Teilhabe
Eklatanter Nachholbedarf bei Versorgung von Kindern mit Autismus
Am 02.04.2023 fand der Welt-Autismus-Tag statt. Zu diesem Anlass hat die Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin (DGSPJ) Forderungen für eine bessere Versorgung von Kindern mit Autismus aufgestellt. Bei der überwiegenden Mehrzahl der Autismus-Therapiezentren bestehen Wartezeiten von einem Jahr und länger, ehe eine Therapie begonnen werden kann. Daher plädiert die DGSPJ für Veränderungen im System.
03.04.2023
Der Wissenszuwachs über Autismus-Spektrum-Störungen ist enorm. Vielen betroffenen Kindern und jungen Menschen nutzt das aber wenig. Bei der überwiegenden Mehrzahl der Autismus-Therapiezentren bestehen Wartezeiten von einem Jahr und länger, ehe eine Therapie begonnen werden kann. Woran liegt das und was ist zu tun, damit sich das bald ändert? Antworten dazu liefert die Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin (DGSPJ) anlässlich des Welt-Autismus-Tages 2023, der in jedem Jahr am 2. April begangen wird. Gewidmet ist dieser Aktionstag insgesamt mehreren hunderttausend Menschen, die allein in Deutschland betroffen sind. Innerhalb der Autismus-Spektrum-Störungen gibt es unterschiedliche Symptome, Ausprägungen und Schweregrade.
Besonders die schwer betroffenen Kinder können heute bereits früh erkannt werden, unterstreichen Prof. Dr. Heidrun Thaiss und Prof. Dr. Volker Mall, die neuen Präsident:innen der DGSPJ. Aufgrund von deutlichen Fortschritten in der Diagnostik können immer häufiger genetische Veränderungen als Ursache von autistischem Verhalten – häufig verbunden mit weiteren Entwicklungsstörungen – identifiziert werden. Daneben sind noch weitere Risikofaktoren bekannt, dazu gehören jedoch keinesfalls Erziehungsfehler, die früher als Ursache der Störungen gesehen wurden, bekräftigen Thaiss und Mall. Fest steht mittlerweile auch, dass die Zahl der Menschen mit einer Diagnose aus dem Autismus-Spektrum zugenommen hat. Neben einer erhöhten Sensibilität für das Thema und Verbesserungen in der Dokumentation ist auch eine reale Zunahme der Zahl Betroffener zu verzeichnen. Dies belegen auch Statistiken des amerikanischen Autismus-Monitoring Netzwerks. Das vermehrte Auftreten von Autismus-Spektrum-Störungen lässt sich aber auch im Alltag der Sozialpädiatrischen Zentren (SPZ) und anderer spezialisierter Anlaufstellen in Deutschland erkennen, die schwerpunktmäßig mit der Diagnostik und leitlinienkonformer Behandlung der Erkrankung betraut sind.
Die Kapazitäten der Therapiezentren geraten an ihr Limit
Zwar sind diese Erkrankungen bis heute nicht ursächlich behandelbar. Durch gezielte Therapien, die möglichst früh beginnen sollten, können jedoch insbesondere die soziale Interaktion und Fähigkeiten zur Kommunikation - und damit die Teilhabe - verbessert und herausfordernde Verhaltensweisen und Stereotypen reduziert werden. Doch die Kapazitäten der Therapiezentren geraten derzeit zunehmend an ihr Limit. Der wesentliche Grund hierfür ist der personelle Engpass in fast allen medizinischen, psychosozialen und therapeutischen Berufen, der sich auch in den Autismus Therapiezentren zeigt. Angesichts der gravierenden Personalknappheit ist daher auch nicht zu erwarten, dass sich innerhalb kurzer Zeit die Zahl der Therapieplätze in diesen Behandlungszentren maßgeblich erhöhen lässt. Doch welche Optionen bleiben, um die Therapiechancen der betroffenen Kinder und jungen Menschen zu verbessern? Die Expertinnen und Experten in der DGSPJ plädieren für
- eine bessere Vernetzung zwischen medizinischem und pädagogischem System
- eine ausreichende und nachhaltige Ausstattung mit personellen und finanziellen Ressourcen, womit viele alltagsrelevanten Hemmnisse beseitigt werden könnten
- bessere Fort- und Weiterbildung im pädagogischen und sonderpädagogischen Bereich, um den Besonderheiten der Betroffenen besser gerecht werden zu können
- den vermehrten Einsatz von Schulgesundheitsfachkräften, der sich bislang meist auf körperlich chronisch erkrankte Kinder und Jugendliche beschränkt
- Qualifizierung von Integrationsfachkräften und Schulbegleitungen
- eine zusätzliche Beratung von Pädagoginnen und Pädagogen, beispielsweise durch „Autismus-Beauftragte“ im Schulpsychologischen Dienst und
- die nachhaltige Unterstützung der Eltern/Angehörigen
Forderungen an Akteure der Gesundheitspoltik und Kostenträger
Bei der Versorgung und Betreuung von jungen Menschen mit Autismus-Spektrum-Störungen besteht also eklatanter Nachholbedarf. Die DGSPJ fordert daher anlässlich des Welt-Autismus-Tages 2023 am 2. April alle in der Gesundheitspolitik Verantwortlichen und alle Kostenträger auf, solche finanziellen und strukturellen Bedingungen zu schaffen, um allen aktuell betroffenen Kindern und Jugendlichen gerecht werden zu können.
Hilfreich hierfür könnte die neue Zukunftsstrategie der Bundesregierung sein, in der auch das Handlungsfeld „Gesundheit für alle“ breiten Raum einnimmt. Dabei wird in Aussicht gestellt, die medizinische Versorgung der Zukunft präventiv, personalisiert, präzise und teilhabeorientiert auszurichten und innovative Ansätze schneller in die Gesundheitsversorgung zu überführen. Die DGSPJ nimmt daher den Welt-Autismus-Tag zum Anlass, genau das auch für (junge) Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung von der Politik einzufordern.
Quelle: Die Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin (DGSPJ), März 2023
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