Jugendgewalt
Gewaltkriminalität – mehr junge Tatverdächtige

Die Arbeitsstelle Kinder- und Jugendkriminalitätsprävention am Deutschen Jugendinstitut (DJI) analysiert jährlich die Polizeiliche Kriminalstatistik zur Jugendgewalt. Die aktuelle Veröffentlichung „Zahlen – Daten – Fakten Jugendgewalt“ ordnet Trends und Zahlen zu Tatverdächtigungen junger Menschen unter 21 Jahren wissenschaftlich ein und beantwortet häufig gestellte Fragen.
20.06.2025
Die Arbeitsstelle Kinder- und Jugendkriminalitätsprävention am Deutschen Jugendinstitut (DJI) erforscht seit vielen Jahren das Phänomen Gewalt junger Menschen. Sie analysiert kriminologische Erkenntnisse, aktuelle Studien sowie die jährliche Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) und ordnet die Daten für Politik, Fachpraxis und Medien ein. Anlässlich der im April neu veröffentlichten Daten zur Gewalt junger Menschen in Deutschland in der PKS ist nun wie jedes Jahr die DJI-Publikation mit dem Titel „Zahlen – Daten – Fakten Jugendgewalt“ erschienen. Ziel ist eine Beschreibung des Phänomens Jugendgewalt und die kriminologische Analyse der Deliktbelastung und ihrer Entwicklung. Auf dieser Basis geben die DJI-Expertinnen Dr. Diana Willems, Dr. Sabrina Hoops und Dr. Bettina Grüne im Folgenden Antworten auf besonders häufig gestellte und wichtige Fragen zu körperlichen Gewaltdelikten von jungen Menschen unter 21 Jahren.
Welche Gewaltdelikte werden in der Polizeilichen Kriminalstatistik bei jungen Menschen erfasst?
In der PKS werden Tatverdächtige für ein breites Spektrum körperlicher Gewaltdelikte erfasst, es reicht von einfacher bis zu schwerer Körperverletzung, Totschlag und Mord. Grundsätzlich machen schwere Gewalttaten, das heißt insbesondere schwere Körperverletzung und Raub, nur einen kleineren Teil der Tatverdächtigungen bei jungen Menschen aus. Häufiger sind Tatverdächtigungen aufgrund von sogenannten Bagatelldelikten, wie Ladendiebstahl oder Sachbeschädigung. Schwere Gewaltdelikte sind etwas seltener als einfache sogenannte leichte Gewaltdelikte Anlass eines Tatverdachts. Im Jahr 2024 wurden 45.570 Kinder und Jugendliche aufgrund von einfacher Körperverletzung und 45.158 Kinder und Jugendliche aufgrund einer Tat, die zur sogenannten Gewaltkriminalität zählt, polizeilich registriert. Neben körperlicher Gewalt können junge Menschen auch Täter*innen und Opfer anderer Gewaltformen werden – wie zum Beispiel (Cyber-)Mobbing –, die im Jugendalter recht häufig sind, für diese gibt es aber teilweise keine eigenständige Erfassung in der PKS.
Welche Rolle spielen Alter und Geschlecht?
Im Jahr 2024 wurde ein Drittel der polizeilich registrierten Straftaten, die unter Gewaltkriminalität fallen, Kindern unter 14 Jahren (7 Prozent), Jugendlichen im Alter von 14 bis unter 18 Jahren (16 Prozent) und Heranwachsenden im Alter von 18 bis unter 21 Jahren (10 Prozent) zugeordnet. Während bei Mädchen der Höchststand der Tatverdächtigungen im Alter von 14 bis 16 Jahren erreicht wird, liegt er bei Jungen bei 16 bis 18 Jahren. Anschließend ist ein stetiger Rückgang der Tatverdächtigungen bis hin zur Gruppe der über 60-Jährigen zu sehen, die nur selten aufgrund von Gewaltdelikten tatverdächtigt werden. Kinder werden nach wie vor deutlich seltener als Jugendliche und Heranwachsende aufgrund einer Gewalttat polizeilich registriert. Dabei sind schwerwiegende Straftaten durch strafunmündige Kinder sehr selten. Jugendgewalt vollzieht sich oft in der gleichen Alters- und Geschlechtergruppe, das heißt, Jugendliche können sowohl Täter*innen als auch Opfer oder beides sein. Mit gut 85 Prozent ist die große Mehrheit der Tatverdächtigen von Gewaltkriminalität unter 25 Jahren männlich.
Wer wird besonders oft bezüglich Gewalttaten polizeilich registriert?
Die Mehrzahl der bei der Polizei auffällig werdenden Kinder und Jugendlichen wird lediglich ein- bis zweimal auffällig. Dabei handelt es sich meist um geringfügigere Delikte wie Ladendiebstahl oder Sachbeschädigung, aber eben auch um Körperverletzungsdelikte. Nur ein kleiner Teil der jungen Menschen wird mit drei oder mehr Delikten polizeilich registriert. Der Großteil wiederholter und schwerwiegender Straftaten wird durch eine kleine Personengruppe verübt, die sich der kriminologischen Forschung zufolge in der Regel in komplexen Problemlagen befindet – dazu zählen unter anderem Gewalterfahrungen in der Familie, Schulprobleme, Alkohol- und Drogenmissbrauch, soziale Randständigkeit sowie deviante oder delinquente Freundeskreise, wie beispielsweise Peers, die Drogen konsumieren oder ebenfalls mit Delikten auffällig geworden sind.
