Kinder- und Jugendarbeit

Hamburgs Senat schreibt Konzept „Handeln gegen Jugendgewalt“ fort

Der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg hat im Jahr 2007 ein Konzept für intensives und vernetztes Handeln gegen Jugendgewalt beschlossen.

16.12.2010

Ausgangspunkt war die Einsicht, dass Handeln gegen Jugendgewalt eine überbehördliche Zusammenarbeit erforderlich macht. In seiner Sitzung am 14. Dezember 2010 hat der Senat nun die Fortschreibung des Konzeptes „Handeln gegen Jugendgewalt“ beschlossen. In die weiterentwickelte Fassung sind die Erkenntnisse unterschiedlicher Studien zum Thema Jugendgewalt und die Evaluationen zum Handlungskonzept selbst eingeflossen. Außerdem hat die kritische Auseinandersetzung mit dem Tötungsdelikt am Jungfernstieg im Mai dieses Jahres Schwachstellen – vor allem im Übergang zwischen den zehn Säulen des Handlungskonzeptes – gezeigt. Diese sollen mit der Fortschreibung behoben werden.

Die Bekämpfung von Jugendkriminalität und Jugendgewalt sowie die Gewaltprävention und der Opferschutz haben in Hamburg seit Jahren einen hohen Stellenwert. Das zeigt nicht zuletzt das 2007 entwickelte Senatskonzept „Handeln gegen Jugendgewalt“. Die zehn Säulen des behördenübergreifenden Konzepts reichen von der Früherkennung von gewalttätigem Verhalten im Kindesalter über Maßnahmen zur Gewaltprävention in der Schule bis hin zur effektiven und effizienten Strafverfolgung bei Jugendlichen. Dieses Projekt ist bundesweit einmalig. Die Verbesserungen, die das Konzept in der Zusammenarbeit der Behörden zur Bekämpfung von Jugendgewalt gebracht hat, sind inzwischen wissenschaftlich bestätigt.

Die Experten der Universität Hamburg, die das Konzept im Auftrag der Schulbehörde evaluiert haben, bescheinigen dem Handlungskonzept einen insgesamt stimmigen Aufbau. Zitat: „Die einzelnen Projekte decken das Spektrum der Bearbeitung von Jugendgewalt ab. Dabei werden die jeweils zuständigen Behörden und Organisationen in diesen aufbauenden Ebenen sinnvoll einbezogen und ihre Handlungsoptionen und Kooperationsformen nachhaltig verbessert.“

Seit 1998 führt der Kriminologe Prof. Dr. Peter Wetzels regelmäßig Dunkelfeldstudien zur Jugendgewalt in Hamburg durch. Für die heute vorgestellte Studie wurden Schülerinnen und Schüler der siebten und neunten Klassen sowie deren Lehrkräfte im Schuljahr 2008/2009 befragt.

Die erfreulichste Nachricht: Die Studie verzeichnet im Vergleich zu früheren Jahren deutliche Rückgänge im Bereich der Gewaltdelikte (von 1998 mit 25,3 Prozent auf 2008 mit 20,7 Prozent Opferraten über alle Gewaltdeliktgruppen hinweg). Eine Erklärung für den Rückgang der Zahlen sehen die Forscher darin, dass sich die Schulen verstärkt im Bereich der Gewaltprävention engagieren.

Dazu gehört beispielsweise die konsequentere Ahndung von Schulpflichtverletzungen. Zwar gibt es hier steigende Zahlen an Meldungen. Das aber führen die Forscher auf die erhöhte Aufmerksamkeit zurück, die Schulschwänzern zugedacht wird. Schulschwänzer, die ehemals im Dunkelfeld lagen, sind nun im Hellfeld zu finden. Die aktuelle Untersuchung belegt, im Einklang mit einer Reihe früherer Studien, den engen Zusammenhang von Schulschwänzen und Delinquenz. Konsequenterweise richtet sich ein Teil des Handlungskonzeptes daher auf die Reduzierung von Schulschwänzen.

