Kinderschutz
Kinderrechte und Kirchenrecht: Perspektivwechsel notwendig

Prof. Dr. jur. Frank Czerner forscht in Rom und legt zwei Publikation vor. Er stellt fest: Bestimmte Konventionsrechte aus der vom Heiligen Stuhl unterzeichneten UN-Kinderrechtskonvention finden sich auch im katholischen Kirchenrecht wieder. Es gibt aber Leerstellen. Insbesondere die Perspektive auf die Opfer von Kindesmissbrauch kommt seiner Ansicht nach noch zu kurz.
12.02.2025
Prof. Dr. jur. Frank Czerner ging der Frage nach, inwieweit sich die UN-Kinderrechte-Konvention (UN-KRK) im römisch-katholischen Kirchenrecht, dem Codex Iuris Canonici (CIC) abbildet, und hielt sich dafür unter anderem im Jahr 2022 mehrere Monate am Institut der Görres-Gesellschaft in Rom auf. Die Regelungen des CIC betreffen sowohl die innere Verfasstheit der römisch-katholischen Kirche als auch ihr Verhältnis nach außen und ihr Verhältnis zu den Gläubigen. Kann der UN-KRK-Text als kindeswohlschützende Interpretationshilfe oder sogar als Auslegungsdirektive des CIC angesehen werden? Kann also die völkerrechtliche Verpflichtung, die durch Unterzeichnung der UN-KRK von der katholischen Kirche eingegangen ist, auch Auswirkungen auf das katholische Kirchenrecht haben?
Die UN-Kinderrechtskonvention vom 1989 wurde in der Folge von 196 Staaten unterzeichnet, darunter sehr früh – als viertem Unterzeichner – auch vom Heiligen Stuhl als nichtstaatliches Völkerrechtssubjekt, das heißt vom Papst als höchstem Repräsentanten der römisch-katholischen Kirche.
„Für die Bedeutung dieser Fragen muss man sich bewusst machen“, so Czerner,
„dass der Papst als Oberhaupt der weltweiten römisch-katholischen Kirche mit der Unterzeichnung der UN-KRK ein wichtiges Zeichen gesetzt hat – also nicht der Vatikan als Staat, sondern der Heilige Stuhl, aber mit Bindungswirkung auch für den Vatikan. Der Papst vertritt hier den Heiligen Stuhl, das heißt die Kirche, und auch den Vatikan, das heißt den Staat der Vatikanstadt. Insofern gilt die UN-Kinderrechte-Konvention für die gesamte römisch-katholische Kirche weltweit – und dann auch für den Vatikan.“
Kirchenrecht und Kinderrecht
Das Verhältnis von Kirchenrecht und UN-Kinderrechtskonvention hat erstmals Czerner wissenschaftlich untersucht. Er nimmt das Regelwerk der Vereinten Nationen und die Bestimmungen des Kanonischen, das heißt kirchlichen, Rechts (CIC) systematisch in den Blick und macht Übereinstimmungen, aber auch Leerstellen sichtbar.
Er stellt fest, dass nationale Regelungen zum Kinderschutz, die die UN-KRK umsetzen, über die internationalen Mitarbeiter aus dem Gremium für die päpstlichen Gesetzestexte in das CIC eingeflossen sind. So lassen sich bestimmte Konventionsrechte aus der UN-Kinderrechtskonvention auch im katholischen Kirchenrecht wiederfinden.
Binnenperspektive und Opferperspektive
Dazu gehöre auch, dass inzwischen verschiedene Formen des sexuellen Kindesmissbrauchs aufgenommen und sehr gut ausformuliert worden seien. Auch was die Reaktion auf Missbrauchsfälle betrifft, sei einiges passiert, so Czerner, und verweist auf Papst Franziskus‘ Apostolisches Schreiben „Vos estis lux mundi“ („Ihr seid das Licht der Welt“) von 2019 (aktualisiert 2023). Im Interview mit Radio Vatikan im Januar 2025 sagt der Mittweidaer Wissenschaftler:
„Da geht es sehr, sehr detailliert um kirchenrechtliche Maßnahmen zum Umgang mit Fällen des sexuellen Missbrauchs in der Kirche. Ich halte gerade diesen Text für einen der wichtigsten Texte im Zusammenhang mit der Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs. Hier geht es um das Verfahren, die Durchführung der Untersuchung, die Meldung, den Umgang mit Missbrauchsvorwürfen. Und Papst Franziskus hat in diesem Text auch sehr, sehr deutlich gemacht, dass eben auch die Opferseite gesehen werden muss, dass das Opfer als solches wahrgenommen werden muss.“
Schon im Jahr 2016 habe der Papst in seinem Apostolischen Schreiben „Come una madre amorevole“ („Wie eine liebende Mutter“) eine weitere Lücke im Kirchenrecht geschlossen, in dem auch die Absetzung von Bischöfen geregelt wurde, die im Blick auf den sexuellen Missbrauch in ihrer Kirche die Sorgfaltspflichten vernachlässigten oder Fälle sogar vertuschten.
Beide Beispiele zeigen aber auch die vornehmliche Binnensicht des aktualisierten Kirchenrechts. Die Perspektive Missbrauchsbetroffener komme immer noch zu kurz, so – der Jurist und Nicht-Kirchenrechtlicher – Czerner gegenüber Radio Vatikan: „Mir scheint da ein Perspektivwechsel notwendig zu sein: weniger vom Schutz der Institution ausgehen, sondern eher von der Opferperspektive.“
Das komplette Interview mit Professor Frank Czerner zum Nachhören sowie eine Zusammenfassung in Textform finden sich auf der deutschsprachigen Seite von Radio Vatikan.
Frank Czerner lehrt an der Hochschule Mittweida Recht in den Studiengängen „Soziale Arbeit“ und „Allgemeine und Digitale Forensik“. Seine Forschungsschwerpunkte sind neben der intra- und internationalen Wahrung von Kinderrechten medizinrechtliche und medizinethische Fragestellungen zum Lebensbeginn, sowie rechtsmedizinische Fragestellungen.
Weitere Informationen
- Interview auf Radio Vatikan
- Verlagsinformation"(Neu-)Justierung und -Auslegung ..."
- Verlagsinformation "Der Vatikan als ..."
Quelle: Hochschule Mittweida – University of Applied Sciences vom 07.02.2024
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