Die demografische Zukunft von Europa. Wie Regionen sich verändern.

Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung

Strukturebene: Europäische Union

Wenig Nachwuchs, alternde Bevölkerungen und eine zunehmende Zahl von Menschen aus anderen Ländern und Weltregionen werden Europa in den nächsten Jahrzehnten nachhaltig verändern. Die Weichen für diese Entwicklung wurden vor Jahrzehnten gestellt, aber den Höhepunkt der Alterung werden die europäischen Gesellschaften erst in 30 bis 40 Jahren erleben. Europas Bevölkerungszahl dürfte kaum noch weiter zulegen und könnte bald schon mit dem Schrumpfen beginnen.

 

Alle anderen Weltregionen hingegen, mit Ausnahme von Russland, wachsen aufgrund hoher Kinderzahlen vorerst weiter. Doch selbst in Afrika und in anderen wenig entwickelten Gebieten Asiens und Lateinamerikas altert die Bevölkerung, und vielerorts sinken die Kinderzahlen je Frau. Der demografische Wandel ist somit ein globales Phänomen, bei dem Europa lediglich eine Vorreiterrolle spielt.

 

Aber wo zeigt der demografische Wandel am meisten Folgen? Weshalb ist die Jugendarbeitslosigkeit in bestimmten Regionen besonders hoch? Wo ist das Angebot an Arbeitsplätzen so schlecht, dass die Menschen abwandern? Das Berlin-Institut hat die Zukunftsfähigkeit von 285 europäischen Regionen anhand von 24 Indikatoren analysiert und bewertet.

 

Betrachtet werden alle EU-Staaten sowie die Nicht-EU-Nationen Island, Norwegen und die Schweiz. Die Vielfalt der in die Wertung einfließenden demografischen, ökonomischen, sozialen und Umwelt-Daten sorgt für ein differenziertes Bild: Es zählen nicht nur die Wirtschaftsleistung, sondern zum Beispiel auch die Alterszusammensetzung der Bevölkerung, der Beschäftigungsgrad von jungen Menschen, Frauen und Älteren, die Investitionen in Forschung und Entwicklung, aber auch die Belastung der Atmosphäre mit dem Klimagas Kohlendioxid. Von all diesen Faktoren hängt die Zukunftsfähigkeit der Regionen ab.

 

Die Studie verdeutlicht die Folgen des demografischen Wandels und zeigt, dass die einzelnen Staaten nicht nur sehr verschieden von den Veränderungen betroffen sind, sondern auch ganz unterschiedlich mit den Herausforderungen umgehen. Alle Staaten haben Probleme zu lösen. Viele haben gute Ideen. Aber keiner hat eine Patentlösung. Das macht Europa mit seinen vielen Kulturen und Befindlichkeiten zu einem Marktplatz der Ideen, der Erfolge und Misserfolge, auf dem sich alle umschauen sollten.

 

 

Die besten Bewertungen erhalten Regionen im Norden Europas, wo obendrein viele Kinder geboren werden, allen voraus das kleine, ungemein wohlhabende und hoch entwickelte Island. Vor allem die Hauptstädte Stockholm und Oslo schneiden hervorragend ab. Die Schweiz findet sich mit sechs ihrer sieben Regionen unter den ersten zehn Plätzen. All diese Gebiete zeichnen sich durch eine relativ stabile demografische Struktur aus, durch hohe Wertschöpfung, guten Bildungsstand und beeindruckende Beschäftigungsquoten – auch bei älteren Menschen. Vergleichsweise gut stehen darüber hinaus Irland und Großbritannien da, die Benelux-Staaten, Frankreich, der südliche Teil Deutschlands, Österreich und einige wenige nördliche Gebiete in Italien und im Nordosten Spaniens.

 

Am unteren Ende der Wertung finden sich durchwegs entlegene, ländliche Regionen etwa in Süditalien oder Griechenland, sowie vom radikalen Strukturwandel betroffene Gebiete in Bulgarien, Rumänien und Polen. Sie sind von einem Bündel negativer demografischer Erscheinungen betroffen: Von sehr niedrigen Kinderzahlen, einer massiven Abwanderung junger Menschen und einer entsprechend starken Überalterung der verbleibenden Bevölkerung. Diese ist zudem sozial nicht sonderlich gut gestellt.

 

Beim Blick auf die Karte mit der Gesamtwertung wird ein deutliches Ost-West-Gefälle sichtbar. Es zeigt, dass der Übergang von der Staats- in die Marktwirtschaft längst noch nicht abgeschlossen ist. Allerdings wird auch klar, was es bedeutet, Reformen möglichst früh zu beginnen. So haben die baltischen Nationen, die sich als erste von der Sowjetherrschaft losgesagt und gen Westeuropa orientiert hatten, bereits zu den schwächeren westeuropäischen Regionen aufgeschlossen. Ebenso Tschechien und Slowenien, die schon innerhalb des Ostblocks relativ weit entwickelt waren und nach der Wende reformfreudig ans Werk gingen. Andere Länder, die nach dem Fall des Eisernen Vorhangs noch ein Jahrzehnt lang eine politische und wirtschaftliche Krise erlebt haben, wie die neuen EU-Mitglieder Bulgarien und Rumänien, hinken zwangsläufig hinterher.

 

Zusätzlich weisen viele Länder ein internes Nord-Süd-Gefälle auf: Im Norden (Schweden, Finnland, Großbritannien) sowie in Deutschland stehen die südlichen Regionen innerhalb der Länder besser da. In Italien ist es umgekehrt. In jedem Fall dürften dabei auch klimatische Gründe eine Rolle spielen. Während in Skandinavien der hohe Norden besonders unwirtlich ist, bietet der heiße Süden Italiens schwierigere Lebens- und Arbeitsbedingungen als der gemäßigte Norden.

 

Generell finden sich die Erfolgsregionen Europas in einem ovalen Gebiet, das sich von Stockholm und Oslo über London, Paris und den alemannischen Raum mit der Schweiz und Süddeutschland bis ins westliche Österreich erstreckt. Durch Deutschland verläuft nach wie vor die alte Grenze zwischen den Systemen. Sie trennt den hilfsbedürftigen Osten vom Westen, der seinerseits im Süden deutlich besser abschneidet als im Norden. Trotz massiver Subventionen für die neuen Bundesländer ist es dort bisher nicht gelungen, den Anschluss an den Westen zu finden. Während in den meisten Ländern die Hauptstadtregionen zu den dynamischsten und jüngsten gehören, weil dort die großen Unternehmen angesiedelt sind, die immer wieder junge Qualifizierte anlocken, schneiden Rom und erst recht Berlin bestenfalls durchschnittlich ab. Tschechien und Slowenien, selbst die Hauptstadtregionen von Ungarn und der Slowakei haben im Vergleich zu Ostdeutschland bessere Zukunftschancen.

 

Eine Kurzfassung der Studie können Sie unter dem unten stehenden Hyperlink herunterladen.

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