Europa

Ich bin auch eins dieser Freiheitskinder

Evaldas Rupkus

1990 erklärte sich Litauen als erste Sowjetrepublik zu einem unabhängigen Staat, 2004 trat das Land der EU bei. Seither hat sich viel verändert. Mit Evaldas Rupkus vom Litauischen Jugendring haben wir darüber gesprochen, wie junge Menschen heute in Litauen leben, was sie über Europa, die Eurokrise und das Miteinander der Nationalitäten im Land denken.

22.08.2012

Evaldas Rupkus ist Eurodesk-Koordinator beim Litauischen Jugendring (LiJOT). Der 1992 gegründete Dachverband der nicht-staatlichen litauischen Jugendorganisationen vertritt die Interessen von 200.000 jungen Menschen im Land. Evaldas Rupkus Arbeitsschwerpunkte sind Jugendinformation und –beratung und das Training von Fachkräften in der Jugendinformation. 

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Die baltischen Länder sind von der Finanzkrise früher und härter getroffen worden als andere. Die Folgen waren drastische Sparmaßnahmen. Wie hat sich das auf die Jugend in Litauen ausgewirkt?

Evaldas Rupkus: Die verschiedenen Bevölkerungsgruppen haben die Sparmaßnahmen sehr deutlich zu spüren bekommen. Für manche bedeuteten sie den Verlust ihrer Arbeit oder ihres Unternehmens. Unsere Regierung hat wirklich einen sehr harten Sparkurs gefahren. Drei Jahre später kann man nun aber sagen, dass dies der richtige Weg war, auch wenn damals alles sehr schlecht aussah. Es gab viele  Proteste und die allgemeine Stimmung der Bevölkerung war sehr schlecht. Natürlich ist damals auch die Arbeitslosigkeit angestiegen, aber wir mussten keine Kredite vom IWF oder der Weltbank annehmen.

Anfang dieses Jahres haben wir einen Brief von Herrn Barroso bekommen, da wir eines von 8 EU-Ländern waren, die etwas gegen die Jugendarbeitslosigkeit unternehmen sollten. Der Litauische Jugendring LiJOT, das ist die Organisation, die ich vertrete, hat eine ganz klare Aussage gemacht. Wir haben 11 Seiten mit Vorschlägen  zusammengestellt, was man in verschiedenen Bereichen gegen die Jugendarbeitslosigkeit unternehmen könnte. Diese Vorschläge haben wir dann Vertretern der Regierung und der EU-Kommission präsentiert und sie sind positiv in Brüssel aufgenommen worden. Aufgrund unserer eigenen organisatorischen Erfahrung fanden wir es dann sehr interessant, dass schon vor der eigentlichen Veröffentlichung unseres Papiers,  jedes Ministerium unsere Vorschläge in der Hand hielt.  Das war sehr wichtig für unsere Organisation, da es uns gezeigt hat, dass wir wirklich anerkannt sind und gehört werden. Daraufhin folgte auch schon die Finanzierung, da es noch Reste aus dem Programm „Perspektive 2007-13“ gab. Die Ziele werden jetzt ein wenig geändert, so dass die zur Verfügung stehenden 24 Millionen Litas für die Lösung des Problems der Jugendarbeitslosigkeit verwendet werden können. 60 Prozent unserer Vorschläge sind von der Regierung angenommen worden. Das ist ein riesiger Prozentsatz, der uns zeigt, dass wir eine sehr gute Lobby haben. Voraussichtlich wird die litauische Jugend nun bald die Möglichkeit zu einem nationalen Jugendfreiwilligendienst bekommen. Diesbezüglich haben wir sehr viel zusammen mit Eurodesk Deutschland unternommen: Wir haben uns die deutschen Beispiele und guten Erfahrungen angeschaut und auf unser System übertragen.

