15 Jahre Flexibles Jugendmanagement in Sachsen
Projekt der Demokratiebildung und Jugendbeteiligung zieht Bilanz
Seit 15 Jahren existiert das Flexible Jugendmanagement (FJM) in Sachsen. Dass das Projekt im Jahr 2009 in zwei Landkreisen startete und nunmehr in 8 Landkreisen wirkt, begründet sich im 1. Kommunalforum im Jahr 2007 mit dem Titel „Sachsen - kein Platz für Extremismus und Gewalt“. Ein Artikel von Ulrike Läbe und Tina Hogk-Predatsch vom Kinder- und Jugendring Sachsen e.V..
28.11.2024
Im daraus entwickelten Rahmenkonzept werden folgende Punkte in der Ausgangslage aufgeführt und damit die Notwendigkeit der Etablierung des neuen Projektes begründet:
- Deutlicher Stadt-Land-Gegensatz bei den Versorgungsdichten in der Jugend- und Jugendsozialarbeit in Sachsen
- Zunehmende Ansprache von Jugendlichen durch antidemokratische, insbesondere rechtsextremistische Organisationen
- Fehlende oder unzureichende jugendkulturelle Angebote als Orte, die Sinn und Identität stiften und fehlende alternative Angebote zu rechten Strukturen (vgl. Landesjugendamt Sachsen 2009: 1)
Neben der klassischen Jugendarbeit in Verbänden und offenen Einrichtungen sowie der mobilen Jugendarbeit wurde das FJM als neuer Ansatz etabliert und knüpft an bestehende Jugendhilfestrukturen an.
Schließlich wird die Einführung des Flexiblen Jugendmanagements als Beitrag der Kinder- und Jugendhilfe zur Demokratiebildung und Demokratieerziehung“ bezeichnet (vgl. Landesjugendamt Sachsen 2009: 1).
Ist dies nach 15 Jahren Grund zum Feiern?
In einem Jahr, in dem die demokratiefeindliche AfD zweitstärkste Kraft bei den Landtagswahlen wurde und mehr Jugendliche als je zuvor mit der Partei sympathisieren oder sich für sie als Erstwähler*innen entschieden haben.
Das Projekt Flexibles Jugendmanagement zieht Bilanz
Band-Contests, Jugend-Discos, Festivals, Graffiti-Workshops, Kino-Abende, Bildungsfahrten, Demokratie-Parcours, historische Ausstellungen, internationale Jugendbegegnungen, Stolpersteinprojekte, Volleyball-Turniere, Bau von Skate-Parks und Dirtbike-Strecken, Vernetzungstreffen für Jugendgruppen und vieles mehr:
Das FJM unterstützt Jugendliche dabei, eigene Ideen und Projekte in ihrem Wohnumfeld umzusetzen und ermöglicht es ihnen, aktiv an ihrer Lebenswelt mitzuwirken. Durch Empowerment der Jugendlichen - in Bezug auf das Beantragen von Fördermitteln, die Suche nach Kooperationspartner*innen und die praktische Durchführung von Projekten - stärkt das FJM die Beteiligung und Selbstwirksamkeit von jungen Menschen. Durch die Schaffung demokratischer Begegnungsräume und die gemeinsame Umsetzung attraktiver und vielfältiger Angebote tragen das FJM und die Jugendlichen gemeinsam dazu bei, den ländlichen Raum wieder lebendiger und vielfältiger zu gestalten.
Besuche mit Jugendlichen in Stadt- und Gemeinderäten, Beratung von Kommunen und Fachkräften der Jugend(sozial)arbeit, Organisation von Tagungen zum Thema Jugendbeteiligung, Kooperationen mit Vereinen, Jugendverbänden und Fachkräften der Jugend(sozial)arbeit:
Das FJM bildet eine Schnittstelle und wirkt als Vermittler zwischen Erwachsenen und Jugendlichen, sensibilisiert Verantwortungsträger zum Thema Partizipation von jungen Menschen und tritt gemeinsam mit ihnen für deren Interessen ein. Die Projekte werden mit lokalen Kooperationspartner*innen durchgeführt und möglichst nachhaltig verankert.
