Thesenpapier

Fünf Thesen zur Offenen Kinder- und Jugendarbeit in der Pandemie

Mit den vorliegenden Thesen möchte der Kooperationsverbund Offene Kinder- und Jugendarbeit (KV OKJA) gemeinsam mit der BAG Offene Kinder- und Jugendeinrichtungen (BAG OKJE) einen Beitrag zur notwendigen Debatte angesichts der Herausforderungen leisten, mit denen das Arbeitsfeld im Kontext der Corona Pandemie konfrontiert ist.

15.02.2021

Die vorliegenden Thesen sind unter anderem auf der Tagung „Zwischen Digitalisierung und Präsenz – auf der Suche nach dem Profil der OKJA“ entstanden, die der KV OKJA gemeinsam mit der BAG OKJE am 04. Dezember 2020 als Online-Treffen veranstaltet hat und an der über 100 Fachleute des Arbeitsfeldes aus dem ganzen Bundesgebiet beteiligt waren. Die Thesen sollen zur Diskussion insbesondere auf der lokalen Ebene beitragen. Sie stellen dementsprechend eine Momentaufnahme in den sich schnell verändernden Rahmenbedingungen der Corona-Pandemie dar und sind im Kontext regionaler und lokaler Gegebenheiten ggf. unterschiedlich zu betrachten.

Fünf Thesen zur Offenen Kinder- und Jugendarbeit 

These 1: Junge Menschen sind Bürger/-innen, nicht nur Schüler/-innen!

Der Blick auf junge Menschen hat sich in der Corona-Pandemie weiter verengt: Sie werden überwiegend auf ihre Rolle als Schüler-/innen und zukünftige Arbeitnehmer/-innen reduziert. Andere, jugendspezifische Interessen, Bedürfnisse und Themen treten noch mehr in den Hintergrund als schon vor der Pandemie. Der Offenen Kinder- und Jugendarbeit kommt vor diesem Hintergrund die Aufgabe zu, dafür Sorge zu tragen, dass auch andere Bedarfe und Lebensbereiche junger Menschen wahrgenommen werden und dass Kinder und Jugendliche eine Stimme in ihren Kommunen haben, auch wenn es um Corona-Auflagen geht. Offene Kinder- und Jugendarbeit ist damit gefragt, sich nicht nur um die Organisation und das Aufrechterhalten von einschränkten Angeboten zu kümmern. Vielmehr sollte sie durch gezielte sozialraumorientierte Arbeit (die auch den digitalen Raum einschließt) sowie Möglichkeiten des Dialoges eine weitgehende Teilnahme und Teilhabe initiieren. So können die aktuellen Lebensbedingungen junger Menschen über die Schule hinaus auch öffentlich sichtbar werden.

These 2: Jugendhäuser als Freiräume offenhalten!

Junge Menschen brauchen unverzweckte Freiräume. Einrichtungen der Kinder- und Jugendarbeit sind Synonyme für solche Freiräume. Sie eröffnen jungen Menschen Handlungs-, Erfahrungs- und Entscheidungsräume für Peers (Freunde und Freundinnen, ...) und eigene Gestaltungsmöglichkeiten. Diese sind gekennzeichnet durch ein hohes Maß an Autonomie, das Fehlen von Lernanforderungen, die von Erwachsenen gesetzt werden und die Abwesenheit von Kontrollpersonen. Während die Bundesregierung die im 15. Kinder- und Jugendbericht formulierte Bedeutung solcher Freiräume für den Prozess des Heranwachsens unterstrichen hat, werden diese Räume aktuell erheblich eingegrenzt. Vielerorts - und das auch noch im Winterhalbjahr - dürfen Jugendhäuser, wenn überhaupt, nur für Beratungs- und Bildungsangebote geöffnet werden. OKJA ist gefordert, ihre Einrichtungen als Freiräume zurück zu fordern und für die Anerkennung ihrer informellen Bildungssettings, wie sie gerade der Charakter der Jugendeinrichtungen ermöglicht, einzutreten. Junge Menschen brauchen diese Freiräume für ihre jugendspezifischen Entwicklungsaufgaben: Für viele Jugendliche ist die Peer-Gruppe ihre Familie, und diese wird ihnen durch die aktuellen Auflagen weitgehend genommen.