Die Finanzkrise war eine große Herausforderung für die Jugendlichen, besonders was den Arbeitsmarkt betraf. Jetzt sehen wir aber, dass sie auch viele Chancen bereithielt. Zunächst musste man aber erst einmal ein bis drei Jahre mit der schwierigen Situation zurechtkommen. In diesem Zeitraum sind leider viele junge Menschen nach Norwegen, Großbritannien, Spanien, Irland oder auch nach Deutschland gegangen. Die Anzahl der Auswanderer ist immer noch sehr groß und diese  Emigration ist ein großes Problem.  Dennoch bin ich mir sicher, dass sich die Situation bessern wird, wenn wir die neuen Maßnahmen gegen die Jugendarbeitslosigkeit durchgeführt haben. Ich glaube, dass die Jugendlichen dann noch mehr Chancen haben werden und denke, dass sich das ganze Umfeld hier verbessern wird und dass die jungen Leute dann wieder lieber hier leben werden. 

Lassen sich vor dem Hintergrund der Euro-Krise junge Menschen eigentlich noch für Europa begeistern? Litauen hat den Euro nicht, beabsichtigt aber, ihn einzuführen. Schürt das auch Sorgen und Ängste?

Evaldas Rupkus: Während sich die derzeitige Regierung sicher ist, dass es nur eine Frage der Zeit ist, wann der Euro in Litauen eingeführt wird, gibt es in der Bevölkerung mittlerweile viele Euro-Skeptiker. Sie bemerken, dass es mit dem Euro irgendwie nicht so gut funktioniert. Ich glaube, dass es sich noch nicht sicher sagen lässt, was passieren wird. Es kann sein, dass sich die Bevölkerung in Litauen dafür entscheidet, den Euro nicht einzuführen. Dieses Jahr sind wieder Parlamentswahlen und bisher ist es geradezu Tradition, dass die Regierung gewechselt wird. Die politische Richtung ändert sich hier geradezu jedes Jahr. Demnach kann man also noch nicht sagen, ob der Euro nun eingeführt wird oder nicht. 

Die Jugendlichen machen sich keine großen Sorgen um die EU oder den Zusammenhalt Europas. Sie nutzen gerne die Möglichkeiten, die ihnen die EU bietet. Sie gehen sehr gerne mit Erasmus oder dem EFD ins Ausland. Manche trampen auch einfach gerne im Ausland. Natürlich nimmt man schon viele verschiedene Gefühle wahr, wenn man mitkriegt, wie schwierig die Situation in Griechenland ist und dass der ganze Süden von der Euro-Krise betroffen ist. Trotzdem glaubt man, dass es im Norden, wie bisher, recht ruhig bleiben wird, weil es bei uns keinen so riesigen Schuldenberg gibt. Was die Jugendlichen betrifft, glaube ich, dass sie sich nicht wirklich von der Euro-Krise betroffen fühlen. 

Die Unabhängigkeit Litauens ist noch nicht lange her. Mit der Mitgliedschaft in der Europäischen Union hat man sich bewusst in einen europäischen und westlichen Kontext gestellt. Zugleich gibt man aber auch einen Teil der frisch gewonnen Souveränität an Brüssel ab. Wie sehen das die jungen Leute?

Evaldas Rupkus: Die jungen Leute sehen das eigentlich genauso wie der Rest der Bevölkerung. Ok, ab und zu gibt es aus Spaß so Bemerkungen wie „Wir sind von Moskau nach Brüssel gegangen, von einer Union zur anderen“, aber wir sind ja freiwillig gegangen.  
     
Es ist klar, dass wir, wenn wir von der EU profitieren wollen, auch einen Beitrag zur EU leisten müssen. Das ist ziemlich selbstverständlich und ich glaube nicht, dass die Jugendlichen das irgendwie anders sehen. Wir, die Freiheitskinder, haben die ekligen Sachen, die unsere Eltern und Großeltern in den Zeiten der Sowjetunion erlebt haben, nicht erlebt. Wir haben Meinungs- und Reisefreiheit und ich glaube, dass wir uns besser fühlen als man sich damals in der Sowjetunion gefühlt hat. Na gut, ich weiß es nicht genau, ich bin auch schon eins dieser Freiheitskinder, aber die Werte, für die die EU steht, sind im Einklang mit den Werten der litauischen Jugendlichen von heute. 

