Deutsches Kinderhilfswerk
Kindeswohl in Justiz- und Verwaltungsverfahren stärker berücksichtigen
Das Deutsche Kinderhilfswerk mahnt zur Halbzeit der Ampel-Koalition bei der Bundesregierung eine stärkere Berücksichtigung des Kindeswohls in Justiz- und Verwaltungsverfahren an. Dafür sollte nach Ansicht der Kinderrechtsorganisation die Kinderrechte sowohl in der juristischen als auch in der Verwaltungsausbildung eine sehr viel stärkere Rolle spielen.
30.10.2023
Besondere Bedeutung kommt auch der verpflichtenden Qualifikation aller Fachkräfte zu, die im Kontext von Gerichts- und Verwaltungsverfahren mit Kindern zu tun haben. Dafür muss das Schulungs- und Beratungsangebot für Fachkräfte im Hinblick auf die Ermittlung und Gewichtung des Kindeswohls umfassend ausgebaut werden.
„Im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung ist festgelegt, dass die Bundesregierung den Kinderschutz in Justiz- und Verwaltungsverfahren stärkt sowie einen Fortbildungsanspruch für Familienrichterinnen und Familienrichter gesetzlich verankert. Zudem soll für eine kindersensible Justiz und Verwaltung gesorgt werden, die Kindern Gehör schenkt. Wir müssen demgegenüber in der Gesamtschau feststellen, dass dieses Thema in der Politik und an den Gerichten noch viel zu wenig Berücksichtigung erfährt. Ziel muss es insgesamt sein, die Einhaltung und wirksame Umsetzung aller Kinderrechte in justiziellen und Verwaltungsverfahren zu erreichen. Denn zahlreiche Studien zeigen auf, dass die Situation von Kindern und Jugendlichen in behördlichen und gerichtlichen Verfahren in Deutschland oftmals weder den internationalen menschenrechtlichen Anforderungen noch den Leitlinien des Europarates für eine kindgerechte Justiz entspricht. So werden Kinder häufig nicht kindgerecht beteiligt und angehört, obwohl Verfahren ihre Interessen betreffen und die Entscheidungen weitreichende Folgen für ihr Leben haben“, betont Anne Lütkes, Vizepräsidentin des Deutschen Kinderhilfswerkes.
Kinder als Beteiligte ernst nehmen
„Gerichtliche Verfahren, beispielsweise im Bereich des Strafrechts, des Familienrechts oder des Asylrechts, sind für die betroffenen Kinder und Jugendlichen häufig sehr schwer verständlich, belastend und haben nicht selten existentielle und höchstpersönliche Fragen zum Gegenstand. Deshalb muss das Schulungs- und Beratungsangebot für Fachkräfte im Hinblick auf die Ermittlung und Gewichtung des Kindeswohls umfassend ausgebaut werden. So sind Kinder zum Beispiel Beteiligte in familienrechtlichen Verfahren bei einer Scheidung der Eltern, Zeuginnen und Zeugen in strafrechtlichen Verfahren oder Betroffene in Asylverfahren. Laut Umfragen wünschen sich Kinder besser gehört, informiert und mit Respekt behandelt zu werden. Das müssen wir ernst nehmen und umsetzen, um Kindern den vollen Zugang zum Recht zu garantieren. Die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen ist ein wesentlicher Bestandteil zur Bestimmung des Kindeswohls, nur so können sach- und kindgerechte Lösungen beispielsweise in Familienverfahren getroffen werden“, so Lütkes weiter.
„Deshalb sollten die Kinderrechte sowohl in der juristischen als auch in der Verwaltungsausbildung eine viel stärkere Rolle spielen. Darüber hinaus braucht es beispielsweise die gesetzliche Pflicht zu Fortbildungen für alle Familienrichterinnen und -richter, eine einheitliche Zertifizierung der Qualifikation von Verfahrensbeiständen, und damit einhergehend die Schaffung ausreichender räumlicher und zeitlicher Ressourcen sowie technischer Voraussetzungen für eine kindgerechte Verfahrensgestaltung. Es braucht also eine verpflichtende Qualifikation aller Fachkräfte, die im Kontext von Gerichts- und Verwaltungsverfahren mit Kindern zu tun haben. Hierzu gehört neben einer gesetzlichen Verpflichtung zur spezifischen Qualifikation auch die verpflichtende Überprüfung, dass die Qualifikation mit Aufnahme der Tätigkeit vorliegt und durch Fort- und Weiterbildungen dem rechtlich und wissenschaftlich aktuellen Stand entspricht. Wichtig sind zudem dauerhaft vom Bund finanzierte Förderprogramme für Pilotprojekte und Pilotprozesse zur Umsetzung des Kindeswohlvorrangs im kommunalen Handeln. Dabei braucht es auch Anreizsysteme zur Nutzung dieser Programme“, sagt Anne Lütkes.
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