Sozialpolitik

"Steigende Kinderarmut ist ein Skandal!"

Kinder sind ein Armutsrisiko - diese These war bei der gemeinsamen Veranstaltung „Sind Kinder unbezahlbar? - Wege aus der Kinderarmut“ des Caritasverbandes für die Diözese Limburg e.V., Caritasverbandes für den Bezirk Limburg e.V. und des Diakonischen Werks Limburg-Weilburg am 2. März in der Limburger Stadthalle unter den Experten der Talkrunde unbestritten.

04.03.2010

Limburg, 4. März 2010. Was hingegen die möglichen Wege aus der Armut angeht, zeigten sich bei den Rednern auf dem Podium, Prof. Dr. Georg Cremer (Generalsekretär des Deutschen Caritasverbandes), Dr. Jürgen Borchert (Richter am Landessozialgericht Darmstadt), Dr. Wolfgang Gern (Sprecher der Nationalen Armutskonferenz) sowie Dr. Sven-Uwe Schmitz (Hessisches Ministerium für Arbeit, Familie und Gesundheit), größere Differenzen.

Georg Cremer betonte in seinem Vortrag sowie in der Diskussion die Wichtigkeit einer Sozialpolitik, die den Prinzipien der Verteilungs-, Teilhabe- und der Befähigungsgerechtigkeit genügen kann. Der Generalsekretär würdigte in seiner Rede insbesondere das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 2010, das aus dem Verfassungsgrundsatz der Unverletzlichkeit menschlicher Würde in Verbindung mit dem Sozialstaatsgebot ein Grundrecht auf die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ableitet. „Dieses muss ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben ermöglichen“, so Cremer. Teilhabe sei nur in verlässlichen Vereinbarungen zwischen den staatlichen Ebenen zu erreichen, also zwischen Bund, Ländern und Kommunen. „Dabei gehört es zu den Verpflichtungen der Länder, eine angemessene Schulsozialarbeit zumindest in den Schulen in sozialen Brennpunkten beziehungsweise mit einem hohen Anteil von Kindern aus bildungsfernen Familien und solchen mit Migrationshintergrund sicherzustellen.“ Die zähen Stellungskriege im Kampf um die Lastenverteilung lähmten jede Politik der Armutsbekämpfung . 

„Wir müssen doch erst die Ursachen für Armut benennen, erst dann können wir Wege finden, die wirklich Armut bekämpfen“, sagte Richter Jürgen Borchert . „Wir haben in Deutschland kein Problem mangelnder Zahlen und Daten, im Gegenteil - wir ertrinken darin. Die Politik muss endlich die vorhandenen Urteile des Bundesverfassungsgerichts umsetzen! Doch dies alleine wird nicht aus der Kinderarmut helfen.“ Nach Borcherts Ansicht mangelt es an der Erkenntnis über die wesentliche Ursache für die rapide gestiegene und noch immer wachsende Kinderarmut: das falsche Konstrukt der Sozialversicherungssysteme und die verfehlte regressive Steuerpolitik der vergangenen Jahrzehnte. „Seit Ludwig Erhards sozialer Marktwirtschaft bis 1953, in der es einen Spitzensteuersatz von 95 Prozent gab, werden die "kleinen Leute" immer stärker über Gebühr belastet - es erfolgt damit eine Umverteilung von unten nach oben“, kritisiert der Sozialrichter. Zudem habe sich eine Denkweise etabliert, die den Wert der Kindererziehung in der Gesellschaft gering achtet. „Familien erbringen mit ihren Beiträgen für die Sozialversicherungssysteme ein Vielfaches an finanziellen Leistungen zugunsten der Kinderlosen, denn sie sichern so deren Zukunft ab.“ Damit, so Borchert, werde der Grundstein dafür gelegt, dass sich die strukturelle Armut von Familien mit Kindern erhöht und stetig verfestigt.

Wolfgang Gern wandte sich vehement gegen die gerne verwendete These, dass Steuer- und Abgabenpolitik einer Enteignungspolitik gleichkäme: „Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen Steuern und Demokratie, und der wachsende Niedriglohnsektor ist ein wesentlicher Faktor für Armut.“ Im Übrigen gehe es nicht alleine um Regelsätze, sondern um die gesamte soziale Infrastruktur in Deutschland, insbesondere aber auch bei der Bildung von Kindern und Jugendlichen, jungen Menschen ohne Ausbildungsplatz sowie die Ausbildung und Beschäftigung von Jugendlichen mit einem Handicap - hier müsse investiert werden. Und: „Erwerbsarbeit, das ist der Dreh- und Angelpunkt bei der Armutsbekämpfung bei Kindern!“ Der Sprecher der Nationalen Armutskonferenz freute sich über die Aussage des hessischen Ministeriums-Vertreters, Schmitz, der für die zukünftige Landessozialberichterstattung zuständig ist: „Namens der Liga der Freien Wohlfahrtspflege begrüße ich es sehr, dass die Landesregierung nach langer Unterbrechung nun endlich an einem Sozialbericht arbeitet. Ich lade Sie ein, uns an der Erarbeitung zu beteiligen!“ 

Die Präsidentin der Diözesanversammlung, Beatrix Schlausch , sagte in ihrer Rede: „Für mich stellt die steigende Armut der Kinder in einem der reichsten Länder der Welt einen Skandal dar!“ So ist in Deutschland jedes sechste Kind unter sieben Jahren bereits auf Sozialhilfe angewiesen, in Deutschland gelten 15 Prozent der Kinder offiziell als arm, und in Wiesbaden und Frankfurt sind es fast 25 Prozent. Die Präsidentin appellierte an Politik, Gesellschaft und Kirche, für das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum einzutreten: „Es geht bei der Bekämpfung von Armut und insbesondere von Kinderarmut schließlich nicht um Almosen, sondern um das, was im Mittelpunkt steht: die Menschenwürde“, so Schlausch. „Armut macht krank, grenzt aus, macht perspektivlos und ist schlicht entwürdigend. Als Christen haben wir aus unserem Glauben heraus den klaren Auftrag, kritisch Position zu beziehen und gegen Armut und Entwürdigung einzutreten“, betonte Beatrix Schlausch.

Quelle: Diözesan-Caritasverband Limburg

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