Litauens Hauptstadt Vilnius war einmal berühmt für sein multikulturelles Miteinander. Vor allem Litauer, Polen und Juden haben dort gelebt. Mit der Besetzung des Landes durch die Sowjetunion kamen dann noch viele Russen hinzu. Eine polnische Minderheit gibt es noch immer, die jüdische Gemeinde ist hingegen als Folge des Holocaust sehr klein. Wie gehen Jugendorganisationen mit dieser multiethnischen Tradition um? Gibt es eine gemeinsame Identität als Jugend oder auch Konflikte zwischen den Bevölkerungsteilen, die sich in der Jugendarbeit spiegeln? 

Evaldas Rupkus: Ja, besonders in den letzten Jahren war die Beziehung zwischen Vilnius und Warschau schwierig. Das muss man schon sagen und bisher sind einige Fragen noch nicht beantwortet. Eine dieser Fragen betrifft das litauische Bildungsgesetz, das nun mehr Unterricht auf Litauisch vorschreibt als das bisher der Fall war. Bisher waren an polnischen Schulen, die sich in Litauen hauptsächlich in Vilnius oder im Vilnius-Bezirk befinden, 90% der Studiengänge auf Polnisch. Das waren und sind super gute Bedingungen für die polnische Minderheit, ihre eigene Muttersprache zu lernen, aber es ist fraglich, ob das auf lange Sicht gut für die Jugendlichen ist, wenn sie sich an der Uni und später auf dem Arbeitsmarkt in Litauen platzieren möchten und nicht nach Polen auswandern wollen. Deswegen hat die Regierung das Gesetz ein wenig geändert und den Anteil der Dinge, die auf Polnisch gelehrt wurden, reduziert. Nun sollen 60 % der Stunden auf Polnisch sein. Fächer wie Geschichte oder Litauisch selbst, sollen nun auf Litauisch gelehrt werden.

Es kam zu ziemlich peinlichen Situationen. Es kam zu Protesten und bei den Parlamentswahlen kamen polnische Politiker nach Litauen und haben der Angelegenheit viel Aufmerksamkeit geschenkt. Klar, es ging hier darum, um ein neues Streitthema zu finden und alles noch schlimmer zu machen.  Naja, für die Medien war das gut, weil sie etwas zu berichten hatten. Was ich damit sagen will, ist, dass die Diskussion um die Unterrichtssprache nur bis zu den Wahlen ein großes Thema war. Denn als die Parlamentswahlen dann entschieden waren, löste sich das Problem plötzlich wie von selbst. Auf einmal war das Thema nicht mehr aktuell. Es ist wohl ziemlich klar, warum es so gelaufen ist. 

Abgesehen davon gibt es im Bezirk Vilnius aber auch eine Partei, die nur aus Polen und Russen besteht und die für die politischen und sonstigen Rechte der polnischen und russischen Minderheit kämpft.

Was die jungen Leute betrifft, stellt die Vielfalt der Gesellschaft gar kein Problem dar. Natürlich kann man es hören, wenn jemand Litauisch mit einem russischen oder polnischen Akzent spricht, aber es ändert nichts an den Beziehungen und der Kommunikation der jungen Leute untereinander. Für die Leute die in Vilnius oder im Bezirk Vilnius leben, wo der größte Anteil der polnischen Minderheit wohnt, gehört das einfach zum alltäglichen Leben dazu. So wie man in Bonn viele Muslime, bzw. Türken und Menschen anderer Herkunft antrifft, trifft man hier halt viele Polen, die die litauische Staatsbürgerschaft haben. Aufgrund von historischen und politischen Ereignissen haben diese Menschen einfach eine andere Herkunft bzw. einen anderen Hintergrund. Ich glaube, dass es hier um ein rein politisches Problem geht, wenn man das denn überhaupt als Problem betrachten will. Junge Leute sind hier erstrangig vor allem junge Leute, die hier in Litauen leben und nur zweitrangig Litauer, Russen, Polen, Juden oder was auch immer. Dennoch gibt es seit drei Jahren eine Stiftung für die Zusammenarbeit der Litauer und Polen, die von beiden Seiten finanziert wird. Natürlich stellen sich in diesem Rahmen auch oft politische Fragen, aber dennoch ist dies eine Maßnahme, die jungen Leuten verschiedener Herkunft hilft, Kontakte zueinander zu knüpfen und zu pflegen. Es gibt einige Jugendorganisationen, die sich damit beschäftigen und die auch Mitglieder des Litauischen Jugendrings sind. Diese sagen auch deutlich ihre Meinung, wenn gewisse Fragen diskutiert werden. In der Jugendarbeit selbst sind die verschiedenen kulturellen Backgrounds eigentlich noch nie ein Problem gewesen, die Politik stellt diese Gegebenheit nur oft viel zu kompliziert dar.

