DJI-Jahrestagung

Kindheit und Jugend in Europa

Die Lebensverhältnisse von Kindern und Jugendlichen im europäischen Vergleich waren Thema der DJI-Jahrestagung am 5. und 6. November 2024 in Berlin. Dabei ging es um Kinderschutz, Übergangsprozesse, geflüchtete junge Menschen, frühe Bildung, Jugendpolitik, Demokratieförderung und Extremismusprävention.

22.11.2024

Viele Fragen zur Bekämpfung von Armut, zur Stärkung der Gesundheit junger Menschen, zur Gewährleistung eines gewaltfreien Aufwachsens und zur Förderung demokratischer Haltungen beschäftigen nicht nur Politik und Fachpraxis in Deutschland, sondern werden ähnlich intensiv in anderen europäischen Ländern verhandelt. Deshalb ist es aufschlussreich, die Lebensverhältnisse anderer Länder und deren Bedeutung für das Aufwachsen junger Menschen zu beleuchten und die dortige Ausrichtung des Bildungs-, Gesundheits- und Sozialsystems sowie speziell der Kinder- und Jugendarbeit mit den eigenen Strategien zu vergleichen

„Wir starten mit einem Fokus auf den länderübergreifenden Jugendaustausch, erhalten Einblick in die unterschiedlichen Bedingungen des Aufwachsens und Wohlergehens von jungen Menschen aus der Perspektive von UNICEF und diskutieren in sechs thematischen Sessions neben eigenen Forschungsergebnissen die Erkenntnisse aus anderen Ländern“,

beschreibt DJI-Direktorin Prof. Dr. Sabine Walper das Programm der wissenschaftlichen Jahrestagung des Deutschen Jugendinstituts (DJI) am 5. und 6. November in Berlin. Zum Abschluss der Tagung am 6. November diskutiert sie mit Lisa Paus, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, und Mitgliedern des Jugendbeirats des DJI über diese Themen.

Session 1: Kinderschutz im europäischen Vergleich

Fachkräfte im Kinderschutz stehen in allen Ländern vor großen Herausforderungen. Vergleiche verschiedener Systeme und Praxiserfahrungen bieten neue Impulse für die Weiterentwicklung des Kinderschutzes. DJI-Wissenschaftlerin Dr. Susanne Witte präsentiert auf Basis ihrer Forschung, welche Prozesse in England, den Niederlanden und in Deutschland etabliert wurden, um Kindeswohlgefährdungen abzuklären. Dabei geht es um Formen von Gefährdungen, Beteiligung von Familienmitgliedern und Entscheidungen, die am Ende der Abklärung getroffen werden. Auch die Unterschiede zwischen gesetzlichen Regelungen und gelebter Praxis werden analysiert. 

Oftmals stehen Sozialarbeitende vor der Aufgabe, mit Familien zu interagieren, die den Kontakt zu ihnen weder gesucht noch gewollt haben. Hier setzen die Forschungsergebnisse der DJI-Wissenschaftlerinnen Dr. Birgit Jentsch und Teresa Schlossbach sowie von Prof. Dr. Maija Jäppinen von der Universität Helsinki an: Anhand von deutschen und finnischen Daten zeigen sie auf, welche Zugänge Sozialarbeitende wählen, um mit unfreiwilligen Klientinnen und Klienten zu interagieren. Dabei gehen sie vor allem auf hinderliche und förderliche Faktoren, wie etwa die motivierende Gesprächsführung, und die dabei bestehenden Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Ländern ein. Prof. Donald Forrester von der Cardiff University reflektiert auf Grundlage seiner Forschung zur Arbeit mit Familien die Herausforderungen und Möglichkeiten, die Arbeit von Sozialarbeitenden zu verbessern.

Session 2: Übergangsprozesse Jugendlicher und junger Erwachsener im internationalen Vergleich

Im Jugendalter werden die Weichen für die weitere Biografie von jungen Menschen gestellt. Eine besondere Bedeutung haben Entscheidungen, die den beruflichen Werdegang betreffen, oft verbunden mit dem Auszug aus dem Elternhaus und dem Verlassen der Herkunftsregion. Hinzu kommt gegebenenfalls der Entschluss, mit einem Partner oder einer Partnerin zusammenzuleben und eine Familie zu gründen. Eigene Wünsche, Einschätzungen und Fähigkeiten, aber ebenso gesellschaftliche Rahmenbedingungen prägen diese Übergänge.

Prof. Jan Skrobanek von der Universität Bergen in Norwegen berichtet auf der DJI-Jahrestagung über erste zentrale Ergebnisse einer international vergleichenden Studie in Japan, Deutschland, der Schweiz, dem Vereinigten Königreich und Norwegen zu Übergängen von Jugendlichen ins Erwachsenenalter. Der Fokus liegt auf Gemeinsamkeiten und Unterschieden beim Übergang in Arbeit, Partnerschaft und Elternschaft. Vor dem Hintergrund konkreter Projekterfahrungen soll zudem diskutiert werden, welche Möglichkeiten und Grenzen vergleichende Übergangsforschung bietet. Den Übergängen nach Abschluss eines Studiums widmet sich DJI-Wissenschaftler Dr. Till Nikolka. Er stellt Ergebnisse seiner international vergleichenden Studie zu den Auswanderungsabsichten Studierender aus sieben Ländern vor, die je nach Einschätzung der internationalen Anwendbarkeit ihrer Ausbildung variieren.

