Appell des Bundesjugendkuratoriums

„Rechte junger Menschen auf der Flucht in Europa und an den Grenzen zu verwirklichen“

Das Bundesjugendkuratorium (BJK) hat in den vergangenen Jahren mehrfach auf die Verwirklichung der Rechte junger Menschen hingewiesen und formuliert vor diesem Hintergrund grundlegende Prüfkriterien für die Sicherung der Rechte von geflüchteten Kindern und Jugendlichen, die in europaweiten Regelungen zukünftig berücksichtigt werden müssen. Der Appell im Wortlaut:

14.08.2023

Rechte junger Menschen auf der Flucht in Europa und an den Grenzen verwirklichen

Das Bundesjugendkuratorium hat in den vergangenen Jahren mehrfach darauf hingewiesen, dass die Rechte junger Menschen, die geflüchtet sind, grundlegend – auch in Krisenzeiten – verwirklicht werden müssen. Die UN-Kinderrechtskonvention, aber auch weitere UN-Konventionen, wie zum Beispiel über die Rechte von Menschen mit Behinderung und supranationale Abkommen zu Migration und Flucht, die u.a. den Schutz, Rechtssicherheit, eine diskriminierungsfreie Kindheit und Jugend, sowie eine Zukunftspers-pektive für junge Menschen garantieren, sind mit entsprechenden rechtsstaatlichen Verfahren und Infrastrukturen abzusichern. Zudem ist die Verwirklichung der Rechte transparent, unabhängig und regelmäßig zu überprüfen.

Zwar wird in den Diskussionen um die gegen-wärtigen europäischen Vorschläge zur zukünftigen Regulation und zu den Zugängen zum Asylverfahren an den EU-Außengrenzen von der Bundesregierung darauf hingewiesen, dass in dem weiteren Prozess gerade die Rechte von Kindern und Jugendlichen gestärkt, deren Absicherung geregelt und durch Verfahren und Infrastrukturen untersetzt werden sollen. Zudem wird hervorgehoben, dass die Verfahren für unbegleitete minderjährige Geflüchtete grundsätzlich nicht gelten sollen.

  • Offen bleibt aber, wie die Rechte aller Kinder und Jugendlichen gesichert werden. Angesichts der bisher bekannten Vorschläge ist nicht zu erkennen, wie eine Verwirkli-chung der Rechte von Kindern und Jugendlichen auf der Flucht in den Grenzverfahren und Aufenthaltsorten an den Grenzen überhaupt möglich sein kann.

Vor diesem Hintergrund formuliert das Bundesjugendkuratorium grundlegende Prüfkriterien für die Sicherung der Rechte von Kindern und Jugendlichen, die in zukünftigen europaweiten Regelungen berücksichtigt werden müssen.

  • Alle Verfahren sind so zu gestalten, dass die in den internationalen Abkommen geregel-ten Rechte von Kindern und Jugendlichen gewahrt und verfahrenspraktisch gesichert sind. Grundlegend ist dabei ein unabhängiger Rechtsschutz für Kinder und Jugendliche zu garantieren. Es muss organisational abge-sichert sein, dass Kinder und Jugendliche in Rechtsangelegenheiten unabhängig beraten und vertreten werden.

Kinder und insbesondere Jugendliche dürfen nicht entwürdigenden Altersfeststellungen unterzogen werden. Die Verfahren zur Altersfeststellung sind seit Jahren in der Kritik und stellen keine Basis dar, um zum Beispiel Volljährigkeit festzustellen.

  • Kinder und Jugendliche dürfen nicht von Entscheidungsbehörden und durch sie beauftragte Organisationen ohne unabhängigen Rechtsbeistand einer Altersfeststellung unterzogen werden.

Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf Eltern. Sie dürfen nicht indirekt dazu gezwungen werden, ihre Eltern zu verlassen, um allein weiter zu fliehen, da nur unbegleitete minderjährige Geflüchtete geschützt werden. Kinder und Jugendliche müssen mit ihren Eltern gemeinsam geschützt werden.