Man kann den Eindruck gewinnen, Litauer reisen gern und schauen sich ihre europäischen Nachbarn an. Was nimmt man – wenn man wie Du gerade auf Reisen ist – mit? Was interessiert junge Litauer im Ausland? Was davon würden Sie gerne im eigenen Land verwirklicht sehen und was ist zuhause gelungener als zum Beispiel in Deutschland?

Evaldas Rupkus: Ich selbst habe ein Jahr in der Schweiz verbracht und dann gemerkt, dass ich eigentlich ein falsches Land gewählt habe, da ich einen Kulturschock erleben wollte, der jedoch ausblieb. Abgesehen davon, dass man sich dort zur Begrüßung dreimal küsst, eine andere Sprache spricht und sich manchmal vielleicht ein bisschen anders verhält als in Litauen, gibt es eigentlich keine riesigen Unterschiede zwischen den Ländern. 

Aufgrund meiner Erfahrungen muss ich sagen, dass man aus jedem Land, in das man gereist ist, die neuen Erfahrungen und Kontakte mitnimmt. Es gibt ziemlich viele, die vor allem im Sommer einfach mit Interrail oder auch per Anhalter rumreisen. Die wollen einfach wissen, wie Europa aussieht und sich bei ihrer Rückkehr mit ihren Freunden darüber austauschen, was sie gesehen haben und welche lustigen oder auch schwierigen Erfahrungen sie gemacht haben.  Ich glaube, das ist es, was die Jugendlichen interessiert. 

Es ist doch klar, dass ich, wenn ich in meinem Urlaub Eurodesk Deutschland besuche, Neues lernen will und erfahren will, wie die Kollegen in Deutschland leben und was sie so machen. Der litauische Jugendring arbeitet im Moment  sehr hart daran, ein allgemeines Jugendinformationssystem aufzubauen. Daher müssen wir uns die guten und auch die schlechten Beispiele aus Europa anschauen, um zu sehen wie das hier so angelaufen ist und funktioniert. Aus diesem Grund fahre ich auch eine Woche nach Österreich und schaue mir auch noch andere Jugendinformationszentren an. So machen das andere auch, wenn sie ins Ausland fahren. Sie schauen sich an, wie das im Ausland so läuft und funktioniert. 

Wenn wir mit unseren Mitgliedsorganisationen oder mit jungen Leuten reden, die grade irgendwo gewesen sind, dann fragen wir sie auch, was sie denken und wie wir politische Fragen oder Reformen angehen sollten. Dann erzählen sie uns von vielen sehr verschiedenen Beispielen, die sie in Norwegen, Irland oder sonst irgendwo erlebt haben. Dann heißt es: „Mmm, da gibt es dies und jenes, warum können wir das eigentlich nicht auch in Litauen haben?“ Man spürt wirklich, dass die EU den jungen Leuten die Türe geöffnet hat, und ihnen hilft ihren Horizont zu erweitern und neue Erfahrungen zu sammeln und einfach zu sehen, dass die Dinge auch anders laufen können. Diese Erkenntnisse bringen sie dann mit nach Hause.

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