Diakonie

Hartz IV überwinden – Alternativ-Modell und Garantiesicherung

Um die Berechnungsmethode für die Regelsätze in der Grundsicherung an die Lebenswirklichkeit von Leistungsberechtigen anzupassen, hat die Diakonie Deutschland im Dezember ein Rechenkonzept vorgelegt, das ein realistisches Existenzminimum gewährleisten soll. Nun begrüßt die Diakonie den Beschluss zu einer Garantiesicherung der Grünen-Bundestagsfraktion.

11.01.2021

Maria Loheide, Vorstand Sozialpolitik der Diakonie Deutschland, erklärt: „Menschen, die Grundsicherung beziehen, müssen davon menschenwürdig leben und soziale Teilhabe erfahren können. Das Modell der Diakonie schlägt eine Berechnung vor, die Fehler der Vergangenheit und willkürliche Streichungen von Ausgaben vermeidet. Mit diesem Konzept wird ein realistischer Regelsatz ermittelt, der das Lebensnotwendige und gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht, zugleich aber auch einen Abstand der Regelsätze zu den mittleren Einkommen wahrt.“

Distanz zum mittleren Lebensstandard muss verringert werden

Der Kern des Diakonie-Rechenmodells: Referenzausgaben für physische Grundbedarfe wie Nahrung und Kleidung dürfen um maximal 25 Prozent, die weiteren Ausgaben um nicht mehr als 40 Prozent hinter dem zurückbleiben, was die gesellschaftliche Mitte ausgibt. Dazu wird eine statistische Vergleichsgruppe mit niedrigen Einkommen identifiziert, die diesen Vorgaben am nächsten kommt. Anhand dieser wird der Regelsatz ermittelt. Sie wird mit dem nach Einkommen mittleren Fünftel der Haushalte verglichen. „Das neue Verfahren belässt einen politischen Entscheidungsspielraum, stellt aber auch sicher, dass der Abstand zwischen dem Existenzminimum und dem mittleren Lebensstandard nicht zu groß ist. Es ist transparent und nimmt keine willkürlichen Kürzungen vor“, sagt Gutachterin Dr. Irene Becker.

Maria Loheide betont: „Dieser Vorschlag macht deutlich: In der Sozialpolitik müssen wir offen darüber diskutieren, wie weit das Existenzminimum sich von dem entfernen darf und soll, was in der gesellschaftlichen Mitte normal ist. An die Stelle willkürlicher Entscheidungen in Rechendetails gehört eine klare und transparente Festlegung dieses Abstands.“

Auf Grundlage des Diakonie-Modells könnte das Statistische Bundesamt die Auswertung der nächsten Einkommens- und Verbrauchsstichprobe vorbereiten. Die Diakonie schlägt vor, eine Sachverständigenkommission einzusetzen, die die Methodik der Regelsatzermittlung weiterentwickelt. „Wir müssen bereits jetzt Weichen für eine korrekte Berechnung im Jahr 2024 stellen. Es ist genug Zeit, Expertise aus Wissenschaft und Verbänden zu nutzen, damit methodische Fehler der Vergangenheit nicht wiederholt werden“, so Loheide.

Grünen-Fraktion berücksichtigt Anforderungen

Die Grünen-Bundestagsfraktion hat am 08.01.2021 ihren Beschluss zu einer Garantiesicherung vorgestellt, mit der das derzeitige Hartz-IV-Modell überwunden werden soll. Der Beschluss der Grünen-Bundestagsfraktion berücksichtigt wesentliche Anforderungen des Diakonie-Reformkonzepts: eine methodisch sauber ermittelte und ausreichende Existenzsicherung, bessere und unkomplizierte Zuverdienstmöglichkeiten und der Verzicht auf Sanktionen. Die Diakonie schlägt weiterführend vor, eine flächendeckende unabhängige Sozialberatung und eine konsequent anreizorientierte Arbeitsförderung umzusetzen, um Menschen im Hartz-IV-Bezug Würde zurück und perspektivisch auch die öffentlichen Haushalte zu entlasten.

Hintergrund

Nach der von der Diakonie vorgeschlagenen Berechnungs-Methode sind Haushalte mit einem Sozialleistungsanspruch nicht Teil der statistischen Vergleichsgruppe. In die Regelsatzermittlung fließen zudem nur Ausgaben ein, die sinnvoll als Pauschalen gestaltet werden könnten: Lebensfremde Annahmen wie das jahrelange Sparen auf einen Kühlschrank entfallen. Kostenintensive Anschaffungen werden gesondert finanziert. Unter Berücksichtigung dieser Überlegungen sind die ab 2021 vorgesehenen Regelsätze bis rund 180 Euro zu niedrig.

Weitere Informationen finden sich im Projektbericht (PDF, 243 KB) der Diakonie.

Quelle: Diakonie Deutschland vom 18.12.2020 und 08.01.2021

Redaktion: Miriam Gill

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