Jugendsozialarbeit

Müssen die Schwächsten die Schnellsten sein?

Im Rahmen der Veranstaltung „Jugend stärken – Aktiv in der Region: Auf dem Weg zu einer inklusiven Bildung“ fand am 15. Dezember 2011 im Jugendamt in Neunkirchen ein fachlicher Austausch zur Förderpolitik am Übergang Schule - Beruf und zur Koordinierung vor Ort statt.

16.12.2011

In seinem Vortrag bei der von der Bundesarbeitsgemeinschaft Evangelische Jugendsozialarbeit (BAG EJSA), dem Landkreis Neunkirchen und dem Diakonischen Werk an der Saar gemeinsam organisierten Fachveranstaltung warf Dr. Wilfried Kruse, Sozialforschungsstelle Dortmund und Mitinitiator der Weinheimer Initiative einen kritischen Blick auf die nachhaltige Wirksamkeit von Modellprogrammen und äußerte die Befürchtung, dass die aktuelle Förderlogik Ausgrenzung von benachteiligten Jugendlichen eher verschärft. Einerseits werde den Möglichkeiten und Freiräumen sich als junger Mensch zu orientieren, sich selbst auszuprobieren und die eigene Persönlichkeit weiterzuentwickeln, immer mehr Bedeutung zugemessen. Andererseits sei aber die aktuelle Logik in den Fördersystemen für Benachteiligte immer stärker darauf ausgerichtet, dass diejenigen, die auf eine Förderung angewiesen sind, schnell passfähig für den Arbeitsmarkt werden. Junge Menschen, die gut mit Ressourcen ausgestattet seien, könnten diese Freiräume und Entwicklungsmöglichkeiten nutzen. Die Schwächeren, die auf Angebote des Fördersystems angewiesen seien, müssten sich engen und sich teilweise widersprechenden Vorgaben in den Förderangeboten unterwerfen. Kruse forderte ein Umdenken in der Förderlogik und empfahl Entwicklungspartnerschaften für die Planung, Ausgestaltung und Umsetzung der Förderprogramme, an denen die Kommunen, das Land und der Bund verbindlich auf gleicher Augenhöhe beteiligt sind.

Zentrales Thema aller Beiträge bei der Veranstaltung war die Koordinierung und Steuerung der Förderung vor Ort. Diese zu verbessern ist Ziel der Initiative „Aktiv in der Region (AIR)“, die im Rahmen des Modellprogramms JUGEND STÄRKEN vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) ins Leben gerufen wurde und teilweise finanziert wird. Zentrale Leitlinie für den Erfolg sei die Sozialraumorientierung, sagte Christoph Schwamborn von der ESF-Regiestelle des BMFSFJ, der die Idee, die mit dem Programm AIR verbunden ist, vorstellte.

Die Koordinierung gelingt im Landkreis Neunkirchen, in dem zurzeit rund 1500 erwerbsfähige Jugendliche in Hartz-IV-Familien leben, bereits recht gut. Ein Zeichen dafür ist, dass alle zuständigen AkteurInnen am Podiumsgespräch zum Schluss der Veranstaltung teilnahmen: Bärbel Heil-Trapp (Abteilungsleiterin Jugendberufshilfe Diakonisches Werk an der Saar), Martin Horzella (Leiter Jugendmigrationsdienste Diakonisches Werk an der Saar), Joachim Gölzer (Agentur für Arbeit Neunkirchen), Katja Sauerbrey (Geschäftsführerin Jobcenter Neunkirchen), Birgit Mohns-Welsch, Sozialdezernentin des Landkreises Neunkirchen, Dr. Eva Backes-Miller (Abteilungsleiterin im Saarländischen Bildungsministerium), Dr. Winfried Kruse (Sozialforschungsstelle Dortmund) und Ingrid Scholz (Vorstand BAG EJSA). Deutlich wurde, dass die örtlichen AkteurInnen ein enges Ressortdenken überwunden haben. In einer Lenkungsgruppe sitzen sie regelmäßig gemeinsam an einem Tisch. Ein Ergebnis der kontinuierlichen Kommunikation und Zusammenarbeit ist das Jugendberatungshaus KOMPASS, das im Rahmen von AIR gefördert wird. Hier werden vorhandene Förderstrukturen und Fachlichkeit an einem Ort zusammengeführt, so der Projektleiter Stefan Gerber.

KOMPASS konnte gut auf den Weg gebracht werden, da es bei den Trägern der Jugendsozialarbeit langjährige Erfahrungen aus guten Projekten und Angeboten in früheren Jahren gibt. Auch früher hätten die Träger schon gute Ansätze und sinnvolle Angebote entwickelt, so Bärbel Heil-Trapp. Bitter sei nur, dass Projekte häufig nicht mehr weiter gefördert wurden. Inzwischen sei man in den Städten und Landkreisen schon recht weit gekommen - auch dank der Unterstützung durch die Bundesförderung. Allerdings sind noch nicht alle Wünsche erfüllt: Bärbel-Heil-Trapp wünscht sich nun als nächsten Schritt, dass der Austausch und die Koordinierung der Landkreise auf Landesebene intensiviert wird.

Die Kommune muss steuern! Das ist keine neue Erkenntnis aus dieser Veranstaltung. Aber es wurde an vielen Aspekten während der Veranstaltung ganz konkret deutlich. „Wenn die Kommune für die Steuerung verantwortlich ist, heißt das nicht, dass sie alles selbst bestimmen, machen und finanzieren soll“, sagte Dr. Wilfried Kruse zum Abschluss der Veranstaltung. Dazu brauche sie ein mit allen verantwortlichen AkteurInnen abgestimmtes Handlungskonzept. Und dazu könne die langjährige fachliche Expertise der Träger der Jugendsozialarbeit genutzt werden.

Quelle: Bundesarbeitsgemeinschaft Evangelische Jugendsozialarbeit e.V. (BAG EJSA)

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