Interview

„Ist die Vergabe von Kita-Plätzen diskriminierend?“

Drei Fragen an Sandra Clauß, Fachbereichsleiterin Kinder und Familie im LVR-Landesjugendamt Rheinland über den Zugang zur Kita und damit zur frühkindlichen Bildung.

08.11.2024

Der Zugang zur Kita und damit zur frühkindlichen Bildung entscheidet mit über den weiteren Verlauf des Lebens. Kitas sind Orte, an denen Ungleichheiten ausgeglichen werden, weil Kinder unabhängig von ihrem familiären Hintergrund und ihren Fähigkeiten in den Blick genommen werden. Umso wichtiger, dass alle Kinder die gleichen Chancen auf einen Kitaplatz erhalten.

Das LVR-Landesjugendamt Rheinland näherte sich der Frage, ob Selektionsprozesse bei der Kita-Platzvergabe diskriminierend sind sowie möglichen Lösungsansätzen am 7. November in einer Online-Fortbildung mit rund 150 Fachberatungen, Leitungskräften aus Jugendämtern, Personen aus der Jugendhilfeplanung und Kita-Leitungen.

Sandra Clauß leitet den Fachbereich Kinder und Familien im LVR-Landesjugendamt Rheinland, der nicht nur Mitarbeitende von Jugendämtern und pädagogische Fachkräfte berät und fortbildet, sondern auch die Aufsicht über die rund 6.000 Kindertageseinrichtungen im Rheinland führt.

Frau Clauß, ist die Vergabe von Kita-Plätzen diskriminierend und falls ja, wer wird diskriminiert?

„In NRW fehlen aktuell 93.700 Plätze in Kitas und Kindertagespflege. Das ist das Ergebnis der Veröffentlichung des Institutes der freien Wirtschaft aus diesem Monat. Aktuelle Studien zeigen, dass die Betreuungslücke bei unterschiedlichen Gruppen unterschiedlich groß ist. Kinder, deren Mütter über das Abitur verfügen und Familien, die nicht armutsgefährdet sind oder Deutsch zuhause sprechen, können sich häufiger über ein Bildungs- und Betreuungsangebot freuen. Weitere Studien zeigen, dass auch Eltern mit Migrationsgeschichte bei der direkten Platzvergabe weniger berücksichtigt werden. Auch das lässt den Rückschluss auf Diskriminierung zu.“

Was kann das LVR-Landesjugendamt Rheinland beitragen, um Diskriminierung zu vermeiden?

„Trotz eines gewaltigen Ausbaus, bei dem wir als Landesjugendamt Jugendämter und Träger unterstützen, fehlen Kita-Plätze. Und diese Lücke wird sich in den nächsten Jahren nur langsam schließen. Lange hat die Kinder- und Jugendhilfe unterschwellig wirkende Diskriminierungsmuster nicht in den Blick genommen. Die Studienlage ist in den letzten Jahren jedoch immer dichter geworden. Das LVR-Landesjugendamt hat die Aufgabe öffentliche und freie Träger zu beraten. Wir sind Spezialisten im Wissenschafts-Praxis-Transfer. Wir vermitteln Wissen, eröffnen Diskursräume und helfen dabei, dass die Erkenntnisse vor Ort in den Kitas ankommen und angewendet werden können. Wir erreichen Multiplikator*innen auf sehr vielen Ebenen. Wir adressieren Jugendämter, Träger, Fachberatungen, Fachkräfte und Fortbildungsträger.“

Welche Lösungsansätze halten Sie für sinnvoll?

„Mich stimmt positiv, dass es trotz der wirklich hohen Belastung ein großes Interesse an dem Thema gibt und die Bereitschaft besteht die eigenen Strukturen zu reflektieren. Das zeigt auch unsere Fortbildung. Mit der Veranstaltung wollen wir Träger ermutigen, die eigenen Aufnahmekriterien zu überdenken und Jugendämter motivieren, mit den Trägern im Jugendamtsbezirk zu Vergabekriterien Vereinbarungen zu treffen. Auch digitale Tools können helfen Vergabeprozesse zu objektivieren. Gerne unterstützen wir diese Prozesse vor Ort durch Beratung und Begleitung. Im Rahmen der anstehen Reform des Kinderbildungsgesetzes wünsche ich mir auch einen Diskurs, über die erforderlichen rechtlichen Regelungen. Frühe Bildung zahlt sich für die Kinder und unsere Gesellschaft aus – für Kinder in benachteiligten Lebenssituationen sogar weit überproportional.“

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Clauß.

Quelle: Landschaftsverband Rheinland vom 04.11.2024

Redaktion: Sofia Sandmann

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