IGLU-Studie 2023

GEW und VBE kommentieren Ergebnisse

Die Ergebnisse der Internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung 2023 (IGLU-Studie) zeigen: die Lesekompetenz von Grundschüler:innen ist gesunken und eine bildungspolitische Trendwende ist notwendig. Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) und die Gewerkschaft Bildung und Erziehung (GEW) kommentieren jeweils die Ergebnisse der Studie.

24.05.2023

Beide Organisationen kommentieren die zentralen Ergebnisse der Studie und machen auf Nachholbedarf aufmerksam.

GEW: „Mehr Geld und Leseprogramme für Grundschulen dringend notwendig“

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat mit Blick auf die ernüchternden Ergebnisse der veröffentliche IGLU-Studie angemahnt, deutlich mehr Geld in die Grundschulen und gezielte Leseförderprogramme zu investieren. Zudem seien die Ganztagsangebote auszubauen. „Es ist alarmierend, wenn die Grundschule ihrem Anspruch, eine Schule für alle Kinder zu sein und Bildungsungerechtigkeiten abzubauen, immer weniger gerecht werden kann“, sagte Anja Bensinger-Stolze, GEW-Vorstandsmitglied Schule, am Dienstag in Frankfurt a.M. Politik habe versäumt, insbesondere Kinder aus armen Haushalten zu unterstützen. Im Durchschnitt der Europäischen Union (EU) investiere Deutschland besonders wenig Mittel in die Leseförderung. Die Folge: Die Lesemotivation der Kinder sinke, damit würden die Leseleistungen immer schlechter.

„Wir brauchen dringend ausreichend mehr gut aus- und fortgebildete Lehrkräfte, die auf das Lehren unter schwierigen sozialen Bedingungen vorbereitet sind und mit heterogenen Lerngruppen arbeiten können. Konzepte der Leseförderung müssen einen festen Platz in der Ausbildung der Lehrkräfte bekommen“, unterstrich Bensinger-Stolze. Leseförderprogramme müssten besonders auf benachteiligte Schülerinnen und Schüler zugeschnitten seien. Zudem seien gut ausgestattete Schulbibliotheken und eine bessere Beratung der Eltern notwendig. Um mehr Lehrkräfte zu gewinnen, habe die GEW ein „15 Punkte-Programm gegen den Lehrkräftemangel“ vorgelegt.

„Die Befunde zu den Leistungen der Kinder und der sozialen Schere an den Grundschulen sind skandalös“, stellte Anja Bensinger-Stolze fest. „Jetzt rächt sich, dass der Primarbereich in den vergangenen Jahren vernachlässigt wurde: Der immer größer werdende Lehrkräftemangel, die in einigen Bundesländern immer noch schlechtere Bezahlung an den Grundschulen im Vergleich zu anderen Schulformen, große Klassen, fehlende Unterstützungssysteme, eine unzureichende Ausbildung – so wird verhindert, dass die notwendigen Grundlagen für eine erfolgreiche Bildungsentwicklung und gute Lebenschancen der Kinder gelegt werden.“

„Grundschulen brauchen jetzt Unterstützung, um soziale Ungleichheit abzubauen – flankiert von Schulsozialarbeit und Schulpsychologischem Dienst. Sie brauchen dringend mehr gut ausgebildete und gut bezahlte Pädagoginnen und Pädagogen“, betonte Bensinger-Stolze. In diesem Zusammenhang machte sie deutlich, dass es verantwortungslos sei, dass das „Startchancenprogramm“ für benachteiligte Schulen der Bundesregierung immer noch nicht in trockenen Tüchern sei. „Das Programm, das bereits auf das Schuljahr 2024/25 verschoben worden ist, steht immer noch unter Haushaltsvorbehalt. Dieser muss unbedingt ausgeräumt werden. Außerdem muss die geplante Summe von einer Milliarde Euro deutlich aufgestockt werden. Bund und Länder müssen sich endlich zusammenraufen. Die Zukunftschancen der Kinder dürfen nicht im Parteiengezänk zerrieben werden“, unterstrich die GEW-Schulexpertin. Zudem müssten die Gelder nach Sozialindex verteilt werden. Der bisher zur Mittelverteilung genutzte „Königsteiner Schlüssel“ sei ungeeignet, weil er die Länder nach dem Matthäus-Prinzip bediene: Wer hat, dem wird gegeben. Auch müsse das Programm über eine Laufzeit von zehn Jahren hinaus verstetigt werden, wenn die Bundesregierung das „Jahrzehnt der Bildungschancen“, das sie ausgerufen hat, einlösen wolle.

