Ausbildungförderung

BAföG muss vor Armut schützen, um Chancengleichheit im Bildungssystem herzustellen

Im Zuge der Bundestags-Abstimmung über das 27. BAföG-Änderungsgesetz forderten die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft und der Deutsche Gewerkschaftsbund deutlichere Zeichen der Bundesregierung und eine grundlegende Reform der Ausbildungsförderung für Studierende. Enttäuschung zeigte sich nicht nur über die unzureichende Erhöhung der BAföG-Sätze und der Freibeträge sonder auch über eine fehlende strukturelle Strukturreform.

05.07.2022

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) forderte den Bundestag dazu auf, den Gesetzentwurf für die 27. BAföG-Novelle grundlegend nachzubessern. Der Gesetzentwurf sehe eine Reihe Verbesserungen vor, die von SPD, Grünen und FDP verschobene grundlegende Reform lasse jedoch auf sich warten. Die Studierenden und Schüler:innen dürften aber nicht mit einem solchen „Reförmchen“ vertröstet werden, sondern bräuchten eine echte Reform, sagte Andreas Keller, stellvertretender GEW-Vorsitzender und Vorstandsmitglied für Hochschule und Forschung, nach der Verabschiedung eines Dringlichkeitsantrags zum Thema BAföG auf dem außerordentlichen Gewerkschaftstag der Bildungsgewerkschaft in Leipzig. Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund äußerte sich anlässlich Bundestags-Abstimmung und forderte eine BAföG-Strukturreform mit deutlichen Verbesserungen für Studierende.

Trotz Reform bleibt BAföG unzureichend

Die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack betonte, dass durch die Reform künftig zwar mehr Studierende BAföG erhalten werden, jedoch auch die neuen, höheren Regelsätze und Wohnkostenzuschüsse bei weitem nicht ausreichend seien, um die Inflation auszugleichen. Auch die von den Koalitionsparteien geplante weitere Erhöhung der Bedarfssätze um 0,75 Prozent auf damit insgesamt 5,75 Prozent sei zwar ein wichtiges Signal, aber noch weit entfernt von einem echten Wandel. Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger müsse dementsprechend endlich die im Koalitionsvertrag angekündigte Strukturreform auf den Weg bringen, heißt es Seitens des DGB.

„Das BAföG muss vor Armut schützen, um Chancengleichheit im Bildungssystem herzustellen. Nötig ist eine Förderung, die den Bedarf für die Lebenshaltung und die Ausbildung gesondert ausweist und deckt“, betonte Hannack.

Dafür forderte der DGB eine pauschale Erhöhung der Bedarfssätze um 150 Euro und einen Mietkostenzuschuss, der sich am Wohngeldgesetz orientiere.

„Bedarfssätze und Wohnzuschüsse müssen zudem regelmäßig angepasst werden. Auch die Einführung einer Studienstarthilfe für besonders bedürftige Neustudierende darf nicht auf die lange Bank geschoben werden“, so die Gewerkschafterin.

Auch seitens der GEW wurden ähnliche Forderungen laut: Zwar werde begrüßt, dass die BAföG-Bedarfssätze statt wie ursprünglich geplant in 2022 um fünf Prozent um 5,75 Prozent erhöht werden sollten, werde aber bedacht, dass die Inflationsrate für Mai vom Statistischen Bundesamt auf 7,9 Prozent beziffert wurde, bleibe auch diese Anhebung weit hinter dem Bedarf zurück.

„Um eine spürbare BAföG-Erhöhung zu erreichen, müssten diese kräftiger erhöht werden. Unser Ziel ist ein BAföG-Höchstsatz mindestens in Höhe des steuerlichen Existenzminimums von 1.200 Euro“, so Keller.

Erhöhung der Freibeträge bleibt deutlich unter Bedarf

Einen noch kräftigeren Sprung verlangte die Bildungsgewerkschaft bei den Freibeträgen für die Anrechnung des Einkommens der Eltern. Nach den Angaben des Bundesministeriums für Bildung und Forschung würde die von der Koalition geplante Anhebung der Freibeträge um 20 Prozent den Anteil der Studierenden, die BAföG erhalten, gerade mal um 1,8 Prozentpunkte erhöhen, so Keller. Derzeit liege die Quote mit elf Prozent auf einem historischen Allzeittief. Acht von neun Studierenden würden sich ohne einen Cent Ausbildungsförderung durchs Studium schlagen müssen, hieß es weiter. Unter anderem seien Studienabbrüche die Folge, die auch den Fachkräftemangel verschärfen, unter dem viele Branchen, auch der Bildungsbereich, leiden. Solle die Ausbildungsförderung wieder in der Breite wirken, sei eine Erhöhung der Freibeträge notwendig, betonte der GEW-Hochschulexperte.

Enttäuschung über fehlende strukturelle Erneuerungen

Enttäuscht zeigte sich Keller auch darüber, dass die Bundesregierung die überfällige strukturelle Erneuerung der Ausbildungsförderung zurückstelle.

„Anders als im Koalitionsvertrag versprochen packt die Koalition weder die Senkung des Darlehensanteils des BAföG zugunsten einer Zuschussförderung noch die Auszahlung eines elternunabhängigen Garantiebetrags für alle Studierenden an. Auch Schülerinnen und Schüler an allgemeinbildenden Schulen sollen weiter in die Röhre schauen. Die Ampel muss nachlegen und mehr Fortschritt wagen“, mahnte der GEW-Vize.

Seitens des DGB wurde auch die Bedeutung eines sogenannten Notfallmechanismus betont, der im Rahmen des 28. BAföG-Änderungsgesetz eingeführt werden solle. Laut Hannack habe die Corona-Pandemie gezeigt, dass Studierende in Krisensituationen Unterstützung brauchen, gerade wenn sie neben dem Studium arbeiten müssen und aus verschiedenen Gründen keine staatliche Studienförderung erhalten (können). Das Ziel sei gut, dieses müsse aber eine echte Öffnung des BAföG ermöglichen. Zudem sei nicht nachvollziehbar, dass internationale Studierende ausgenommen bleiben sollen.

Insgesamt fehle es in beiden Gesetzesentwürfen an zentralen Schritten für eine echte Strukturreform:

„(...) also raus aus der Schuldenfalle, hin zum Vollzuschuss, mehr Elternunabhängigkeit sowie eine realistische Förderungshöchstdauer. Wir setzen darauf, dass Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger die im Koalitionsvertrag angekündigte Strukturreform nun schnell auf den Weg bringt und dabei auch Verbesserungen der Förderung von Schüler:innen angeht“, so Hannack.

Ausdrücklich zu begrüßen seien hingegen die höheren Elternfreibeträge und die neuen Altersgrenzen: Damit werde es künftig mehr Menschen aus einkommensschwachen Haushalten und mit besonderen Bildungsbiografien möglich sein, ein Studium aufzunehmen.

Quelle: Deutscher Gewerkschaftsbund vom 23.06.2022, Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft vom 22.06.2022

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