Interviewreihe Kinder- und Jugendhilfe im Kontext Rechtsextremismus

Im Gespräch – Bildungsreferent im Projekt „Kompetenzstelle Eltern und Rechtsextremismus“

Im Interview erzählt der Bildungsreferent Herr B. aus Sachsen-Anhalt davon, wie der politische Rechtsruck sich auf die Arbeit von Fachkräften der Jugendhilfe auswirkt. Ein Gespräch über den demokratischen Bildungsauftrag von Schule und Jugendhilfe und den besorgten Blick auf die Tatsache, dass sich die Räume des gesellschaftlich Akzeptierten immer weiter nach rechts verschieben.

24.10.2024

Interview 2/4 – Bildunsgreferent des Vereins „Miteinander – Netzwerk für Demokratie und Weltoffenheit in Sachsen-Anhalt e.V.“


Im Gespräch

Erzählen Sie doch mal…

„Ich bin 33 Jahre alt und arbeite im Projekt „Kompetenzstelle Eltern und Rechtsextremismus“ beim Verein „Miteinander e.V.“ in Sachsen-Anhalt. Ich habe Ethnologie und Erziehungswissenschaften studiert und mit einem Master in Gesellschaftstheorie abgeschlossen. Über meine Tätigkeiten in der außerschulischen Jugendbildung bin ich zu meinem jetzigen Beruf gekommen und arbeite hier als Berater und Bildungsreferent. Für das Projekt „Kompetenzstelle Eltern und Rechtsextremismus“ bieten wir sowohl Beratungen und Fortbildungen für Fachkräfte der Jugendhilfe, die sich mit Rechtsextremismus konfrontiert sehen, als auch Beratung für Eltern, die seitens ihrer Kinder von dem Thema betroffen sind, an.“

Wie sieht ihre tägliche Arbeit aus?

„Unser Alltag ist eine Mischung aus Beratungs- und Fortbildungsarbeit. In den meisten Fällen lassen sich Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe beraten, beispielsweise Schulsozialarbeiter*innen oder Fachkräfte, die in Wohngruppen arbeiten und mit dem Thema Rechtsextremismus oder Radikalisierung konfrontiert werden. Die Beratungstätigkeiten bieten wir allerdings nicht nur im professionellen Kontext an, sondern auch für Eltern und Angehörige, die Unterstützung und Begleitung benötigen. Darüber hinaus bieten wir Multiplikator*innenschulungen für Träger, Vereine oder auch Schulen zum Themenfeld Rechtsextremismus an.“

Miteinander e.V. gibt es seit über 25 Jahren… was hat sich in der Zeit verändert? Wie hat sich Ihre Arbeit verändert?

„An den Wahlergebnissen der Europawahl und den Landtagswahlen sehen wir, dass sich die Räume des gesellschaftlich Akzeptierten deutlich nach rechts verschoben haben. Die Wahlen bieten immer wieder Anlass zur Aufregung und es erscheint dennoch so, als hätte sich, zumindest in den ostdeutschen Ländern, ein gewisser „Gewöhnungseffekt“ eingestellt, den wir sehr kritisch sehen. Durch diese „Normalisierung“ des Rechtsextremen entstehen bei Fachkräften vermehrt Unsicherheiten, was den Umgang mit dem Thema angeht.“

Wie wirkt sich das Erstarken rechtspopulistischer Parteien auf Ihre Arbeit aus?