„Das Bildungssystem in Deutschland ist seit Jahrzehnten dramatisch unterfinanziert. In allen Bildungsbereichen, insbesondere in Kitas und den Schulen, herrscht ein riesiger Fachkräftemangel“, sagte Bensinger-Stolze. Eine bessere Unterstützung der Grundschulen und Schulen in sozial schwierigen Lagen sei nur mit höheren staatlichen Bildungsausgaben zu erreichen. „Deshalb schlägt die GEW ein 100 Milliarden-Euro-Programm für Investitionen in die Bildung vor. Dieses soll über ein Sondervermögen finanziert werden“, hob Bensinger-Stolze hervor.

VBE: Entlastung notwendig, um Fokus und Struktur zu gewährleisten

Die Studie IGLU 2021 zeigt, dass die Lesekompetenz der Kinder im Vergleich zu den vorhergehenden Erhebungen deutlich abgenommen hat. Allerdings liegen die deutschen Ergebnisse damit trotzdem im Mittelfeld des internationalen Vergleichs. Beunruhigend bleibt jedoch die weite Streuung der Ergebnisse, die auf ein hohes Maß an Bildungsungleichheit hinweist. Der Bundesvorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), Gerhard Brand, kommentiert: "Nach dem IQB-Schock war zu erwarten, dass auch die IGLU-Studie das mangelnde Lesevermögen in der vierten Klasse zeigen wird. Die Frage ist doch aber, was jetzt getan wird. Das Messen der Wissenschaft und das Klagen der Politik kennen wir schon. Wahrscheinlich wird es sogar jemanden geben, die nun ein neues Schulfach ‚Lesen‘ fordert. Aber wie will Politik denn wirklich Schulen und Lehrkräfte entlasten, sodass der Fokus auf die Vermittlung basaler Kompetenzen gelingt?“

In der Studie wurde festgestellt, dass bei einer Fortschreibung der bisherigen Entwicklung, ohne die Coronapandemie ein deutlich besseres Ergebnis zu erwarten gewesen wäre. Dazu der Bundesvorsitzende: „Bei den aktuellen Debatten um die IQB- und jetzt auch IGLU-Ergebnisse wird außer Acht gelassen, wie langsam sich der Betrieb nach der Coronapandemie erholt und wie schwerwiegend die Störung war. Was wir jetzt wirklich brauchen, ist Zeit und die Möglichkeit, Struktur zu schaffen und zu geben. Stattdessen werden weiter immer mehr Aufgaben an Schule gegeben, sodass die effektive Lernzeit immer geringer wird.“

Brand weist außerdem darauf hin, dass es in den letzten Jahren eine große Herausforderung war, im laufenden Schuljahr geflüchtete Kinder in die Lerngruppen zu integrieren: „Es ist essenziell für die Integration der Geflüchteten, sich die deutsche Sprache anzueignen. Lesen und Schreiben zu können sind Schlüssel für das weitere Leben hier. Es ist aber unbestritten, dass es schlicht länger dauert, neu ankommenden Kindern aus anderen Sprachräumen die deutsche Sprache näherzubringen als jenen, die schon hier aufgewachsen sind. Deshalb brauchen wir mehr Lehrkräfte mit Kenntnissen in der Vermittlung von Deutsch als Fremd- oder Zweitsprache. Zudem benötigen wir die Zusammenarbeit in multiprofessionellen Teams, insbesondere auch, um die Kinder mit teils schwerwiegenden Traumata bestmöglich psychologisch zu begleiten.“

Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) ist Mitglied des Arbeitskreises Kinder- und Jugendliteratur (AKJ) und unterstützt das erschienene Positionspapier.

Quellen: Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) vom 16.05.2023 und Verband Bildung und Erziehung (VBE) vom 16.05.2023

Redaktion: Silja Indolfo

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