Kindertagesbetreuung

Die Betreuungsqualität leidet unter der Personalnot in den Kitas

Der Mangel an Erzieherinnen und Erziehern ist mittlerweile so gravierend, dass dadurch die Arbeit der Kitas leidet. Mehr als 90 Prozent der Kitas haben zu wenig Personal, um eine hohe Betreuungsqualität aufrechtzuerhalten. Dies sind Ergebnisse einer repräsentativen Studie, die ein Stimmungs- und Meinungsbild der Führungskräfte in den Kindertagesstätten zeichnet.

28.03.2019

„Die Umfrage offenbart in dramatischer Klarheit, in welchem Ausmaß sich die Versäumnisse der Politik der zurückliegenden Jahre im Kitabereich heute rächen,“ kommentiert Udo Beckmann, Bundesvorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), anlässlich der Veröffentlichung der Studie im Rahmen des Deutschen Kitaleitungskongresses (DKLK) in Düsseldorf.

„Was wir beobachten ist zweierlei: Auf der einen Seite Kitaleitungen, Kita-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich mit einem enormen Engagement der Erfüllung des an sie gestellten Erziehungs- und Bildungsauftrags widmen, die sich in Richtung ihrer Belastungsgrenzen und teilweise darüber hinaus dafür einsetzen, die eklatanten Missstände in Kitas aufzufangen, die sie nicht zu verantworten haben. Auf der anderen Seite die Politik, die ihre Verantwortung sehenden Auges auf dem Rücken dieser Menschen ablädt, indem sie viel zu lange dringend notwendige Investitionen verweigert oder in der Regel nur in vergleichsweise homöopathischen Dosen verabreicht. Durch ihr Handeln beziehungsweise Nicht-Handeln nimmt die Politik einen erheblichen Schaden der Kinder, der im Kita-Bereich engagierten Personen und unserer Gesellschaft insgesamt in Kauf – und dies seit Jahren. So werden aus Bildungs- und Erziehungseinrichtungen, die einmal weltweit unter dem Begriff ‚Kindergarten‘ als Vorbild fungiert haben, zunehmend bessere Verwahranstalten, die ihrem Bildungsauftrag trotz aller Anstrengungen nicht gerecht werden können“, erläutert Beckmann.

Kitas arbeiten mit Personalunterdeckung

Ein zentrales Ergebnis der Studie lautet: Das Betreuungsangebot, welches durch Kitas bereitgestellt werden muss, ist massiv beeinträchtigt. Der Grund hierfür: fehlendes Personal. 86% der vom Personalmangel betroffenen Kita-Leitungen geben an, dass sie die Angebote für Kinder mindestens vorübergehend reduzieren müssen. In zahlreichen Kitas ist aus der Ausnahme eine tägliche Notwendigkeit geworden. Aber nicht nur die Quantität, auch die Qualität der Betreuung kann, gemessen an den wissenschaftlich empfohlenen Mindeststandards einer Fachkraft-Kind-Relation von 1:3 für unter 3-jährige Kinder und 1:7,5 für über 3-jährige Kinder, von knapp 95% der Kitas nicht gehalten werden. „Das sind keine bedenklichen, das sind dramatische und erschreckende Fakten“, so Beckmann.

Knapp 90% der befragten Kitas haben laut Umfrage in den letzten 12 Monaten mit einer Personalunterdeckung gearbeitet. „Dies hat nicht nur Auswirkungen auf die Qualität der Betreuung, schlimmer noch, wird den Kitas hierdurch auch ein nicht hinnehmbares Haftungsrisiko aufgebürdet. Denn wenn eine angemessene Beaufsichtigung nicht mehr geleistet werden kann, gehen Kitas, die ihren Betrieb dennoch aufrechterhalten, ein enormes Risiko ein“, konstatiert Beckmann.

Der Arbeitsmarkt ist leergefegt

Was die Ergebnisse der Umfrage ebenfalls deutlich machen ist aus Sicht des VBE, dass die Politik die Situation auf dem Arbeitsmarkt jahrelang schön gerechnet hat. Mit der Folge, dass dieser heute leergefegt ist. 7 von 10 Kitas benötigen im Durchschnitt mehr als 3 Monate zur Nachbesetzung offener Stellen, 3 von 10 Kitas sogar mindestens 5 und teilweise bis über 6 Monate. „Statt für Kitas Planungssicherheit zu gewährleisten, hat die Politik Kita-Leitungen in die Lage manövriert, sich als permanente Mangelverwalter betätigen zu müssen. Dass, was allenfalls eine Ausnahmesituation sein dürfte, ist heute zur bitteren Normalität geworden“, so Beckmann.