Wie entwickelt sich die Anzahl der tatverdächtigen jungen Menschen?
Für langfristige Vergleiche der PKS-Daten sollten die Tatverdächtigenbelastungszahlen (TVBZ) genutzt werden. Die TVBZ geben die Anzahl der in Deutschland wohnhaften Tatverdächtigen je 100.000 Personen der jeweiligen Altersgruppe an. In den vergangenen 15 Jahren waren die TVBZ sowohl bei den Jugendlichen (1.171) als auch bei den Heranwachsenden (1.196) im Jahr 2009 am höchsten. Es wurden damals also etwa 1 Prozent der Jugendlichen beziehungsweise Heranwachsenden aufgrund von Gewaltkriminalität tatverdächtigt. Die übrigen 99 Prozent sind polizeilich nicht in Erscheinung getreten. In den folgenden Jahren gab es in diesen Altersgruppen einen deutlichen Rückgang der TVBZ. Bei den Jugendlichen waren die Zahlen in 2015 etwa halbiert (618). Danach stieg die TVBZ bei Jugendlichen mit Ausnahme eines Rückgangs während der COVID-19-Pandemie wieder an und lag 2024 bei 984. Auch für die Altersgruppe der Kinder sind die TVBZ nach einer jahrelangen stabilen Phase im Bereich der Gewaltkriminalität mit Ausnahme der Zeit in der Pandemie zwischen 2016 (138) und 2024 (281) angestiegen. Diese Anstiege sind jedoch auf einem deutlich niedrigeren Niveau als bei Jugendlichen. Zuletzt wurden knapp 0,3 Prozent der 8- bis unter 14-Jährigen wegen Gewaltkriminalität tatverdächtigt. Bei den Heranwachsenden sind die TVBZ für Gewaltkriminalität zwischen 2015 (820) und 2024 (763) relativ konstant. Auch in dieser Altersgruppe waren die TVBZ während der COVID-19-Pandemie zurückgegangen. Zusammenfassend lässt sich bezüglich der Entwicklung der Anzahl von Tatverdächtigungen aufgrund von Gewaltkriminalität festhalten: Bei Heranwachsenden stagnieren die Zahlen in den vergangenen Jahren, bei Jugendlichen steigen sie an. Die Werte der Jugendlichen und Heranwachsenden lagen im Jahr 2024 unter den Höchstwerten. Bei den Kindern steigen die Werte seit 2016 leicht an und erreichten im Jahr 2024 einen Höchststand der letzten 15 Jahre.
Welche Aussagekraft hat die Polizeiliche Kriminalstatistik in Bezug auf das Gewaltverhalten junger Menschen?
Die jährliche Veröffentlichung der Daten des Bundeskriminalamts zieht regelmäßig große, vor allem auch mediale Aufmerksamkeit auf sich. Die Aussagekraft der PKS ist aber begrenzt. Von Wissenschaft und Zivilgesellschaft wird zunehmend vor der politisierten Nutzung der Daten gewarnt, da sie genutzt werden, um Narrative über Kriminalitätsanstiege bestimmter Personengruppen zu verbreiten. Bei den Daten der PKS handelt es sich um eine reine Tatverdächtigenstatistik, die das polizeilich registrierte Hellfeld der Kriminalität abbildet. Die Aussagekraft zum Gewalthandeln vor allem junger Menschen ist auch dadurch begrenzt, da vermutlich viele Taten nicht zur Anzeige gebracht werden. Gewaltverhalten, das im Dunkelfeld verbleibt, wird von der Kriminalstatistik nicht berücksichtigt. Darüber hinaus sind Änderungen in den Zahlen der PKS nicht ausschließlich auf Änderungen im Tatverhalten zurückzuführen, vielmehr können unter anderem auch Faktoren wie Kontrollintensitäten der Polizei oder Anzeigeverhalten der Bevölkerung eine Rolle spielen. Darüber hinaus sind bestimmte (digitale) Gewaltformen durch die PKS nur bedingt erfasst. Zentrale Probleme bei der Interpretation der PKS sind sowohl die Einschränkungen in der Statistik selbst als auch, dass das Dunkelfeld nicht von ihr in den Blick genommen werden kann.
In der Betrachtung gewalttätigen Verhaltens junger Menschen ist es unerlässlich, auch weitere Studien zu berücksichtigen. Dunkelfeldstudien, das heißt Befragungen zu Täter- und Opfererfahrungen, Anzeigeverhalten und Kriminalitätsfurcht bestimmter Bevölkerungsgruppen, sind eine wichtige Ergänzung der polizeilichen Hellfelddaten. Allerdings ist die Datenlage in Deutschland hierzu im Vergleich zu anderen europäischen Ländern, wie etwa Norwegen, Niederlande oder Großbritannien, sehr begrenzt. Zur Betrachtung der langfristigen Entwicklung der Gewaltdelinquenz in Deutschland kann nicht auf bundesweite, sondern nur auf wenige regionale Dunkelfeldstudien zurückgegriffen werden. Im Laufe des Jahres 2025 wird das Bundeskriminalamt weitere Ergebnisse der Dunkelfeldstudien „Sicherheit und Kriminalität in Deutschland (SKiD)“ und „Lebenssituation, Sicherheit und Belastung (LeSuBiA)“ veröffentlichen, die Opfererfahrungen für die Altersgruppen ab 16 Jahren genauer in den Blick nehmen. Der Forschungsbedarf zu Jugend und Gewalt ist groß.
Quelle: Deutsches Jugendinstitut vom 27.05.2025