Offener Brief

Zur Zukunft der Forschung zu sexualisierter Gewalt (in pädagogischen Kontexten)

Beteiligte der Förderlinie „Forschung zu sexualisierter Gewalt“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) fordern in einem Offenen Brief, dass Forschungsförderung zu sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche dauerhaft und nachhaltig abgesichert wird. Hintergrund ist, dass nach aktuellem Kenntnisstand keine weitere fokussierte Forschungsförderung des BMBF zu diesem Themengebiet geplant ist.

19.10.2023

Die Verfasser*innen des Offenen Briefs vom 10.10.2023 weisen darauf hin, dass weiterhin ein umfassender Forschungsbedarf besteht und es daher eine nachhaltige Absicherung der Forschungsförderung braucht: „Der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexualisierter Gewalt als gesamtgesellschaftliche Aufgabe erfordert fundiertes Grundlagenwissen. Mit der BMBF-Förderlinie „Forschung zu sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in pädagogischen Kontexten“ wurden in den vergangenen zwölf Jahren erste Grundlagen für die Entwicklung einer Forschungslandschaft gelegt. Das in dieser Breite noch junge Forschungsfeld kann jedoch gerade in Deutschland keineswegs als etabliert gelten. Weiterhin besteht erheblicher Forschungsbedarf, dessen Bearbeitung eine darauf gerichtete Förderstruktur voraussetzt. Das BMBF als Mitglied im Nationalen Rat ist daher aufgefordert, diese weiterhin sicherzustellen.“

Darum fordern die Unterzeichnenden alle Verantwortlichen auf, ihren Beitrag zu leisten, die Forschungsförderung zu sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche dauerhaft und nachhaltig abzusichern!

Die Verfasser*innen identifizieren außerdem sechs Forschungslücken, die von hoher Bedeutung für das Feld sind:

„Zudem gibt es eine Reihe sehr bedeutsamer, bislang aber kaum bearbeiteter Forschungsthemen. Aus [Sicht der Verfasser*innen] wären folgende sechs Forschungsthemen im nächsten Schritt von prioritärer Bedeutung im Feld:

  1. Bedingungen für die Wirksamkeit, Folgen und Nachhaltigkeit von Schutzkonzepten gegen sexuali-sierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen im institutionellen Gefüge des Aufwachsens: Institutionelle Schutzkonzepte stellen in Deutschland einen zentralen Ansatz für einen verbesserten Schutz von Kin-dern und Jugendlichen dar. Es fehlen aber belastbare Erkenntnisse dazu, unter welchen Bedingungen sie sexualisierte Gewalt tatsächlich zurückdrängen können.
  2. Wege zu Hilfe und Zugänge zum Recht auf gewaltfreies Aufwachsen: Verbesserungen professionel-ler Angebote kommen nicht automatisch bei Betroffenen an. Die letzte größere Studie bspw. dazu, wie viele Stellen Betroffene kontaktieren müssen und welche Wartezeiten sie erdulden müssen, liegt be-reits mehr als 20 Jahre zurück!
  3. Schutz vor digitaler sexualisierter Gewalt im Alltag von Kindern und Jugendlichen: Kinder und Ju-gendliche leben in hochgradig digitalisierten Welten. Institutionelle Schutzkonzepte zeigen sich mit dieser Situation in der Fläche bislang überfordert. Deshalb sind hier erhebliche Anstrengungen erfor-derlich, um aus vorhandenen Ideen belegbar wirksame Konzepte zu machen und diese ohne Qualitäts-verlust in die Fläche zu bringen.
  4. Trauma, Gedächtnis und Recht: Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexualisierter Gewalt be-inhaltet Schutz durch strafrechtliche Verfolgung von Erwachsenen, die sexualisierte Gewalt ausüben. Allerdings sind die Verurteilungsquoten in Deutschland gering und es bestehen eklatante Widersprü-che in der Bewertung von Zusammenhängen zwischen Trauma und Gedächtnis. Klärung und wissen-schaftlich fundierte Lösungsvorschläge sind daher dringend erforderlich.
  5. Forschung für und zu überforderten Institutionen und Infrastrukturen: In der Klemme zwischen Fachkraftmangel, Pandemiefolgen und wachsenden Erwartungen an Institutionen gilt es wissenschaft-lich auszuloten, wie der Schutz vor sexualisierter Gewalt ohne Qualitätsverluste mit anderen Präventi-onsthemen und Anforderungen gut verknüpft werden kann.
  6. Citizen Science und Partizipative Forschung von und mit Betroffenen: Seit Jahren wird die Stärkung der partizipativen Forschung gefordert. Es wurde ebenfalls ein Positionspapier zur partizipativen For-schung bereits am Ende der ersten Förderphase entwickelt. Dennoch ist die methodologische und or-ganisationale Absicherung bisher nur begrenzt geschehen. Die Anerkennung der Betroffenen durch die Forschung erfordert geradezu partizipative Forschungszugänge.“

Die Verfasser*innen appelieren folgendes: „Die Prävention von und Intervention bei sexualisierter Gewalt braucht ein weiteres starkes Engagement aller gesellschaftlichen Kräfte, Praxisakteure und politisch Verantwortlichen. Der Beitrag von Wissenschaft und Forschung ist hierbei für ein sicheres Aufwachsen und den Schutz junger Menschen vor sexualisierter Gewalt unverzichtbar. Dafür braucht es ein weiteres starkes Engagement des zuständigen Ministeriums, um einen eigenen Forschungsschwerpunkt, dessen Absicherung sowie flexible Finanzierungsmodelle für beteiligungsorientierte Projekte und partizipative Formate zu ermöglichen.“

Weitere Informationen

Quelle: Freie Universität Berlin Arbeitsbereich Sozialpädagogik

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