Diese Handlungsansätze werden durch das Leitziel gerahmt: Das FJM fördert und (be)stärkt das Demokratiebewusstsein von jungen Menschen in ländlichen Regionen. Jugendliche, die an demokratischen Abläufen und Mitbestimmungsformen interessiert sind, die weltoffen sind und sich z.B. für Umweltschutz, menschliche Werte oder Geschlechtergerechtigkeit engagieren möchten, werden durch das FJM gestärkt und unterstützt. Insbesondere im ländlichen Raum werden Jugendliche, die sich offen mit diesen Themen beschäftigen, mitunter nicht ernst genommen oder gar angefeindet. Jugendliche, die demokratieskeptisch sind, können über praktische Projektarbeit in ihrer Lebenswelt eine Selbstwirksamkeits- und positive Demokratie-Erfahrung erleben. Das FJM hat in seinem Wirken eine klare menschenrechtsorientierte Haltung, die in Zeiten eines erstarkenden Rechtsrucks und damit verbundenen menschenfeindlichen Einstellungen, von großer Bedeutung ist. Damit einher geht die Überzeugung, dass es kein „Neutralitätsgebot“ für pädagogische Fachkräfte gibt, sondern dass - insbesondere in Jugendarbeit und Schule - menschenfeindlichen oder diskriminierenden Äußerungen klar widersprochen werden muss und es einer demokratischen Positionierung bedarf.
15 Jahre FJM - ein Grund zu Feiern!
Die Herausforderungen, denen das FJM heute gegenübersteht, sind denen vom Projektstart-Jahr 2009 sehr ähnlich. Das ländliche Sachsen ist nach wie vor eine strukturschwache Region mit eingeschränkten Mobilitätsmöglichkeiten, fehlenden jugendspezifischen Angeboten, schlechten oder fehlenden Beteiligungschancen und großer Demokratieskepsis, antidemokratischen und rechtsextremistischen Organisationen, welche junge Menschen als Zielgruppe identifizieren. Das FJM kann diese Problematik mit Blick auf die Ressourcen, aber auch die gesamtgesellschaftliche Dimension der Herausforderung natürlich nicht in Gänze lösen.
Dennoch: Das FJM führt seit seinem Bestehen jedes Jahr sehr viele erfolgreiche Angebote mit Jugendlichen um und ist als Akteur der Jugendarbeit vor Ort nicht mehr wegzudenken. Das Projekt ist bundesweit einzigartig in seinem Ansatz. Das FJM unterstützt seit 15 Jahren junge Menschen dabei, eigene Projekte zu realisieren und empowert zu werden, eigene Interessen zu vertreten und ihre Rechte einzufordern. Das FJM leistet dabei einen wichtigen Beitrag zur Schaffung von kontinuierlichen Beteiligungsstrukturen, etwa durch Unterstützung verschiedener Jugendinitiativen oder -gremien.
Und es darf die Frage gestellt werden: Wie würde es in all den sächsischen Landkreisen ohne das FJM aussehen? Sie wären definitiv um eine Vielzahl von Freiräumen und Begegnungsorten im Sport- und Kulturbereich ärmer und es würde viel weniger Jugendliche geben, die durch eigens initiierte Projekte oder die Mitwirkung und Teilnahme an Bildungsfahrten, internationalen Jugendbegegnungen oder historisch-politischen Projekten Aha-Effekte hatten, dadurch geprägt oder in ihrem schon bestehenden Engagement bestärkt wurden.
Jugendbeteiligung als zentrales Leitziel des FJM kann bewirken, dass junge Menschen seltener den Wohnort verlassen und dass sie nach Ausbildung oder Studium wieder zurückkehren. Sie kann die Lebensqualität von Jugendlichen erhöhen und die Identifikation mit ihrem Wohnort verstärken. Bei Erwachsenen, die bereits im Jugendalter Selbstwirksamkeitserfahrungen machen konnten, ist die Wahrscheinlichkeit zudem höher, sich weiterhin bzw. erneut zivilgesellschaftlich zu engagieren.
„Die Arbeit des FJM ist zentral für die Demokratiebildung und gesellschaftliche Teilhabe junger Menschen“, sagt Vincent Drews, Vorsitzender des Kinder- und Jugendrings Sachsen. „Alle Standorte engagierten sich intensiv bei den U18-Wahlen und setzten zahlreiche Demokratieprojekte um“. Er betont, dass es essenziell sei, die Finanzierung des FJM langfristig zu sichern und auszubauen, um eine wirkungsvolle Jugendarbeit vor Ort zu gewährleisten und nachhaltig zu stärken, da das FJM einen ergänzenden Ansatz zur Unterstützung der Jugendarbeit im ländlichen Raum bietet.