„Wir merken in der Arbeit mit Schulen und auch mit Fachkräften der Kinder- und Jugendhilfe eine große Verunsicherung dahingehend, mit dem Erstarken rechter Parteien einen Umgang zu finden. Wir hören von pädagogisch arbeitenden Menschen häufiger, dass sie über politische Themen im beruflichen Rahmen nicht sprechen dürften oder könnten. Dies ist in vielen Fällen das Ergebnis von Einschüchterungsversuchen rechter Gruppierungen, wie z.B. das Portal „Neutrale Schule“ der AFD,
auf dem Lehrkräfte gemeldet werden sollten, die sich entsprechend kritisch äußern. Wir sehen es allerdings so, dass Schule als auch die Jugendhilfe einen demokratischen Bildungsauftrag haben. Das heißt, dass Jugendliche zu gemeinschaftsfähigen Personen gebildet werden sollten, gleichzeitig sollten sie Schutz vor Diskriminierung erfahren und gleichermaßen Parteilichkeit für diejenigen erlernen, die von Diskriminierung betroffen sind. Dieser Erziehungsauftrag bedeutet eben auch die Auseinandersetzung mit rechtsorientierten Parteien. Je mehr rechtsextreme Erscheinungen aber gesellschaftlich normalisiert werden, umso schwieriger wird die kritische Auseinandersetzung damit. Unsere Vermutung ist, dass diese Normalisierung in jedem Fall zunehmen wird und das bereit uns Sorge.“

Als Verhinderungsgrund für politische Bildung oder politische Aufklärung wird immer wieder das Neutralitätsgebot genannt. Gibt es Erfahrungen? Wie beraten Sie hinsichtlich dieses Themas?

„Das staatliche Neutralitätsgebot besagt, dass der Staat und seine Repräsentantinnen Parteien nicht benachteiligen dürfen. Das heißt die Angestellten des öffentlichen Dienst, in etwa Lehrkräfte, dürfen keine Wahlempfehlungen aussprechen und einzelne Parteien einseitig verurteilen. Das heißt aber ja nicht, sich nicht kritisch - in ausgewogener Weise - mit Parteiprogrammen auseinanderzusetzen, wenn diese zum Beispiel diskriminierende Forderungen enthalten. Das Missverständnis dieses Gebots wird seitens rechter Parteien immer wieder stark befördert. Wir beraten immer wieder dahingehend, sich auch mit politischen Inhalten im Kontext von Schule und der Kinder- und Jugendhilfe zu beschäftigen, da es eben diesen demokratischen Bildungsauftrag gibt. Dieser Bildungsauftrag wird sowohl durch das Schulgesetz als auch durch das SGB VIII, dem Gesetz der Kinder- und Jugendhilfe, festgehalten.“

Gab es Versuche der Einflussnahme rechtsorientierter Parteien auf Ihre Arbeit?

„Solange es die AFD in Sachsen-Anhalt als Partei gibt, so lange gibt es auch die Versuche auf die Arbeit von „Miteinander e.V.“ Einfluss zu nehmen. Das Leitbild unseres Vereines ist es, für eine offene und vielfältige Gesellschaft in unserem Bundesland einzutreten. Dieser Ansatz ist einer Partei, die andere Vorstellungen darüber hat, wie die Gesellschaft gestaltet werden soll, natürlich ein Dorn im Auge. Es gibt öffentliche Diffamierungen in sozialen Netzwerken gegen den Verein. Und ebenso größere und kleinere Anfragen im Parlament, die sehr detailliert versuchen, unsere Arbeit zu diskreditieren. Diese Versuche sind bisher in Gänze zum Glück gescheitert.“

Wie sehen Ihre Fortbildungen für Fachkräfte der Jugendarbeit aus?

