Digitaltalk
Mit digitalem Wandel und Künstlicher Intelligenz für eine starke Zivilgesellschaft
Am 7. November 2024 reflektierten Freiwilligenagenturen gemeinsam mit der Digitalexpertin Julia Junge die Chancen und Herausforderungen der digitalen Transformation. Das Fazit: KI ist eine mächtige Ressource - aber Organisationen müssen sie aktiv und reflektiert gestalten. 5 zentrale Erkenntnisse hier!
27.11.2024
Viele zivilgesellschaftliche Organisationen beschäftigten sich in den letzten Jahren mit verschiedenen Aspekten der digitalen Transformation – und legten eine rasante Entwicklung in Sachen Digitalisierung hin. Das gilt auch für die Freiwilligenagenturen: Nachdem sie im Programm digital durch:starten aktiv bei ihrer Digitalisierung begleitet wurden und im Programm Online Gutes tun digitales Engagement ausgebaut haben, wurde in den letzten Monaten viel mit Künstlicher Intelligenz (KI) ausprobiert und das Potenzial für die eigene Arbeit entdeckt.
Also eine gute Gelegenheit für eine Bestandsaufnahme, aber auch um einen Ausblick zu wagen: Was hat die „Digitalisierungswelle“ in der Zivilgesellschaft hinterlassen? Welche Auswirkungen hatte sie auf Förderlogiken und den Arbeitsalltag? Und was steht an, wenn wir in die Zukunft schauen? Wo kann KI sinnvoll eingesetzt werden und mit welcher Haltung?
Diese und viele weiteren Fragen diskutierten die bagfa Bundesarbeitsgemeinschaft der Freiwilligenagenturen e.V. gemeinsam mit der Digitalexpertin Julia Junge am 7. November 2024 in Format „55 Minuten“. In dem Digitaltalk bestärkte sie die Freiwilligenagenturen darin, digitale Prozesse weiterhin zu reflektieren und an die Bedarfe der Organisations- und Teamstruktur anzupassen. Eine weitere Botschaft von Julia Junge: KI-Tools bieten viel Potenzial effektiver und wirksamer zu arbeiten – die Zivilgesellschaft sollte in Sachen KI mitreden und eine gemeinsame Haltung entwickeln.
Der Digitaltalk zum Nachhören auf dem Youtubekanal der bagfa e.V.
Die 5 zentralen Einsichten aus dem Gespräch mit Julia Junge in einer Kurzdokumentation
1: In der Corona-Pandemie haben Organisationen viel in Sachen Digitalisierung nachgeholt – dies ist aber nur ein erster Schritt für die Organisations- und Teamstruktur.
2020 ist durch die Corona-Pandemie das Tagesgeschäft in vielen zivilgesellschaftlichen Organisationen von heute auf morgen zum Erliegen gekommen. Laut Julia Junge haben viele NGOs diese Zeit genutzt, um in Sachen Digitalisierung massiv aufzuholen. Außerdem, so Junge, griffen Förderprogramme diese Entwicklung auf und stellten die nötigen Mittel für die Digitalisierung zur Verfügung. So wurde viel ausprobiert: Einiges sei geblieben, andere digitale Arbeitsweisen wurden wieder verworfen, so die Digitalexpertin.
Mit Blick auf die vielfältige Zivilgesellschaft zeige sich, dass einige Organisationen die Zeit nach der Pandemie für einen zweiten Prozess der Organisationsentwicklung genutzt haben: In einem „Aufräumprozess“ hätten einige Organisationen geschaut, welche digitalen Tools weiter genutzt, aber auch welche verworfen werden sollen. Für die Mitarbeiter:innen von Organisationen seien solche Prozesse wichtig, um die Bedürfnisse an die hybride Team- und Arbeitskultur auszuhandeln. Die Digitalcoachin empfiehlt, sich hierfür Zeit zu nehmen – etwa durch regelmäßige Teamklausuren. Ansonsten drohen häufige Personalwechsel und ressourcenaufwändige Einarbeitungen.
2: Die Zivilgesellschaft wird in Digitalisierungsdiskursen zu wenig wahr- und ernstgenommen, obwohl sie nachhaltige Förderprogramme benötigt.
Zwar seien mit der Pandemie auch gezielte Förderungen für den digitalen Wandel in der Zivilgesellschaft entstanden – insgesamt werde diese in Digitalisierungsdiskursen aber zu wenig wahr- und auch ernstgenommen, so Junge. Prozesse der Organisationsentwicklung oder digitale Infrastruktur lassen sich zwar mittlerweile in Förderungen abrechnen, insgesamt seien die Programme aber zu „nachholend“ ausgerichtet. Die Bedarfe, Erfahrungen, aber auch das Wissen der zivilgesellschaftlichen Organisationen stünden zu selten im Fokus der Zuwendungen. Problematisch ist laut Junge auch die Projektförderung. Diese unterstütze zwar vor allem zu Beginn eines Digitalisierungsprozesses bei wichtigen Investitionen, wie Fortbildungen, Software oder Technik, doch für eine nachhaltige Infrastruktur braucht es langfristige Mittel – die Organisationen meistens nicht aufbringen können.