These 3: Digitalisierung Offener Kinder- und Jugendarbeit durch die Hintertür

Während der Kontaktbeschränkungen machte sich die OKJA offensiv in die virtuellen Lebenswelten junger Menschen auf. Dabei zeigte sie sich sehr experimentierfreudig, kreativ, lernbereit und netzwerk-orientiert. Die OKJA erschloss sich zunehmend mehr das Terrain der Kommunikation und Vergemeinschaftung im virtuellen Raum. So hat die Corona-Pandemie die Digitalisierung Offener Kinder- und Jugendarbeit vorangetrieben. Allerdings wurden vielfach mangelnde technische Ausstattung und verbreitet fehlende oder sehr eng ausgelegte Datenschutz- und Sicherheits-Standards sowie einengende arbeitsrechtliche Regelungen zutage befördert. Außerdem wurde deutlich, dass sowohl der Aufbau von kritisch reflektiertem medienpädagogischem Know-how, die Erarbeitung von Konzeptionen für eine virtuelle Offene Kinder- und Jugendarbeit und deren Einbettung in die „analoge“ und aufsuchende Arbeit erst am Anfang stehen und vorangetrieben und intensiviert werden müssen. Daher müssen alle vorabgenannten Themen in die konzeptionelle Weiterentwicklung einer zeitgemäßen OKJA in Theorie und Praxis aufgenommen werden, da sie auch langfristig ein wichtiger Baustein der Arbeit bleiben werden.

These 4: Demokratische Räume der Auseinandersetzung erhalten!

Räume und Angebote der Offenen Kinder- und Jugendarbeit werden durch junge Menschen mitbestimmt und mitgestaltet. Die OKJA bietet Gelegenheiten zur Selbstorganisation und bildet durch ihre Strukturmerkmale einen Rahmen für die demokratische und diskursive Aushandlung unterschiedlicher Interessen. Die jungen Menschen erfahren und erleben hier Grundsätze eines demokratischen Gemeinwesens: Selbstbestimmung und Mitbestimmung, aber auch Rücksichtnahme, Interessensausgleich, eine friedliche und konstruktive Konfliktlösung sowie die Verantwortungsübernahme für sich selbst und das Engagement für andere.
Die OKJA selbst und auch politische Entscheidungsträger/-innen sind heute mehr denn je aufgefordert, diese demokratischen Freiräume für junge Menschen zu stärken. Mit- und Selbstbestimmung der jungen Menschen, ihre Selbstorganisation, muss weitestgehend ermöglicht werden. Gerade jetzt, wenn die Corona-Pandemie dazu führt, dass Freiheitsrechte und demokratische Mitbestimmungsrechte der Bürger/-innen eingeschränkt werden und ein wachsender Rechtspopulismus sichtbarer wird, braucht es auch die OKJA, damit junge Menschen als Demokrat/-innen aufwachsen können.

These 5: Den gesellschaftlichen Beitrag Offener Kinder- und Jugendarbeit markieren

Angesichts finanzieller Engpässe in den Kommunen, die sich durch die Corona-Pandemie verschärfen werden, ist die OKJA einmal mehr und dringend aufgefordert, ihren Beitrag deutlich zu machen, den sie für ein Aufwachsen junger Menschen und damit für Gesellschaft leistet. Sie ermöglicht in mehrfacher Hinsicht Gelegenheiten zur Demokratiebildung, aktuell zum Beispiel, indem sie junge Menschen in der Pandemie nicht alleine lässt und dafür Sorge trägt, dass ihre Bedürfnisse und Interessen gehört werden. Nur eine Gesellschaft, die die Perspektiven junger Menschen wahr und ernst nimmt, wird auch von den jungen Menschen als relevant für ihr Leben erfahrbar. Andernfalls ziehen sie sich zurück, begehren auf und werden dann als „gefährliche Jugend“ markiert oder wenden sich anderen Kontexten zu, z.B. Verschwörungstheorien.

Die Verfasser des Thesenpapiers

Der Kooperationsverbund Offene Kinder- und Jugendarbeit (KV OKJA) ist ein Zusammenschluss von Fachleuten aus Praxis und Hochschule, die sich der Offenen Kinder-und Jugendarbeit verbunden fühlen. Ziel ist die bessere Sichtbarkeit, Darstellung und Vertretung des Feldes, insbesondere auf Bundesebene, und die Schaffung einer Plattform für Auseinandersetzung, Diskussion und Weiterentwicklung der Offenen Kinder-und Jugendarbeit in Deutschland. Der KV OKJA hat sich im März 2016 gegründet.

Die BAG Offene Kinder- und Jugendeinrichtungen e.V. (BAG OKJE) ist der bundesweite Zusammenschluss von mehr als 1000 verschiedenen Trägern mit über 5.000 Einrichtungen und Angeboten der Offenen Kinder- und Jugendarbeit. Die Mitglieder sind Bundes- und Landesverbände sowie überregionale Zusammenschlüsse. Diese werden durch keine andere Institution auf Bundesebene vertreten. Die BAG OKJE besteht seit 1994.

Quelle: Kooperationsverbund Offene Kinder- und Jugendarbeit und BAG Offene Kinder- und Jugendeinrichtungen e.V. im Januar 2021

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