Pandemiefolgen

Psychische Gesundheit muss für alle ein Menschenrecht sein

In einer nachdrücklichen Solidaritätsbekundung haben führende Gesundheitspolitiker aus der Europäischen Region der WHO ihre Entschlossenheit bekräftigt, die sich ausbreitende Krise der psychischen Gesundheit in der Region zu bekämpfen, die durch die verheerenden Folgen der COVID-19-Pandemie noch verschärft wurde.

10.08.2021

Die Auswirkungen der Pandemie auf die psychische Gesundheit werden langfristig und weitreichend sein. Von den Ängsten vor Ansteckung mit dem Virus und den psychologischen Folgen von Ausgangsbeschränkungen und Selbstisolation über die Auswirkungen von Arbeitslosigkeit, finanziellen Sorgen und sozialer Ausgrenzung bis hin zu den Hindernissen beim Zugang zu Präsenzkonsultationen: Jeder und jede ist auf die eine oder andere Weise betroffen.

Langfristige und weitreichende Auswirkungen der Pandemie

Nicht nur die Infektion oder die Angst vor Infektion hat Auswirkungen auf die psychische Gesundheit der Menschen. Vielmehr spielen auch die sozioökonomischen Ungleichheiten und die Folgen von Quarantäne, Ausgangsbeschränkungen und Schließungen von Schulen und Arbeitsplätzen eine erhebliche Rolle.

Menschen mit psychischen Vorerkrankungen tragen ein unverhältnismäßig hohes Risiko, sich mit COVID-19 zu infizieren; zudem haben die Pandemie und ihre Folgen, insbesondere die erhebliche Beeinträchtigung der psychischen Gesundheitsversorgung, ihre psychischen Probleme verschärft.

Dr. Hans Henri P. Kluge, WHO-Regionaldirektor für Europa, erklärte: „Die Menschen in der Europäischen Region brechen buchstäblich unter der Belastung durch die COVID-19-Pandemie und ihre Folgen zusammen. Diese Pandemie hat die Welt erschüttert. Weltweit haben mehr als vier Millionen Menschen ihr Leben verloren, und es wurden Existenzen zerstört, Familien und Gemeinschaften auseinandergerissen, Unternehmen in den Konkurs getrieben und Menschen ihrer Chancen beraubt. Diese Folgen der Pandemie fordern einen enormen Tribut in Bezug auf die psychische Gesundheit und das seelische Wohlbefinden der Menschen in der Europäischen Region.“

Chance für Reformen jetzt nutzen

„Doch die Pandemie, die in vielerlei Hinsicht so verheerende Auswirkungen hat, beinhaltet für die Länder auch eine Chance, ihre psychische Gesundheitsversorgung zu überdenken und zu reformieren. Diese Gelegenheit darf sich kein Land entgehen lassen, wenn wir einen Wiederaufbau zum Besseren anstreben.“

Psychische Gesundheit und seelisches Wohlbefinden sind grundlegende Menschenrechte

„Psychische Gesundheit und seelisches Wohlbefinden müssen als grundlegende Menschenrechte verstanden werden. Von einer Verbesserung der psychischen Gesundheitsversorgung profitieren letztendlich alle. Sie lindert nicht nur die Auswirkungen von COVID-19 auf die psychische Gesundheit, sondern begünstigt auch die nachhaltige Verbesserung der psychischen Gesundheit insgesamt und ermöglicht Einsparungen, die dem wirtschaftlichen Aufschwung zugute kommen; und sie unterstützt eine Vielzahl von Politikzielen, einschließlich der Verwirklichung einer allgemeinen Gesundheitsversorgung bis 2030.“

Vor allem Jugendliche, junge Erwachsene und Kinder betroffen

Dr. Vassilis Kikilias, Gesundheitsminister der Hellenischen Republik, sagte: „Es steht außer Frage, dass die Pandemie Auswirkungen auf die psychische Gesundheit von Menschen aller Altersgruppen hat, vor allem bei Jugendlichen, jungen Erwachsenen und Kindern. Nun müssen Wissenschaftler, Experten und die WHO zusammen mit den Mitgliedstaaten Handlungskonzepte entwickeln und umsetzen, die unseren bedürftigen Mitmenschen helfen.“

Margaritis Schinas, Vizepräsident für die Förderung unserer europäischen Lebensweise bei der Europäischen Kommission, erklärte: „Die COVID-19-Pandemie hat die schon davor beträchtlichen Herausforderungen für die psychische Gesundheit noch verschärft, die nun komplexer und vielgestaltiger geworden sind. Es gibt keine Entschuldigung für Verzögerungen und Untätigkeit bei unserer Antwort auf die unmittelbaren und längerfristigen Folgen dieser gesundheitlichen, sozialen und ökonomischen Krise. Unsere Antwort wird ganzheitlich sein, und vor allem auf die Menschen zugeschnitten. Zusammen mit der WHO wollen wir ein solides Bündnis für psychische Gesundheit aufbauen, um die Auswirkungen der Pandemie auf die psychische Gesundheit zu bekämpfen und zu mildern.“

Beispiel einer Betroffenen

Katerina, eine 38-jährige Griechin, ist seit 2002 wegen psychischer Probleme in Behandlung. Mit einer Mischung aus Therapie und Unterstützungsgruppen konnte sie ihr Leben gut meistern, doch mit Beginn der Pandemie geriet es wieder aus den Fugen.

