Sozialforschung
Wenig Anzeichen für Demokratiemüdigkeit unter Europas Bürgern
Wenden sich Bürgerinnen und Bürger von der Demokratie ab? Neue Studien von Politikwissenschaftlern der Universität Mannheim widersprechen der populären These von einer um sich greifenden Demokratieverdrossenheit.
11.01.2021
Für den Erhalt des demokratischen Staatswesens kommt es nicht nur auf konsensbereite Eliten, sondern auch auf die Bürger selbst an. Demokratien sind stabil, wenn Bürger bereit sind, ihr Recht auf Selbstregierung zu verteidigen. Eine Demokratie ohne Demokraten ist dauerhaft schwer vorstellbar. Zwei Studien der Universität Mannheim gehen nun der Frage nach, ob sich die Bürgerinnen und Bürger Europas von der Demokratie abwenden. Die Forscher untersuchen, inwieweit die Demokratie als Staatsform, ihre Institutionen und Werte Rückhalt unter den Bürgern verloren haben.
In den 18 untersuchten europäischen Demokratien zeigen sich keine Hinweise auf eine um sich greifende Demokratiemüdigkeit. Über den Zeitraum von 1981 bis 2018 blieb die Unterstützung für die Demokratie als bevorzugte Staatsform auf konstant hohem Niveau. In Deutschland beispielsweise befürworten 98 Prozent der Bürger das demokratische System als solches. Auch zwischen den Generationen lassen sich keine nennenswerten Unterschiede feststellen. Vertrauen in demokratische Institutionen wie dem Parlament fluktuierte ohne klaren Abwärtstrend. Auch zeigt sich nicht, dass Bürgerinnen und Bürger in Europa die Demokratie heutzutage als weniger wichtig erachten. Insgesamt sind die Einstellungen der Bürger zur Demokratie vor allem durch Stabilität gekennzeichnet.
„Jede Demokratie muss sich stets erneuern“
Studienautor Alexander Wuttke: „Dass sich die Menschen reihenweise von der Demokratie abwenden, ist ein Mythos. Von einer Demokratie ohne Demokraten sind wir weit entfernt. Jede Demokratie hat Mängel und muss sich stets erneuern. Momentan deuten aber alle verfügbaren Zahlen darauf hin, dass die Menschen in überwiegender Mehrzahl weiterhin von diesem System überzeugt sind.“
Allerdings bedeutet das Konzept der Demokratie bei einer Befragung zu unterstützen noch nicht, die Grundprinzipien der freiheitlichen Demokratien zu verstehen und zu befürworten. So ist beispielsweise in Italien im letzten Jahrzehnt der Anteil von „Pseudodemokraten“ gewachsen, die zwar nach eigenen Angaben das demokratische System weiterhin unterstützen, sich aber zugleich ein System mit starkem Führer ohne Parlamente wünschen. Doch gerade in Deutschland bleiben liberal-demokratische Grundprinzipien wie Meinungsfreiheit oder das Mehrparteiensystem weitgehend akzeptiert: 9 von 10 Deutschen stimmen zu, dass „eine lebensfähige Demokratie ohne politische Opposition nicht denkbar ist“.
Generation Z und Millennials sind Demokraten
Insgesamt zeichnen die Studien der Mannheimer Politikwissenschaftler daher ein positives Bild – auch bei der jüngeren Generation. Studienautor Konstantin Gavras: „Oft wird gesagt, die junge Generation wüsste die Demokratie nicht zu wertschätzen, weil für sie freie Wahlen ganz selbstverständlich seien. Tatsächlich zeigen die Daten, dass die Generation Z und die Millennials ebenso sehr an der Demokratie hängen wie die Nachkriegskohorten.“
Ob die Bevölkerung im Zweifelsfall auch bereit sein wird, das demokratische System auf der Straße oder an der Wahlurne zu verteidigen, hängt jedoch auch davon ab, ob ihnen demokratische Prinzipien wichtiger sind als parteipolitische Vorlieben. Denn in den Wahlentscheidungen einzelner Bürger ist die Demokratietreue der zur Wahl stehenden Kandidaten und Parteien nur eines von mehreren Kriterien.
Dazu Prof. Dr. Harald Schoen: „Für die Stabilität der Demokratie ist die anhaltend starke Unterstützung der Bevölkerung ein gutes Zeichen, aber auf gesichertem Grund steht das System der Selbstregierung damit noch nicht. Damit ein demokratisches System dauerhaft bestehen kann, kommt es letztlich auf die Bereitschaft der Bürger an, im Zweifelsfall der Einhaltung demokratischer Prinzipien den Vorrang vor parteipolitischen Vorlieben und anderen Eigeninteressen einzuräumen.“
Quelle: Universität Mannheim vom 09.11.2020
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