„Die Fortbildungen für Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe sind ganz unterschiedlich strukturiert, je nach zeitlichem Rahmen. Grundsätzlich erzählen wir aber etwas zu rechtsextremen Lebenswelten, sprich: Woran erkennt man Rechtsextremismus? Was sind Symbole und Wiedererkennungszeichen? Welche Funktion haben diese Symbole und Zeichen? Da unser Schwerpunkt auf dem familiären Kontext liegt, geben wir ebenfalls viel Input zur Lebens- und Erziehungsrealität rechtsextremer Familien und erläutern im Zuge dessen einiges zu rechten Radikalisierungsprozessen unter Jugendlichen. Es werden zum Beispiel Antworten auf folgende Fragen gegeben: Warum ist Rechtsextremismus eine attraktive Ideologie? Was spricht Jugendliche daran an? Über welche Wege kommen sie in Kontakt mit dieser Ideologie? Je nach zeitlich gestecktem Rahmen halten wir den Austausch der Fachkräfte untereinander für sehr wertvoll, um unter anderem zu schauen, was es in Teams braucht um mit dem Thema Rechtsextremismus einen Umgang zu finden. Wir halten den Austausch und die Verständigung über Haltung im Team beispielsweise hinsichtlich „Diskriminierung“ für sehr grundlegend, um dann auch handlungsfähig
zu werden. Wir versuchen unser Programm möglichst nah an der Arbeitsrealität derjenigen, die unsere Multiplikator*innenschulungen anfragen, zu gestalten. Im Idealfall bringen die Personen selber Praxisfälle mit und wir schauen dann gemeinsam nach Handlungsmöglichkeiten, um in den Austausch zu gehen. Grundsätzlich bieten wir Veranstaltungen vor Ort an, es kommt aber auch vor, dass wir Anfragen von Trägern oder Sozialverbänden aus anderen Bundesländern bekommen. Wir kommen diesem Wunsch, je nach Kapazität, gerne nach. Dann allerdings als Onlineschulung, wenn die Anfragen aus anderen Regionen kommen.“

Wie sind Sie mit anderen Fachstellen und Trägern vernetzt?

„In unserem Verein arbeiten ebenfalls die mobilen Beratungen gegen Rechtsextremismus für Sachsen-Anhalt, das heißt, wir sind quasi Kolleg*innen und es findet ein sehr guter Austausch statt. Die „Kompetenzstelle Eltern und Rechtsextremismus“ bietet die Multiplikator*innenschulungen an, die pädagogischen und familiären Kontext haben. Die mobilen Beratungsteams haben eher den Fokus auf zivilgesellschaftliche Akteur*innen in Sozialräumen gelegt. Mit Ausstiegsberatungen sind wir deutschlandweit vernetzt. Sehr eng verknüpft sind wir mit den Fachstellen, die einen ähnlichen Schwerpunkt haben wie wir, z.B. die Fachstelle „RuF - Rechtsextremismus und Familie“ in Bremen.“

Haben sich die Themen der Fortbildung in den letzten Jahren verändert?

„Die Fragen der Teilnehmenden verändern sich. Wir haben vermehrte Anfragen zu sich radikalisierenden Jugendlichen, aber auch zum Tragen von rechtsextremen Symbolen beispielsweise im Schulkontext. Mit diesen Fragen setzen wir uns in diesem Jahr verstärkt auseinander. Immer mehr auch sehr junge Menschen sind bereit sich zu radikalisieren und das wirft bei Fachkräften neue Fragen auf und sie benötigen Strategien an die Hand. Wir erhoffen und wünschen uns, den in der Jugendhilfe arbeitenden Menschen mit unserer Arbeit auch zukünftig gutes Handwerkszeug an die Hand geben zu können, damit sie sich im Umgang mit dem Thema Rechtsextremismus handlungsfähig fühlen.“

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Sophie Westerheide (freie Journalistin).

Link zu unserer Interviewreihe

In den kommenden Wochen widmen wir uns intensiv den Herausforderungen, denen die Kinder- und Jugendhilfe angesichts des wachsenden Rechtsextremismus in Deutschland und Europa – sowohl innerhalb als auch außerhalb der Parlamente – gegenübersteht. Wir beleuchten nicht nur die Probleme, sondern diskutieren auch konkrete Strategien im Umgang mit Rechtsextremis-mus sowie wertvolle Praxiserfahrungen aus dem Feld.

Link zur Magazinseite „Kinder- und Jugendhilfe im Kontext Rechtsextremismus“

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Redaktion: Sofia Sandmann

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