  • Eine Unterbringung und Versorgung an der Grenze kann kaum kinder- und jugend-gerecht erfolgen. Die Größe der Ein-richtungen, die Fluktuation der Geflüchteten in diesen Einrichtungen, der Zwangskontext des Aufenthaltes und (der beobachtbaren) unfreiwilligen Rückführungen sowie nicht zuletzt die ggf. der eigenen Familie drohenden Rückführung bilden Rahmen-bedingungen, die die Wahrung von Mindest-standards für kinder- und jugendgerechte Unterbringung und Versorgung geradezu verunmöglichen. Darum sind die Aufenthalte so kurz wie möglich zu gestalten.

Kinder und Jugendliche erleben häufig Gewalt, sexualisierte Übergriffe und Missbrauch auf der Flucht. Sie sind aufgrund ihrer verletzlichen Position und der Machtasymmetrie zwischen Erwachsenen und Kindern insbesondere vor Gewalt, Übergriffen und Machtmissbrauch zu schützen.

  • Der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Gewalt und sexualisierten Übergriffen ist explizit durch transparente Organisations-formen, Ombudsverfahren, „sichere“ und geschützte Orte sowie kinder- und jugendgerechte – auch anonym erreichbare – Anlaufstellen, an die sich Kinder und Jugend-liche mit Gewalterfahrungen in ihren Sprachen jederzeit auch jenseits von akuten Notsituationen wenden können, an allen Aufenthaltsorten – insbesondere auch an den Grenzen – sicherzustellen.

Insgesamt ist in allen Verfahren sowie an allen Orten, an denen sich Kinder und Jugendliche auch in der EU aufhalten, das Recht von Kindern und Jugendlichen auf Gehör zu verwirklichen (siehe Artikel 12 der UN-Kinderrechtskonvention).

  • Kinder und Jugendliche müssen in ihrer Muttersprache über ihre Situation informiert werden. Es müssen die Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit sie ihre Bedürf-nisse ausdrücken sowie sich in ihrer Muttersprache in den Verfahren verständigen und beteiligen können.

Es bedarf altersgerechter und barrierefreier Beratungsorte, Verfahren und Infrastrukturen, damit mit allen Kindern und Jugendlichen ihre Situation und das weitere Vorgehen besprochen werden kann. Darüber hinaus haben Kinder und Jugendliche ein Recht auf körperliche Unversehrtheit, Wohlbefinden und Gesundheitsförderung.

  • Es ist sicherzustellen, dass Kinder und Jugendliche auf der Flucht sowohl altersgemäß ernährt als auch medizinisch und sozial versorgt werden. Sie brauchen zudem Orte, an denen sie sich mit anderen Kindern und Jugendlichen über ihre Bedürfnisse austauschen und als junge Menschen zusammen sein können.

Das Bundesjugendkuratorium sieht die genannten Eckpunkte als unverzichtbare Mindeststandards für die Weiterentwicklung einer europäischen Flüchtlingspolitik an. Ziel muss es sein, die Rechte von Kindern und Jugendlichen an den Grenzen und auf der Flucht in Europa zu verwirklichen. Nur wenn die Verfahren und Infrastrukturen zur Verwirklichung der Rechte sowie in diesem Zusammenhang auch die organisationalen, finanziellen, personellen und professionellen Verantwortungsstrukturen in den Ländern der EU differenziert und transparent vereinbart sind, kann von einer Sicherung der Rechte von Kindern und Jugendlichen gesprochen und diese auch überprüft werden.

Das Bundesjugendkuratorium

Das Bundesjugendkuratorium (BJK) ist ein von der Bundesregierung eingesetztes Sachverständigengremium. Es berät die Bundesregierung in grundsätzlichen Fragen der Kinder- und Jugendhilfe und in Querschnittsfragen der Kinder- und Jugendpolitik. Dem BJK gehören bis zu 15 Sachverständige aus Politik, Verwaltung, Verbänden und Wissenschaft an. Die Mitglieder werden durch die Bundesministerin/den Bundesminister für Familie, Senioren, Frauen und Jugend für die Dauer der laufenden Legislaturperiode berufen.

Quelle: Bundesjugendkuratorium vom 07.08.2023

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