Tiroler Covid-19-Kinderstudie

„Kinder und Jugendliche sind deutlich stärker belastet.“

In Tirol steht das psychische Wohlergehen von Kindern im Alter von 3 bis 12 Jahren im Fokus einer Studie. Insgesamt zwei Jahre soll die Studie dauern. Die Ergebnisse der mittlerweile zweiten Befragungsrunde zeigen, dass die Kinder deutlich mehr belastet sind. Die Ergebnisse sind für uns durchaus alarmierend, sagen die Expertinnen der Universitätsklinik Innsbruck.

26.03.2021

24 Monate dauert das vom Land Tirol geförderte Forschungsprojekt der Universitätsklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik im Kindes- und Jugendalter. Ziel ist die langfristige Erfassung von Angst-, Stress- und Traumasymptomen sowie der Lebensqualität der 3 bis 12-jährigen Kinder. Bei der zweiten Befragungsrunde, die von Dezember bis Ende Januar 2021 gedauert hat, waren Familien aus ganz Tirol gebeten worden, die eigens entwickelten Onlinefragebögen auszufüllen. 703 Familien aus Nord- und Südtirol, um 280 mehr als bei der ersten Befragungsrunde, haben teilgenommen. Zusätzlich wurden 224 Kinder, um 4 mehr als beim ersten Mal, befragt. Ein Großteil der Teilnehmer/-innen der ersten Fragerunde waren auch diesmal dabei. „Wir haben dank der sehr regen Beteiligung jetzt die Möglichkeit, die beiden Erhebungszeitpunkte März 2020 und Januar 2021 miteinander zu vergleichen“, erklärt Kathrin Sevecke, Leiterin der Studie und Primaria der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik am Landeskrankenhaus (LKH) Hall. Die Ergebnisse seien durchaus alarmierend. Ein Bild, das sich auch mit den Erfahrungen der erst im Dezember letzten Jahres eingerichteten Spezialsprechstunde und Telefonhotline an der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Hall in Tirol für stark belastete Kinder und deren Eltern deckt. Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Studie hatten hier schon direkt zur Weiterentwicklung von Entlastungs- und Unterstützungsmaßnahmen beigetragen. „Wir sehen, dass die Anzahl der Kinder, die sich stark belastet fühlen, steigt“, sagt Sevecke.

Kinder zeigen deutlich mehr Traumasymptome und Angst

Für die erste Untersuchung waren vor allem Familien aus Hotspotregionen wie dem Paznaun- oder Grödnertal befragt worden. Die Auswertung der Zeit der ersten Quarantäne zeigt damals in Bezug auf Traumatisierung und Angstempfinden noch keine signifikanten Auffälligkeiten. „Das hat sich diesmal deutlich geändert“, erklärt Silvia Exenberger, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Studie und Klinische und Gesundheitspsychologin. Nach Selbstauskunft der Kinder sind die Traumasymptome um rund 60 Prozent gestiegen. „Das bedeutet, dass mittlerweile rund 15 Prozent der Kinder, im März 2020 waren es noch 3 Prozent, Symptome zeigen, die auch klinisch relevant sind.“ Dies deckt sich auch mit der Sicht der Eltern. Ebenfalls gestiegen ist die Angst, auch zeigen 45 Prozent mehr Mädchen und Jungen Aufmerksamkeitsprobleme. „Nach Sicht der Eltern haben sich die somatischen Beschwerden, also beispielsweise Bauchweh oder Schlafstörungen der Kinder, mehr als verdoppelt“, erklärt Exenberger.

Lebensqualität unverändert, besseres Verhältnis zu Freund(inn)en

Im März 2020 hatten Kinder vor allem unter dem fehlenden sozialen Kontakt gelitten. „Aus Sicht der Eltern hat sich das Verhältnis von Mädchen und Jungen gleichermaßen zu Freundinnen und Freunden wieder gebessert. Trotz gestiegener Belastungssymptome zeigen die Daten aber, dass die Lebensqualität im Januar 2021 gleich wie im März 2020, also zur Quarantäne, beurteilt wird. „Hier haben Öffnungen von Kindergärten und die leichten Lockerungen der Kontaktmöglichkeiten beigetragen“, sagt Exenberger. Deswegen warnt die Expertin nachdrücklich vor einer erneuten Schließung von Schulen und Kindergärten.

Geschlechterunterschiede auch nach der zweiten Erhebung

Genau hinschauen werden die Expert(inn)en weiterhin bezüglich der Geschlechterunterschiede. Mädchen hatten im März 2020 ein intensiveres Bedrohungserleben und damit verbunden auch mehr Trauma- und Angstsymptome geschildert. „Dies ist so geblieben, aber die aktuellen Ergebnisse zeigen, dass sich bei Mädchen und Jungen das Rückzugsverhalten verstärkt hat. „Trotz dieser Steigerung bei Mädchen und Jungen, ist es doch auffällig, dass diese Verhaltensschwierigkeit bei Jungen wesentlich mehr ausgeprägt ist“, attestiert Exenberger.

Aufruf für Lehrer/-innen, Kindergartenpädagog/-innen und Führungskräfte

Nachdem im Sommer und Herbst Kinder und Eltern befragt wurden, geht es in der nächsten Stufe des Forschungsprojektes um die Sichtweise der Pädagog/-innen und Führungskräfte in Bezug auf die Corona bedingten Belastungen der Kinder und deren Auswirkungen auf Schule und Kindergarten. Die Projektgruppe an der Kinder- und Jugendpsychiatrie hat sich zum Ziel gesetzt, ein Instrument zur Früherkennung von Belastungssymptomen der Kinder (Screening) sowie einen psychologischen Leitfaden zur besseren Bewältigung von Schule und Kindergarten in der Corona-Krise und ähnlichen Krisensituationen zu entwickeln. „Hierfür führen wir Online-Fokusgruppen mit jeweils rund fünf Teilnehmerinnen und Teilnehmern durch“, sagt Kathrin Sevecke. Wer bereit ist, an einer ca. eineinhalbstündigen, virtuellen Fokusgruppe teilzunehmen, wende sich bitte für Informationen bzw. Terminvereinbarung per E-Mail an das Studienzentrum in Hall.

„Mit Ihrer Teilnahme helfen Sie mit, wissenschaftliche Erkenntnisse zu gewinnen und leisten so einen Beitrag zur besseren Bewältigung der aktuellen sowie möglicher zukünftiger Krisen. Zudem können Sie sich mit Kolleginnen und Kollegen aus anderen Nordtiroler Schulen bzw. Kindergärten ungezwungen und in einem geschützten Rahmen, unter der Anleitung der Projektmitarbeiterinnen, über Erfahrungen der letzten Monate austauschen“, erklärt Sevecke.

Quelle: Medizinische Universität Innsbruck und tirol kliniken vom 23.03.2021

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