Katerina sagte: „Während der Pandemie hat sich mein Alltagsleben abrupt verändert. Ich musste mich an die allgemeinen Regeln und die persönlichen Schutzmaßnahmen halten. Leider führte das Gebot zur sozialen Isolation bei mir vermehrt zu Angstzuständen und brachte alte Erinnerungen zurück. Darüber hinaus vereinbarte ich mit meinem Psychiater aufgrund der Unterbrechung der Selbsthilfegruppen eine Intensivierung meiner Behandlung. Gleichzeitig wurden alle meine Besuche bei meinem Vater zu seiner Sicherheit gestrichen, auch wenn er seit vielen Jahren mein Betreuer ist. Ich appelliere an die Politiker, auf die Stimmen von Menschen mit psychischen Gesundheitsproblemen zu hören, damit unsere Sichtweise in politischen Entscheidungen auf allen Ebenen berücksichtigt wird.“

Auf Wunsch des WHO-Regionaldirektors für Europa wurde im Februar 2021 ein fachlicher Beirat (TAG) eingesetzt, um den Mitgliedstaaten und anderen maßgeblichen Akteuren in der Europäischen Region Empfehlungen und Anleitung in Bezug auf die wichtigsten Auswirkungen von COVID-19 auf die psychische Gesundheit zu geben und den zuständigen nationalen Behörden wesentliche Gegenmaßnahmen vorzuschlagen.

Der Beirat hat folgende Empfehlungen an die Mitgliedstaaten ausgearbeitet

Allgemeinbevölkerung und Gesellschaft:

  • Verbesserung des Zugangs zu kultursensiblen psychischen Gesundheitsangeboten durch digitale und andere Lösungen;
  • Hilfe für die Menschen bei der Verbesserung der Widerstandsfähigkeit und bei der Bewältigung von Stressbelastung und Einsamkeit;
  • berufsbezogene bzw. finanzielle Unterstützung für nicht arbeitsfähige Personen;
  • Förderung von Initiativen zur psychologischen Unterstützung am Arbeitsplatz;
  • Ansetzen an den sozialen Determinanten psychischer Gesundheit, wie Armut und Arbeitslosigkeit;
  • Beobachtung von Veränderungen hinsichtlich der psychischen Gesundheit in der Bevölkerung.

Besonders gefährdete Gruppen:

  • Mehr kommunale Unterstützung für Jugendliche und junge Erwachsene;
  • Erhöhung der psychosozialen Unterstützung an Schulen und Universitäten;
  • Bereitstellung von Lernhilfen zum Nacharbeiten von versäumten Lerninhalten;
  • Förderung psychosozialer Unterstützung für unmittelbar von COVID-19 betroffene Menschen;
  • Entwicklung von Anleitungen zur Notfallvorsorge für Menschen mit Behinderungen und Menschen in Langzeitpflege.

Psychosoziale Dienste:

  • Stärkung der psychosozialen Dienste als integraler Bestandteil der Reaktion auf die COVID-19-Pandemie;
  • Bereitstellung patientenorientierter, gemeindenaher Angebote mittels innovativer Konzepte;
  • Gewährleistung, dass die psychische Gesundheitsversorgung rechtlich, operativ und finanziell abgesichert ist.

Beschäftigte im Gesundheits- und Sozialwesen:

  • Gewährleistung sicherer, fairer und unterstützender Arbeitsbedingungen für das an vorderster Linie eingesetzte Gesundheits- und Pflegepersonal, auch durch Bereitstellung geeigneter Geräte und Anpassung von Bezahlung und Arbeitsbedingungen;
  • Verbesserung des Zugangs zu Schulungen und Unterstützungsmaßnahmen im psychiatrischen und psychosozialen Bereich;
  • Bereitstellung von Schulungen für Vorsorge und Reaktion auf Infektionskrankheiten und andere gesundheitliche Notlagen für die Beschäftigten in der psychischen Gesundheitsversorgung und für Ersthelfer.

Quelle: WHO-Regionalbüro für Europa vom 22.07.2021

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