So profitierten von den öffentlichen Förderprogrammen vor allem kommerzielle Anbieter*innen. Julia Junge plädiert daher für gemeinnützige, genossenschaftliche oder öffentliche Strukturen, die digitale Infrastruktur für den gemeinwohlorientierten Sektor bereitstellen.
3: Weder Panik noch unkritische Euphorie: Die Zivilgesellschaft soll in der Diskussion über KI mitreden und eine gemeinsame Haltung entwickeln.
Die Digitalexpertin stellte klar: Generative Künstliche Intelligenz ist eine mächtige Basistechnologie, die wie das Internet in viele Prozesse und Produkte Einzug halten werde. Anders als Anfang der 2000er solle die Zivilgesellschaft daher bei der Gestaltung, den Rahmenbedingungen und Einsatz von KI mitreden. Diese Chance sollten NGOs nicht an sich vorbeiziehen lassen. Wichtig sei hier eine klare und differenzierte Haltung. Weder eine unkritische Euphorie noch eine verteidigende Skepsis helfen diese zu finden. Für eine klare Haltung braucht es laut Julia Junge vielmehr Neugierde und erste Erfahrungen, die sich durch Ausprobieren sammeln lassen. Dies sei auch wichtig, um Tools und Strukturen abseits von großen Unternehmen in den USA zu realisieren.
4: Die KI mit an den Tisch setzen: Die Einbindung von Künstlicher Intelligenz in die eigene Organisation ist ein agiler Prozess.
Die KI ist besser als ihr Ruf – so lassen sich sicherlich einige Aussagen aus dem Digitaltalk zusammenfassen. Julia Junge schildert, dass viele Mitarbeiter*innen in zivilgesellschaftlichen Organisationen bereits KI nutzen, dies aber nicht zugeben würden. Dies müsse aber nicht sein, generative KI-Tools würden oftmals ko-kreativ und an mehreren Stellen in Arbeitsprozessen eingesetzt. Statt die Intelligenz der Nutzer*innen zu ersetzen, unterstützt KI diese eher. Im Gespräch empfiehlt Junge, KI flexibel und agil zu nutzen: Je nach Bedarfen, Stärken, Schwächen und Fähigkeiten im Team, sollte gemeinsam überlegt und festgelegt werden, wie KI-Tools eingesetzt werden. Künstliche Intelligenz könne so „mit an den Tisch“ des Teams gesetzt werden.
Wichtig sei es hier anzufangen: Gerade bei den ersten Schritten ist laut der Coachin keine Strategie vonnöten. In den ersten Monaten sollten Schulungen, erste Anwendungsfälle, eine sichere Nutzung und das Festlegen von gemeinsamen Standards im Vordergrund stehen. Anschließend könnten in den weiteren 3-6 Monaten erste Projekte mit der Nutzung von KI umgesetzt werden. Wichtig sei hier eine fortlaufende Evaluation und Reflexion der ersten Erfahrungen. Erst dann böten sich Strategieworkshops für KI-Leitlinien an, in denen konkrete Absprachen getroffen werden. Julia Junge betont:
„In der Mischung aus Austausch, Schulung und Ausprobieren bei gleichzeitiger Sensibilität für die Grenzen, könne man mit KI gut loslegen.“
5: Die Einsatzbereiche von KI sind vielfältig und auch für die Engagementförderung und das Freiwilligenmanagement wertvoll – es gibt aber auch Grenzen.
Weder eine „Fomo“, die „Fear of Missing Out” (Angst davor, etwas zu verpassen) – noch die „Fobo”, die „Fear of being obsolete” (Angst davor, überflüssig zu sein) sei in der Zivilgesellschaft angebracht. Junge sieht auch mit generativer KI genügend Arbeit und Aufgaben im gemeinnützigen Sektor. Sie sieht eine Chance in den neuen Technologien: Sie könnten die Arbeit der Zivilgesellschaft effizienter und wirkungsvoller machen und Überlastung vorbeugen.
Dies gelte auch für die Engagementförderung und im Freiwilligenmanagement. Gerade in der Öffentlichkeitsarbeit zeigten sich viele Möglichkeiten, durch KI noch mehr Geschichten im Engagement zu erzählen. Eine weitere Stärke ist die Zusammenfassung von Materialen, die etwa das Onboarding von Freiwilligen erleichtern könnten. Es bleibe abzuwarten, wie KI sich weiterentwickelt und Zukunftsperspektiven aussehen – doch auch im Bereich Wissensmanagement, Matching oder Veranstaltungen könnten KI-Tools in Zukunft die eigene Arbeit unterstützen. Hierbei sollten auch die Grenzen von KI kritisch reflektiert werden: Die Tools ersetzen keine Suchmaschine und können Inhalte „halluzinieren“ – auch verbraucht die digitale Infrastruktur dahinter viele Ressourcen.
Quelle: bagfa Bundesarbeitsgemeinschaft der Freiwilligenagenturen e.V. vom 13.11.2024
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