Kriegsgebiet
„Rote Linie" – Hilfsorganisationen kritisieren Instrumentalisierung humanitärer Hilfe

Neun Hilfsorganisationen ziehen vor dem Auswärtigen Amt eine „rote Linie“: Sie fordern den Schutz des humanitären Völkerrechts in Gaza und warnen vor der Politisierung von Hilfe. Die Lage ist katastrophal – medizinische Versorgung fehlt, Hunger wird zur Waffe. Die Bundesregierung wird aufgefordert jetzt zu handeln.
16.06.2025
Bei einer gemeinsamen Kundgebung vor dem Auswärtigen Amt haben neun in Gaza tätige Hilfsorganisationen eine „rote Linie” gezogen – als unmissverständliches Symbol für den Schutz des humanitären Völkerrechts.
„Mit der roten Linie machen wir deutlich: Der Schutz von Zivilist*innen, medizinischem Personal und humanitärer Hilfe ist nicht verhandelbar – das Völkerrecht muss gelten“, erklärten die Organisationen.
Die Verteilung von Hilfsgütern über die private „Gaza Humanitarian Foundation“ sehen die Organisationen – Ärzte der Welt, Ärzte ohne Grenzen, Cadus, CARE Deutschland, Diakonie Katastrophenhilfe, Handicap International, Johanniter-Auslandshilfe, Plan International Deutschland und Save the Children Deutschland – mit großer Sorge.
Die Organisationen kritisieren das Vorhaben scharf: Es untergräbt die Unabhängigkeit und Neutralität humanitärer Hilfe und kann unter anderem dazu führen, dass Menschen gezwungen sind, gefährliche Routen für humanitäre Hilfe in Kauf zu nehmen oder ansonsten ohne Zugang zu Hilfe bleiben. Die Bundesregierung muss diesem Modell eine klare Absage erteilen und ausschließen, dass deutsche Mittel in solche Strukturen fließen.
„Wir sehen Tag für Tag, wie Menschen an behandelbaren Krankheiten sterben, medizinische Strukturen angegriffen werden und Hilfe entweder blockiert oder politisch instrumentalisiert wird. Es gibt ausreichend erfahrene Akteur*innen vor Ort, die sofort noch mehr Hilfe leisten könnten, wenn die Angriffe enden und die Blockade gelockert wird. Dafür braucht es jetzt politischen Willen und eine klare Positionierung – auch von der Bunderegierung“,
so die Organisationen.
Die Lage für die Zivilbevölkerung in Gaza ist weiterhin verheerend. Es fehlt massiv an Nahrungsmitteln, sauberem Wasser, sicheren Unterkünften und einer angemessenen medizinischen Versorgung. Viele Menschen müssen mit einer Mahlzeit am Tag oder weniger auskommen. Die Bundesregierung muss sich in dieser lebensbedrohlichen Situation dringend dafür einsetzen, die Behinderung von Hilfe unabhängiger Hilfsorganisationen im Gazastreifen durch die israelische Regierung zu beenden.
Statements der einzelnen Organisationen
Ärzte der Welt
„Wir sind nicht nur Zeugen einer humanitären Krise, sondern einer Krise der Menschlichkeit und des moralischen Versagens, denn Hunger wird als Kriegswaffe eingesetzt“,
sagt der Präsident von Ärzte der Welt Frankreich, Dr. Jean-Francois Corty.
Ärzte ohne Grenzen
„Humanitäre Hilfe darf niemals Teil militärischer oder politischer Strategien sein. Sie muss sich allein an den Bedürfnissen der betroffenen Bevölkerung orientieren“,
sagt Christian Katzer, Geschäftsführer von Ärzte ohne Grenzen Deutschland.
