Demokratie

DIW Berlin: AfD wurde bei der Bundestagswahl häufiger in ländlichen und überalterten Wahlkreisen gewählt

Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) untersucht den Zusammenhang zwischen AfD-Zweitstimmenergebnis und verschiedenen ökonomischen und soziodemografischen Variablen auf Wahlkreisebene. In Westdeutschland war die AfD in Wahlkreisen stark, in denen die Einkommen niedrig sind und viele Beschäftigte in der Industrie arbeiten. Im Osten sind es Wahlkreise mit hohem Anteil an Älteren und mit hoher Dichte von Handwerksbetrieben.

05.03.2018

DIW-Präsident Marcel Fratzscher und Ko-Autoren Christian Franz und Alexander Kritikos haben untersucht, wie das Wahlergebnis der Alternative für Deutschland (AfD) bei der letzten Bundestagswahl mit sieben ökonomischen und soziodemografischen Strukturvariablen der Wahlkreise im Zusammenhang steht. Bestimmte Merkmale, zum Beispiel die Arbeitslosenquote oder der Anteil an nichtdeutschen Bürgerinnen und Bürgern im Wahlkreis, scheinen hierbei kaum eine Rolle zu spielen. Für andere Faktoren ergeben sich positive Korrelationen, das heißt, dass in Wahlkreisen, in denen die AfD stark war, diese Merkmale besonders ausgeprägt sind. Die Muster unterscheiden sich dabei zwischen West- und Ostdeutschland.

Unterschiede zwischen West- und Ostdeutschland

„Im Westen ist die AfD in Wahlkreisen stark, in denen das verfügbare Haushaltseinkommen unter dem Bundesdurchschnitt liegt und der Anteil an Beschäftigten im verarbeitenden Gewerbe überproportional hoch ist. Im Osten schneidet die AfD in Regionen mit einem überdurchschnittlich hohen Anteil an Menschen über 60 Jahren sowie in Regionen mit einer hohen Dichte an Handwerksbetrieben gut ab“, fasst Alexander Kritikos die Hauptergebnisse zusammen. Die Dichte der Handwerksbetriebe gibt Hinweise auf die Wirtschaftsstruktur eines Wahlkreises sowie auf seine Besiedlung: Landstriche mit anteilig überproportional vielen Handwerksbetrieben sind tendenziell dünner besiedelt. Demnach fährt die AfD besonders gute Ergebnisse in dünn besiedelten und überalterten Wahlkreisen ein.

Die Studie zeigt somit, dass monokausale Erklärungen für den Erfolg der AfD zu kurz greifen. „Die AfD ist eben nicht die Partei der Arbeitslosen, der Einkommensschwachen oder der Ostdeutschen, die Realität ist vielschichtiger“, so Christian Franz. „Je nachdem, ob man West- oder Ostdeutschland betrachtet, scheinen andere Faktoren am Werk zu sein.“ Gleichzeitig betont er: „Unsere Untersuchung hat sich mit Strukturen und nicht mit individuellen Wahlentscheidungen und ihren Motivationen befasst.“

Monokausale Erklärungen greifen zu kurz

In einigen Wahlkreisen sind die untersuchten Faktoren weniger in der Lage, das AfD-Ergebnis abzubilden. Insbesondere in östlichen Grenzregionen in Sachsen und Bayern unterschätzt das Modell die Zustimmungsraten für die AfD. Die Autoren haben als zusätzliche Variable das Ergebnis der NPD bei der Bundestagswahl 2013 herangezogen, um diese Ausreißer in den AfD-Zweitstimmenergebnissen abzubilden. Tatsächlich besteht ein bedingt positiver Zusammenhang zwischen dem Zuspruch für die NPD vor vier Jahren und höheren Stimmanteilen für die AfD im Jahr 2017. Diese Korrelation ist für den Osten Deutschlands ausgeprägter als für den Westen.

„Wenn bestimmte strukturelle Merkmale besonders ausgeprägt sind, schwindet wohl der Rückhalt für etablierte Parteien und steigt offensichtlich der Zuspruch für die rechtspopulistische Partei AfD: niedrige Einkommen, ein starkes Gewicht der Industrie – hier könnte auch die Angst vor Jobverlusten durch Automatisierung und Digitalisierung eine Rolle spielen - und eine überalterte Bevölkerung in dünn besiedelten Regionen“, schlussfolgert Marcel Fratzscher. „Gerade auf diese Landstriche im Osten der Republik, in denen viele Ältere leben und aus denen die Jüngeren wegziehen, muss die Politik ihr Augenmerk richten: Die soziale Teilhabe muss verbessert und mehr Gewicht auf öffentliche Investitionen gelegt werden, so dass die Grundversorgung aufrecht erhalten bleibt und diese Regionen wieder lebenswerter werden.“

Zu den Daten und zur Methode

Die Studie basiert auf einer multivariaten Regressionsanalyse. Herangezogen wurden sieben Variablen, die jeweils auf Ebene der einzelnen Wahlkreise verfügbar sind: (1) das durchschnittliche verfügbare Haushaltseinkommen, (2) die Arbeitslosenquote, (3) der Anteil der Beschäftigten, die im verarbeitenden Gewerbe tätig sind, (4) die Dichte an Handwerksbetrieben, gemessen an der Anzahl der Handwerksunternehmen pro 1.000 EinwohnerInnen, als Indikator für eine mehr oder weniger kleinteilige Wirtschaft und für die Besiedlungsdichte des Wahlkreises  (5) der Anteil der über 60-Jährigen an der Gesamtbevölkerung, (6) der Anteil der Bevölkerung mit nicht-deutscher Staatsbürgerschaft (die Daten stammen allerdings hierbei aus dem Jahr 2015, und es haben in bestimmten Wahlkreisen seitdem erhebliche Änderungen stattgefunden), (7) die Abiturientenquote, als Indikator für den Bildungsgrad im Wahlkreis. Quelle für diese auf Wahlkreisebene aggregierten Daten ist der Bundeswahlleiter.      

Berlin wurde aus der Analyse ausgeschlossen, da die Stadt aus 12 teils sehr unterschiedlichen Wahlkreisen besteht, die Daten aber nur für die ganze Stadt verfügbar waren.

Die Studie „AfD in dünn besiedelten Räumen mit Überalterungsproblemen stärker“ (PDF 4,4 MB) steht als DIW-Wochenbericht online zur Verfügung.

Quelle: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung e.V. vom 21.02.2018

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