Dennoch möchte und muss das FJM weiterhin in den Diskurs mit Fachkräften, Vereinen und Verbänden der Jugend(sozial)arbeit als auch mit Schulen gehen, wie mit dem verstärkten Rechtsruck bei Jugendlichen umgegangen werden kann. Hier bedarf es einer Reflexion, den gegenseitigen Fachaustausch und weiterer Ansätze und Konzepte, um dieser Herausforderung zu begegnen.
Netzwerke machen Sinn, so Bernd Heidenreich, stellvertretender Leiter des Landesjugendamtes in Sachsen und Wegbereiter des FJM:
„Das FJM ist ein großes Netzwerk bestehend aus Fachkräften und jungen Menschen, um in den Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen FREIRÄUME außerhalb von Schule & Familie zu schaffen. Darüber hinaus fungiert das FJM als Übersetzer der Bedürfnisse junger Menschen gegenüber den Entscheidungsträger*innen aus Politik & Verwaltung, welches in der gegenwärtigen gesellschaftlichen Verfasstheit von elementarer Bedeutung in Bezug auf die Umsetzung der Rechte von Kindern und Jugendlichen ist.“
Erst kürzlich ist das sächsische Projekt um zwei weitere Landkreise angewachsen. Aktuell ist das FJM somit in acht Landkreisen Sachsens vertreten - Sächsische Schweiz-Osterzgebirge, Meißen, Erzgebirgskreis, Landkreis Görlitz, Landkreis Leipzig, Mittelsachsen, Vogtlandkreis und Westsachsen. In allen Landkreisen ist das FJM an die lokalen Jugendringe angegliedert. Mit dieser Anbindung an die Jugendverbandsarbeit ist eine bestmögliche regionale Vernetzung gegeben. Die sächsischen FJM-Teams haben eine eigenständige Arbeitsweise entwickelt, welche sich an den verschiedenen lokalen Bedingungen der Landkreise orientiert. Dabei stehen die Teams in regelmäßigen gegenseitigen Fachaustausch auf Klausurtreffen oder in Arbeitsgruppen (vgl. Jugendring Oberlausitz e.V.: 2). Übergeordnet unterstützt und koordiniert wird das Projekt durch eine Landeskoordinierungsstelle beim Kinder- und Jugendring Sachsen.
Das Flexible Jugendmanagement muss seine bewährte Arbeit auch in Zukunft fortführen und sich gleichzeitig fachlich weiterentwickeln, um aktuellen jugendpolitischen Herausforderungen gerecht zu werden. Ein zentraler Schwerpunkt liegt dabei auf dem wachsenden Einfluss von Medien, sozialen Netzwerken und Digitalisierung. Darüber hinaus legt das FJM großen Wert auf Diversität und Inklusion. Die Angebote sollen so ausgebaut werden, dass sie alle und somit noch mehr Jugendliche erreichen und niemanden ausschließen, um eine offene und vielfältige Umgebung zu fördern. Drews unterstreicht: „Wir müssen sicherstellen, dass das FJM in allen Regionen Sachsens weiter ausgebaut wird, um den Erfolg dieses Programms zu gewährleisten.“
ein Artikel von Ulrike Läbe und Tina Hogk-Predatsch
Literaturverzeichnis
- Landesjugendamt Sachsen (2009): Flexibles Jugendmanagement als Beitrag der Kinder- und Jugendhilfe zur Demokratiebildung und Demokratieerziehung. , (abgerufen am 23.9.2024).
- Jugendring Oberlausitz e.V.: „Das Flexible Jugendmanagement in Sachsen“ , (abgerufen am 23.9.2024)
Links
- Broschüre (2024) „Auf dem Land geht was…“ (PDF: 5,37 MB)
- Clip (2024) „Auf dem Land geht was…“
- Broschüre (2012) „Flexibles Jugendmanagement“ (PDF: 966 KB)
Quelle: Kinder- und Jugendring Sachsen vom 07.11.2024
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