Leopoldina

Selbstregulationskompetenzen von Kindern und Jugendlichen als eine Leitperspektive im deutschen Bildungssystem

Selbstregulationskompetenzen sind entscheidend für das Wohlergehen und die Entwicklung junger Menschen. Die Leopoldina fordert daher, diese Fähigkeiten stärker im Bildungssystem zu fördern. Sie helfen Kindern und Jugendlichen, ihre Ziele zu erreichen und Herausforderungen wie Schulschwierigkeiten und psychische Belastungen zu bewältigen.

15.10.2024

Die Selbstregulationskompetenzen von Kindern und Jugendlichen sind entscheidend für ihr Wohlergehen und ihre Entfaltungsmöglichkeiten, insbesondere ihre psychische und körperliche Gesundheit, Bildung und soziale Teilhabe. Sie umfassen kognitive, emotionale, motivationale und soziale Fähigkeiten, die es erlauben, eigene Ziele zu erreichen und flexibel auf Veränderungen zu reagieren. Aber viele junge Menschen stehen vor erheblichen Herausforderungen wie psychischen und körperlichen Problemen, Zukunftsängsten und Schulschwierigkeiten.
Selbstregulationskompetenzen wirken hier präventiv und ermöglichen es allen jungen Menschen ihr individuelles und soziales Potenzial zu entfalten, mit großem Gewinn für unsere Gesellschaft. Darum soll die Förderung dieser Kompetenzen zu einer Leitperspektive des deutschen Bildungssystems werden, so die am 11.9.2024 veröffentlichte Stellungnahme „Förderung der Selbstregulationskompetenzen von Kindern und Jugendlichen in Kindertageseinrichtungen und Schulen“ der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina.

„Eine konsequente und nachhaltige Förderung der Selbstregulationskompetenzen kann die lebenslange Entwicklung und die Entfaltungsmöglichkeiten der einzelnen Kinder und Jugendlichen entscheidend verbessern – mit großem Nutzen für unsere Gesellschaft“, 

sagt Leopoldina-Mitglied Prof. Dr. Herta Flor vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim, Sprecherin der Arbeitsgruppe, die die Stellungnahme verfasst hat. Prof. Dr. Johannes Buchmann von der Technischen Universität Darmstadt, Sprecher der Arbeitsgruppe, ergänzt:

„Hier müssen Staat und Gesellschaft schnell handeln. Die Forschung zeigt, dass es für die Förderung der Selbstregulationskompetenzen nachweislich wirksame Ansätze gibt.“

In der Stellungnahme betonen die Autor*innen, dass auch zahlreiche systemische Veränderungen erforderlich sind, um das Wohlergehen und die Entfaltungsmöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen sicherzustellen. Dazu gehören eine angemessene sozioökonomische Förderung von Familien und Verbesserungen in Kindertageseinrichtungen und Schulen, ebenso der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor problematischer Internetnutzung und Werbung. Wegen der hohen Relevanz der Selbstregulation konzentriert sich die Stellungnahme auf deren Förderung, jedoch ausdrücklich ohne die Notwendigkeit systemischer Änderungen schmälern zu wollen.

Erhebliche Bildungsdefizite junger Menschen

Die Autor*innen unternehmen in der Stellungnahme eine empirisch fundierte Bestandsaufnahme des Wohlergehens und der Entfaltungsmöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Sie beschreiben verbreitete psychische Störungen sowie Ursachen körperlicher Probleme, gehen auf die erheblichen Bildungsdefizite junger Menschen und ihre Möglichkeit zur gesellschaftlichen Teilhabe ein. Als bedeutsame Risikofaktoren erweisen sich ein niedriger sozioökonomischer Status, Flucht- und Zuwanderungshintergrund, Gewalt- und Mobbingerfahrungen sowie – trotz aller Vorteile – digitale Medien und Techniken.

Die Fähigkeit zur Selbstregulation ist dagegen ein wichtiger Schutzfaktor. Die Autor*innen erläutern die psychologischen und neurowissenschaftlichen Grundlagen der Selbstregulation, etwa die Rolle von genetischer Disposition und Umwelteinflüssen. Sie empfehlen, die Förderung der Selbstregulationskompetenzen zu einer weiteren Leitperspektive des deutschen Bildungssystems zu machen. Dafür stellen sie zahlreiche wissenschaftlich fundierte Strategien vor, die in Kindertagesstätten und Schulen eingesetzt werden können. Diese richten sich einerseits auf die Weiterentwicklung von Lern- und Entwicklungsumgebungen in Richtung effektive Klassenführung, kognitive Aktivierung und konstruktive Unterstützung. Andererseits umfassen sie spezifische Programme, die auf unterschiedlichen Ansätzen beruhen: der Förderung von Kenntnissen über psychische Gesundheit, Methoden der Verhaltenstherapie und der kognitiven Verhaltenstherapie, Achtsamkeit und Mitgefühl sowie Körperübungen. Auch digitale Technologien können die Förderung unterstützen.

Die Stellungnahme betont, dass eine solche Weiterentwicklung des deutschen Bildungssystems die Kooperation aller Beteiligten erfordert, etwa Schülerinnen und Schüler, Eltern, Bildungseinrichtungen, Aus-, Weiter- und Fortbildungseinrichtungen für Bildungsfachkräfte, Beratungsgremien, Politik, Verbände, Gewerkschaften und Forschungseinrichtungen. Eine solche Weiterentwicklung muss datenbasiert erfolgen. Darum empfiehlt die Stellungahme zudem, die Datengrundlage im Bereich der Selbstregulationskompetenzen von Kindern und Jugendlichen deutlich zu verbessern, beispielsweise durch innovative Datenerhebungen mittels Smartphones und durch Erhebung bestimmter Indikatoren der Selbstregulationskompetenzen in den Schuleingangsuntersuchungen.

Hintergrund

Die Stellungnahme wurde von der interdisziplinär besetzten Arbeitsgruppe „Förderung der Selbstregulationskompetenzen von Kindern und Jugendlichen“ erarbeitet. Beteiligt waren Wissenschaftler*innen aus den Fächern Psychologie, Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Kinder- und Jugendmedizin, Bildungsforschung, Philosophie des Geistes, Ethik, Sportwissenschaft, Informatik und Statistik. Im Laufe der Erarbeitung bezog die Arbeitsgruppe auch Beiträge von Expert*innen ein, etwa Schüler- und Elternvertreter*innen, Lehrer*innen, Vertreter*innen aus der Lehrerbildung sowie Schulverwaltungen und Kultusministerien.

Quelle: Deutscher Präventionstag (DPT) vom 22.09.2024

Redaktion: Paula Joseph

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