Blickt man auf die Verwaltungsaufgaben, die von Kita-Leitungen zu leisten sind, so zeigen die Ergebnisse der Umfrage, dass sich diese, diametral gegenläufig zu den Bekundungen der Politik, hier für Entlastung zu sorgen, sogar für 60% der Kita-Leitungen noch erhöht haben. „Dass fehlende, aber dringend erforderliche Entlastungsmaßnahmen die pädagogische Gestaltungsfreiheit und -qualität von Kitas zusätzlich torpedieren, grenzt mittlerweile fast an Vorsatz“, bewertet Beckmann die Ergebnisse.

Wertschätzung sieht anders aus

Dies spiegeln auch die Zahlen der aktuellen Umfrage wider. 80% der Kita-Leitungen sind nach wie vor enttäuscht ob der mangelnden Wertschätzung vonseiten der Politik. Gerade einmal 3,4% der Kita-Leitungen fühlen sich angemessen durch die Politik wertgeschätzt. „Das müsste den Verantwortlichen die Schamesröte ins Gesicht treiben“, so Beckmann.

„Neben den dramatischen Zuständen des Heute müssen wir uns klarmachen, welch verheerende Signalwirkung dies auch auf Menschen hat, die sich mit der Idee beschäftigen, eine Tätigkeit im Kitabereich anzustreben und welche mittel- und langfristigen Effekte sich hier in Richtung eines ohnehin bereits mehr als angespannten Arbeitsmarktes ergeben. Dass zudem 65% der Kita-Leitungen ihre Bezahlung als unangemessen empfinden, insbesondere Kita-Leitungen, die ohne Freistellung arbeiten, verdeutlicht, dass auch die monetäre Form der Wertschätzung weiterhin vollkommen unzureichend ist“, erläutert Beckmann.

Forderungen an die Politik

Der VBE fordert die Politik eindringlich auf, der massiven strukturellen Unterfinanzierung im frühpädagogischen Bereich endlich langfristige und flächendeckende Investitionen entgegenzusetzen. „Es braucht eine angemessene Bezahlung in Form substanzieller Lohnsteigerungen auf allen Ebenen, auch um die Attraktivität des Berufes zu erhöhen. Wir müssen die Fachkraft-Kind-Relation in Richtung der empfohlenen Mindeststandards verbessern, bspw. durch die Entlastung bei Verwaltungsaufgaben und den Abbau gesetzlicher Überregulierung, durch die Erhöhung von den Anrechnungsstunden für die Leitungsarbeit und durch den Einsatz von multiprofessionellen Teams. Die Ausbildung im frühpädagogischen Bereich muss flächendeckend vergütet und der Beruf als Mangelberuf anerkannt werden. Es braucht zudem dringend notwendige Sofortmaßnahmen, die zur Auflösung der Personalunterdeckung beitragen, um die Sicherheit von Kindern und das Haftungsrisiko für Träger und Leitungen zu minimieren. Um dem massiven Fachkräftemangel zu begegnen, braucht es darüber hinaus flächendeckende Strategien und Maßnahmen zur Gewinnung von qualifiziertem Personal“, fasst Beckmann zusammen. „Das, was das sogenannte ‚Gute-Kita-Gesetz‘ suggeriert, ist mit Blick auf das, was die vorliegende Studie offenbart, fern jeder Realität. Werden bereitgestellte Mittel des Bundes durch die Länder etwa für die Reduzierung der Elternbeiträge genutzt, hat dies noch keinen Effekt auf die Qualität der Kitas. Keine Erzieherin und kein Erzieher wird dadurch auch nur ein Kleinkind weniger betreuen. Was wir brauchen, sind nachhaltige Lösungen und deutlich höhere, langfristige Investitionen.“

Kitaleitungen erleben eine dramatische Personalsituation

Der Deutsche Kitaleitungskongress wird veranstaltet vom Informationsdienstleister Wolters Kluwer Deutschland (WKD) und vom Verband Bildung und Erziehung (VBE). Die DKLK-Studie wurde unter wissenschaftlicher Begleitung durch Prof. Dr. Ralf Haderlein, Hochschule Koblenz, erhoben. Er sprach von einer „großen Enttäuschung über die Politik“ seitens der Kitaleitungen. „Eine große Mehrheit der Leitungen empfindet von dieser Seite kaum Wertschätzung“, sagte er. Außerdem gebe es eine „dramatische Personalsituation“. Haderlein: „Nahezu jede Kita musst im letzten Jahr zumindest zeitweise mit einer bedenklichen Personalunterdeckung arbeiten.“