Cadus
„Seit Beginn unseres Einsatzes in Gaza im Februar 2024 kämpfen wir mit massiven Hürden: Die Einfuhr von Hilfsgütern und Personal ist extrem eingeschränkt – und wenn wir vor Ort sind, bleibt die Sicherheit unserer Teams ungewiss. Die israelische Regierung vernachlässigt ihre Verantwortung, den Schutz und die Versorgung der Zivilbevölkerung und der humanitären Mitarbeiter sicherzustellen“,
sagt Lysann Kaiser, Co-CEO von CADUS e.V.
CARE Deutschland
„Die humanitäre Lage in Gaza ist weiterhin verheerend. Unsere Teams vor Ort arbeiten unter extrem schwierigen Bedingungen, doch die Vorräte sind nach wie vor erschöpft. Medikamente, Hygieneartikel und Hilfsgüter im Wert von über 1,5 Millionen US-Dollar warten außerhalb des Gazastreifens auf ihre Freigabe. Rund zwei Millionen Menschen sind auf lebensrettende Hilfe angewiesen. Zwar haben zuletzt erste Lieferungen Gaza erreicht, doch sie reichen bei Weitem nicht aus, um den enormen Bedarf zu decken. CARE unterstützt den von den Vereinten Nationen koordinierten Plan zur Wiederaufnahme großflächiger Hilfslieferungen. Dieser Plan ist erprobt, bedarfsorientiert und sofort umsetzbar. Sobald ein sicherer Zugang gewährleistet ist. Damit Hilfe ankommen kann, braucht es jetzt politischen Willen und internationale Unterstützung. Jede Stunde zählt“,
sagt Anica Heinlein, Leiterin Advocacy bei CARE Deutschland.
Diakonie Katastrophenhilfe
„Die Ausweitung der Kämpfe vertieft die Not der Menschen. Es braucht jetzt dringend eine politische und militärische Deeskalation sowie eine neue Waffenruhe, um neutrale Hilfe zu ermöglichen und auch eine Freilassung der Geiseln zu erwirken“,
sagt Martin Keßler, Leiter der Diakonie Katastrophenhilfe.
Handicap International
„Seit 1998 steht Handicap International (HI) den Menschen in Gaza zur Seite, auch in Zeiten größter Unsicherheit. Die geplanten Änderungen in der Hilfsarchitektur bedrohen den Zugang zu lebenswichtiger Hilfe. Menschen mit Behinderungen sind jetzt stärker denn je gefährdet. Was sie brauchen, ist keine neue Hürde, sondern uneingeschränkte, neutrale und unabhängige Unterstützung“,
sagt Thomas Hamann, HI-Projektreferent Naher Osten.
Johanniter-Auslandshilfe
„Die Mitarbeitenden unserer Partner leiden genauso unter Hunger und der ständigen Vertreibung. Ihre medizinischen Einrichtungen werden bombardiert, 15 ihrer Kolleginnen und Kollegen starben bereits. Sie geben weiter alles für die Bevölkerung, aber auch ihre Kräfte schwinden“,
sagt Susanne Wesemann, Leiterin der Johanniter-Auslandshilfe.
Plan International Deutschland
„Als Kinderrechtsorganisation sehen wir mit großer Sorge, wie das Leben und die Zukunft von Millionen Kindern in Gaza akut bedroht sind. Nur der uneingeschränkte Zugang für unabhängige humanitäre Hilfe kann weiteres Leid verhindern und den Kindern in Gaza eine Überlebenschance geben“,
sagt Petra Berner, Vorstandsvorsitzende von Plan International Deutschland.
Save the Children Deutschland
„Für die Kinder im Gazastreifen geht es täglich ums Überleben. Babys sterben, weil ihre Mütter mangelernährt sind. Verletzungen können nicht mehr behandelt werden. So kann, so darf es nicht weitergehen. Save the Children fordert einen sofortigen endgültigen Waffenstillstand, die Freilassung aller Geiseln und einen ungehinderten Zugang zu lebensrettender Hilfe für Menschen in Not“,
sagt Florian Westphal, Geschäftsführer von Save the Children Deutschland.
Quelle: Plan International vom 28.05.2025
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