Sozialforschung
Deutschland und Inklusion: Die Hälfte der Bevölkerung nimmt Menschen mit Behinderung nicht wahr
Eine Umfrage zum dritten Jahrestag der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland zeigt: Die Mehrheit der Deutschen (87 Prozent) wünscht sich zwar eine inklusive Gesellschaft, die Realität sieht allerdings anders aus. Defizite gibt es vor allem im Bildungswesen.
23.02.2012
Im Jahr drei der UN-Behindertenrechtskonvention am 24. Februar leben Menschen mit und ohne Behinderung noch nicht so selbstverständlich zusammen, wie es die Konvention vorsieht. Eine aktuelle Umfrage der Aktion Mensch und Innofact ergab: 55 Prozent nehmen die rund 10 Millionen Menschen, die in Deutschland mit Behinderung leben, nicht wahr. Jeder Dritte hat überhaupt keinen Kontakt zu Menschen mit Behinderung. Vor allem in Schulen und Kindergärten ist der Gedanke der Inklusion noch nicht angekommen. Zwar glauben 30 Prozent der Befragten, dass Bildungseinrichtungen mittlerweile gut auf die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung eingestellt sind. Vom gemeinsamen Leben und Lernen kann in der Wahrnehmung aber nicht die Rede sein: Nur acht Prozent der befragten Erwachsenen geben an, in Bildungseinrichtungen regelmäßig Kontakt zu Menschen mit Behinderung zu haben.
„Die meisten Befragten sind der Überzeugung, dass wir auf dem Weg zu einem ganz normalen Zusammenleben noch ein großes Stück zurücklegen müssen. Der Knackpunkt ist, dass Menschen mit und ohne Behinderung nach wie vor zu wenig übereinander wissen und kaum Berührungspunkte haben“, sagt Martin Georgi, Vorstand der Aktion Mensch. „Wir wollen Anspruch und Realität in Deutschland weiter annähern. Es macht Hoffnung, dass der Wille zur inklusiven Gesellschaft da ist. Den allermeisten Menschen ist es ein echtes Anliegen, die Lücke zu schließen. Dieses Bedürfnis müssen Politik und zivilgesellschaftliche Akteure in gelebte Empathie, Engagement und Handeln umsetzen.“
Die meisten Kontakte von Menschen mit und ohne Behinderung finden am Arbeitsplatz statt: obwohl 43 Prozent der Befragten meinen, dass Menschen mit Behinderung eher schlechte Chancen am ersten Arbeitsmarkt haben, arbeiten 29 Prozent der Befragten mit Menschen mit Behinderung zusammen.
Die Inklusive Gesellschaft, in der behinderte und nicht-behinderte Menschen miteinander leben, ist noch nicht in den Köpfen der Menschen angekommen. Das bemängelte Udo Beckmann, der Bundesvorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) mit Blick auf die Studie der Aktion Mensch.
Die Studienergebnisse zeigten, dass dringend eine Veränderung stattfinden müsse, so Beckmann. Alle gesellschaftlichen Gruppen müssten bereit sein, Behinderte aufzunehmen und sie als normal zu akzeptieren. Die Unterzeichnung der UN-Charta zur Inklusion sei die richtige Entscheidung gewesen, so Beckmann weiter. Er betonte: „Die gelebte Inklusion an Schulen ist der erste Schritt dazu.“ Sie wird aber nur dann erfolgreich sein, wenn die Erwachsenen ihren Kindern auch Beispiel sind.
„Schulen dürfen keine Inklusions-Inseln sein“, fordert Beckmann. Fakt ist: Kinder, die hier die Gemeinsamkeiten mit ihren behinderten Freunden entdecken und mit ihnen aufwachsen, stellen eine wichtige Stufe zu einer offenen Gesellschaft dar. „Wenn wir hier erfolgreich sind, sind wir es auch, wenn wir die Kinder in ihr Leben als Erwachsene entlassen“, so Beckmann, „deswegen braucht eine inklusive Schule hervorragende Rahmenbedingungen.“
Quellen: Aktion Mensch / Verband Bildung und Erziehung
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