Wenig Zeit, hoher Verwaltungsaufwand

Die AOK Rheinland/Hamburg ist exklusiver Gesundheitspartner des DKLK. „Die körperlichen und seelischen Belastungen der Fachkräfte in Kitas haben in den letzten Jahren stark zugenommen: zu wenig Zeit, zu knappe Personalschlüssel und insbesondere ein hoher Verwaltungsaufwand stellen große Herausforderungen dar“, sagte Tim Gerold, Leiter Gesundheitsförderung der AOK Rheinland/Hamburg. „Unser Institut für Betriebliche Gesundheitsförderung unterstützt interessierte Einrichtungen mit speziellen Angeboten darin, die Arbeitszufriedenheit zu erhöhen und Belastungen zu reduzieren.“

Gefordert wird eine Aufwertung des Berufsfeldes

„In zunächst scheinbar erfreulichen Nachrichten entdecken wir leider alte Probleme und Fehler, die sich mantrahaft wiederholen. Die lang erwartete Kita-Reform verspricht eine stärkere Flexibilität. Was für Eltern praktisch ist, lässt Kita-Leitungen graue Haare wachsen. Wie sollen Öffnungszeiten stark ausgedehnt werden, wenn Fachkräfte fehlen? Zwar sind dafür zusätzliche Gelder geplant, doch der Markt ist bereits leergefegt. Vor der Flexibilisierung muss die Personalgewinnung stehen. Das Berufsfeld muss jetzt aufgewertet werden – auch finanziell“, erklärte Stefan Behlau, Landesvorsitzender des VBE Nordrhein-Westfalen.

Thomas Henseler, Verlagsleiter Kita-Management bei der Wolters Kluwer Deutschland GmbH, sagte: „Die Anforderungen und Erwartungen, die heutzutage an Kita-Leitungen gestellt werden, sind immens: Sie sind nicht nur Ansprechpartner für alle Themen rund um die Bildung und Betreuung der ihnen anvertrauten Kinder, sondern sind darüber hinaus als Team-Leader verantwortlich für die Fortbildung, Motivation und Gesundheit ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Zu guter Letzt sind sie auch noch ein Stück weit Unternehmer/in und müssen sich um sämtliche wirtschaftlichen, rechtlichen und organisatorischen Belange Ihrer Einrichtung kümmern. Man erwartet von ihnen, dass sie immer schneller auf neue Anforderungen reagieren und die neuesten Methoden aus den Gebieten Qualitätsmanagement, Integration und Inklusion sowie Teamführung aus dem Effeff beherrschen und in Ihrer Einrichtung umsetzen.“

Informationen zur Studie

Die komplette Studie Kita-Leitung in Zeiten des Fachkräftemangels lässt sich unter www.deutscher-kitaleitungskongress.de/2019/presse herunterladen. Sie wurde vom Informationsdienstleister Wolters Kluwer und dem VBE Bund sowie den drei VBE-Landesverbänden, dem Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV), dem VBE Baden-Württemberg und dem VBE Nordrhein-Westfalen unter wissenschaftlicher Leitung von Prof. Dr. Ralf Haderlein durchgeführt. An der Umfrage, welche zum fünften Mal erhoben wurde, haben 2.628 Kita-Leitungen teilgenommen.

Informationen zum Deutschen Kitaleitungskongress

Wie kann Kita-Leitungen der Spagat zwischen den Ansprüchen und der Wirklichkeit im pädagogischen Alltag gelingen? Der Deutsche Kitaleitungskongress (DKLK) bietet Lösungen für die Praxis. Mit über 50 Referenten und insgesamt 3.000 Teilnehmern ist der DKLK die größte Veranstaltung im deutschsprachigen Raum, bei der sich Frühpädagogen austauschen.

Der Deutsche Kitaleitungskongress 2019 findet noch statt in Leipzig (9./10. April), in Berlin (7./8. Mai sowie 24. und 25. September), in Stuttgart (21./22. Mai) und in Augsburg (25./26. Juni). Er ist eine gemeinsame Veranstaltung der genannten Partner und der AOK.

Quelle: Verband Bildung und Erziehung e.V. (VBE) vom 28.03.2019, Wolters Kluwer Deutschland GmbH  vom 27.03.2019

Redaktion: Kerstin Boller

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