiligung junger Menschen im EU-Kontext festgehalten worden. Möglicherweise wird das Jahr 2022, das zum „Europäischen Jahr der Jugend“47 ausgerufen wurde, über die bereits bestehenden Formate hinaus neue Beteiligungsprozesse anstoßen. Doch bereits die existenten Formate und Prozesse erlauben bei besserer Bekanntmachung, gezielter Nutzung und Umsetzung der hier formulierten Gelingensbedingungen eine Mitgestaltung von Politik durch junge Menschen in der EU – diese Chance sollte wahrgenommen werden.

Das vollständige Papier steht auch als PDF auf den Webseiten der AGJ zur Verfügung.

Quelle: Vorstand der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ vom 02./03.12.2021

Redaktion: Pia Kamratzki

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