Session 3: Zusammenarbeit zwischen Zivilgesellschaft und Kommunalverwaltungen bei der Integration von geflüchteten jungen Menschen

Geflüchtete, die beispielsweise aus den Kriegsgebieten des Nahen und Mittleren Ostens und aus der Ukraine nach Deutschland gekommen sind, werden unter anderem von zivilgesellschaftlichen Organisationen und von Freiwilligen unterstützt. Auf kommunaler Ebene haben zivilgesellschaftliche Akteure und Verwaltungen in der zurückliegenden Dekade verstärkt zusammengearbeitet, bestehende Unterstützungsangebote ausgebaut, neue geschaffen und dabei Erfahrungen gesammelt. 

In den Vorträgen geht es sowohl um Forschungsbefunde als auch um Erfahrungen aus der Praxis dieser Zusammenarbeit in Norwegen und Deutschland: Fungisai Gwanzura Ottemöller von der Universität Bergen diskutiert einen gesundheitsfördernden Ansatz für die Arbeit mit jungen Geflüchteten. Sarifa Moola-Nernae vom norwegischen Kvam Municipality Volunteers Centre berichtet über Koordinierungsprobleme, die durch die Vielfalt der migrantischen Bevölkerung mit sehr unterschiedlichen Integrationsbedürfnissen und Norwegens stark dezentralisiertem Integrationssystem entstehen. Sven Mesch vom Referat für Bildung und Sport der Landeshauptstadt München zeigt auf, wie Perspektiven von Migrantinnen und Migranten in das kommunale Bildungsmanagement besser einbezogen werden können. DJI-Wissenschaftler Alexander Kanamüller und Ronald Langner gehen der Frage nach, welche Folgen das Auslaufen von Förderprogrammen zur Integration von neu Zugewanderten haben, und analysieren Rolle und Selbstverständnis der organisierten Zivilgesellschaft bei der Unterstützung von Geflüchteten.  

Session 4: Frühe Bildung in Einwanderungsländern

Frühe Bildung ist ein wichtiges Handlungsfeld der Integration. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, welche Strategien politische Akteure verfolgen, um die Beteiligung von Kindern mit Einwanderungsgeschichte und ihren Familien an frühkindlicher Bildung zu unterstützen. Dies wird anhand zweier Einwanderungsländer Europas beleuchtet.

Die DJI-Forscherinnen Tabea Schlimbach und Dr. Antonia Scholz präsentieren dazu erste Ergebnisse einer Studie des Internationalen Zentrum Frühkindliche Bildung, Betreuung und Erziehung (ICEC) am DJI, die die politische Schnittstelle zwischen Früher Bildung und Integration im föderalen Deutschland untersucht und aufzeigt, welche Policies Bund und Länder anwenden, um die Kita-Teilhabe von Kindern mit Einwanderungsgeschichte zu verbessern. Aktuelle integrationspolitische Entwicklungen in der Kindertagesbetreuung Schwedens stellen Prof. Anne-Li Lindgren von der Universität Stockholm und Prof. Tünde Puskás von der Universität Linköping vor. Dort erhalten Familien mit Kindern, die noch nicht die Vorschule besuchen, neuerdings aktiv ein Platzangebot zur Sprachförderung.

Session 5: Jugendpolitiken im europäischen Raum

Anknüpfend an die jüngsten Entwicklungen von cross-sektoralen Jugendpolitiken und Youth Mainstreaming stellt die „Arbeitsstelle europäische Jugendpolitik“ am DJI ihr Konzept europäischer Jugendpolitik als Spektrum zwischen Ressort- und Lebenslagenpolitik vor. Anhand des Konzeptes diskutieren Dr. Frederike Hofmann-van de Poll vom DJI, Dr. Hannes Käckmeister von der Universität Luxemburg und Etch Kalala von der Universität Rennes, wie jugendpolitische Herausforderungen in Deutschland, Luxemburg und Frankreich sowie in der EU insgesamt wissenschaftlich analysiert und in Politik und Praxis besser verhandelt werden können.

Session 6: Bedarfe in der Demokratieförderung und der Extremismusprävention

Der 17. Kinder- und Jugendbericht konstatiert, dass demokratiefeindliche Tendenzen weit über nationale Grenzen hinaus zu beobachten sind. DJI-Wissenschaftler Andreas Rottach präsentiert vor diesem Hintergrund Daten des European Social Survey zu den Einstellungen junger Menschen zur Demokratie. Empirische Ergebnisse über die politischen Haltungen junger Menschen in Deutschland, ihre Bedürfnisse, politisch relevante Kompetenzen zu erlangen, und ihren Wunsch nach Unterstützung bei Erfahrungen mit Hass im Netz präsentieren die DJI-Wissenschaftlerinnen Laura Meijer und Dr. Pia Sauermann. Basis ist eine Online-Befragung von 1.500 jungen Menschen sowie eine qualitative Befragung von 20 Jugendlichen. Auf dieser Grundlage lassen sich Bedarfslagen in Bezug auf Demokratieförderung, Vielfaltsgestaltung und Extremismusprävention diskutieren und die Möglichkeiten und Grenzen dieser Erkenntnisse für Politikberatung und Praxisentwicklung ausloten.

Weitere Informationen

Programm der wissenschaftlichen Jahrestagung des DJI (PDF: 613 KB)

Quelle: Deutsches Jugendinstitut (DJI) vom 05.11.2024

Redaktion: Zola Kappauf

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