Bildungszugänge

„Ich wusste nicht, dass es Leute wie mich an der Universität gibt“

Wissenschaftskommunikation kann ein Schlüssel zur Überwindung von sozialer Ungerechtigkeit, Ungleichheit und Ausgrenzung sein. Vor allem direkte Interaktionen zwischen Wissenschaftler:innen und benachteiligten Gruppen haben das Potenzial, Wissen über und die Begeisterung für die Naturwissenschaften in allen Teilen der Gesellschaft zu steigern. Dies zeigen erste Ergebnisse der Befragungen von Teilnehmer:innen des Projekts „Native Schools“ der Eberhard Karls Universität Tübingen.

13.07.2022

Bei „Native Schools“ wird die Organisation Native Scientist Workshops mit Wissenschaftler:innen für Kinder und Jugendliche aus Migrantengemeinschaften konzipiert. In diesen haben Forscher:innen wie Kinder den gleichen kulturellen Hintergrund und verständigen sich in ihrer jeweiligen Muttersprache.

Ziel sei es, nicht nur die Motivation der Schüler:innen dafür zu steigern sich mit wissenschaftlichen Phänomenen auseinanderzusetzen, auch ihr Zugehörigkeitsgefühl und Selbstbewusstsein solle gestärkt werden, erklärt Jessika Golle, Professorin am Hector-Institut für Empirische Bildungsforschung, die mit Native Scientist kooperiert. Durch Befragungen von mehr als 1000 Teilnehmer:innen zeigte sich, dass sowohl die Kinder und Jugendlichen als auch die Wissenschaftler:innen von den Workshops zu profitieren scheinen. Letztere gaben sogar an, ihre Kommunikationsfähigkeit, ihre Kreativität und Anpassungsfähigkeit zu trainieren. Das Konzept der Workshops wurde nun in der Zeitschrift Trends in Cell Biology vorgestellt.

Format zur Verbesserung der Zielgruppenerreichung

Fragen der Gleichberechtigung, Vielfalt und Inklusion werden zwar seit langem in der Forschung zu Wissenschaftskommunikation diskutiert. Jedoch repräsentieren die Wissenschaftler:innen sowie die Zielgruppen der Wissenschaftskommunikation überwiegend die Merkmale und Werte der dominanten Gruppen. Um vor allem Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund naturwissenschaftliche Fragestellungen nahe zu bringen, hat die Organisation Native Scientist ein Format ins Leben gerufen, mit dem diese Kinder und Jugendlichen ganz gezielt erreicht werden können.

Wissenschaftler:innen werden dazu ermutigt, in Workshops mit ihnen über ihre Arbeit zu sprechen und zu erzählen, was ihre persönliche Motivation war, in der Wissenschaft zu arbeiten und wie sie dorthin gekommen sind. Mehr als 1.200 Wissenschaftler:innen haben sich mittlerweile in insgesamt elf verschiedenen Sprachen in 28 Städten aus acht europäischen Ländern mit Kindern und Jugendlichen in den Workshops ausgetauscht.

Konzentration auf Naturwisschenschaften und Sprache sind entscheidende Aspekte

Kinder und Jugendliche ethnischer Minderheiten oder mit Migrationshintergrund beherrschen die fremde Landessprache oftmals nicht fließend und sie verstehen den Unterricht in den Naturwissenschaften aufgrund der übermäßigen Verwendung von Fachbegriffen nicht richtig. Deshalb finden die Workshops in der jeweiligen Muttersprache der Schüler:innen statt. Das gibt ihnen das Gefühl von Zugehörigkeit, ermöglicht ihnen Kompetenzerleben und stärkt sie in ihrem Selbstvertrauen.

Eine Schülerin berichtete nach der Teilnahme:

„Der Native Scientist Workshop war wichtig, weil ich nicht wusste, dass es Leute wie mich an der Universität gibt.“

Aber auch für die Wissenschaftler:innen, die oftmals skeptisch gegenüber Wissenschaftskommunikation eingestellt sind, weil sie zeitaufwendig ist, weil sie denken, dass es zu kompliziert ist, Laien ihre Forschung zu erklären oder weil sie Angst davor haben, dass sie Fragen nicht beantworten können, waren die Workshops eine gewinnbringende und positive Erfahrung.

Joana Moscoso, Mitbegründerin und Direktorin von Native Scientist erzählte:

„In anschließenden Befragungen haben sie berichtet, dass sie selbst neue Perspektiven gewonnen haben, dass auch ihr Selbstvertrauen gestiegen ist oder ihre Leidenschaft für die Forschung neu entfacht wurde. (...) Wenn die eigene Forschung sichtbarer wird, kann das auf beruflicher Ebene zudem die Chance erhöhen, an neue Finanzierungsmöglichkeiten für Projekte zu gelangen oder es erleichtert die Teilnahme an interdisziplinären Projekten.“

Die Wirksamkeit des Programms wird derzeit von Wissenschaftler:innen am Hector-Institut in einer randomisiert-kontrollierten Evaluationsstudie überprüft.

Über Native Scientist

Was 2013 als abenteuerliche Idee mit einem Workshop in einer Londoner Schule für portugiesischsprachige Kinder begann, hat sich inzwischen zu einem preisgekrönten europaweiten Programm entwickelt, das sich an Migrantengemeinschaften richtet. Die Vision von native Scientist ist eine Welt, in der das Potenzial jedes Kindes voll ausgeschöpft werden kann, unabhängig von seiner Herkunft.

Quelle: Eberhard Karls Universität Tübingen vom 20.06.2022

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