Die Ergebnisse bestätigen das Bestreben, die behördenübergreifenden Handlungsansätze fortzusetzen und weiterzuentwickeln, um in den Bemühungen gegen Jugendgewalt nicht nachzulassen.

Im Januar 2011 wird die Dunkelfelderhebung fortgesetzt. Mit diesen Daten wird dann erstmals eine Aussage über die Wirksamkeit aller Maßnahmen des Handlungskonzepts möglich sein.  

Die Evaluation hatte die Maßnahmen des Handlungskonzeptes ausgewertet und auf ihre „Hamburg-Tauglichkeit“ hin überprüft. Gesondert durch das Universitätsklinikum Eppendorf evaluiert wurde die Maßnahme „Early Starter“. Auch hier liegen nun die Ergebnisse vor. Darüber hinaus haben die beteiligten Behörden nach dem Tötungsdelikt am Jungfernstieg die Abläufe im Handlungskonzept im Hinblick auf weitere Optimierungsmöglichkeiten geprüft. Die Erkenntnisse aus den Evaluationen sowie der Schwachstellenanalyse sind genauso wie die Ergebnisse der Dunkelfeldstudien zur Jugendgewalt von Prof. Dr. Peter Wetzels (siehe Kasten) in die überarbeitete Fassung des Handlungskonzeptes eingeflossen.

Im Folgenden werden die wichtigsten Ergebnisse der Studien und die daraus resultierenden Neuerungen dargestellt:

Mehr Verbindlichkeit

Wie in der ersten Fassung des Handlungskonzeptes aus dem Jahr 2007 gefordert, sind Schulen inzwischen angewiesen, Gewaltvorfälle bei der Regionalen Beratungs- und Unterstützungsstelle (REBUS), der Beratungsstelle Gewaltprävention und der Polizei zu melden. Außerdem wird heute die Einhaltung der Schulpflicht stärker kontrolliert als noch 2007. Schulen müssen nun bereits nach fünf aufeinander folgenden Fehltagen, in denen kein Kontakt zum Elternhaus aufgenommen werden konnte, REBUS einschalten. Sowohl die Evaluationsergebnisse als auch die Dunkelfeldstudie bestätigen den Erfolg beider Maßnahmen. So sind bei REBUS beispielsweise im Vergleich zum vorherigen Schuljahr im Schuljahr 2009/10 33 Prozent mehr Meldungen zu Schulpflichtverletzungen eingegangen. Von diesen Schülerinnen und Schülern konnten 68 Prozent in den schulischen Regelbetrieb reintegriert werden. In den Fällen der übrigen Schüler werden je nach Fallgestaltung andere geeignete Maßnahmen wie z.B. Einzelunterricht durch REBUS durchgeführt.

Neu ist das Case-Management für Schülerinnen und Schüler, die vom Familieninterventionsteam (FIT) betreut werden und gleichzeitig von der Polizei als Intensivtäter eingestuft sind. Diese werden seit November 2010 zentral durch die Beratungsstelle Gewaltprävention der Schulbehörde betreut. Damit soll das Risiko eines Informationsverlustes bei Schulwechseln verhindert werden, wie er im Fall Elias A. festzustellen war.

Gezielte Interventionen und wirksame Angebote

Für Schülerinnen und Schüler, die durch gewalttätiges Verhalten an Schulen auffallen, kann anders als 2007 auf Grundlage des inzwischen novellierten Schulgesetzes eine Teilnahme an einem sozialen Trainingskurs angeordnet werden. Viele Hamburger Schulen bieten inzwischen erfolgreich Kurse für gewaltauffällige Schülerinnen und Schüler an. So sind beispielsweise von den 250 Schülerinnen und Schülern, die in den vergangenen beiden Jahren ein „Cool in School“-Training erfolgreich absolviert haben, nur drei erneut durch eine schulische Gewalttat aufgefallen.

Darüber hinaus hat die Sozialbehörde zur Komplettierung des Maßnahmenbündels zur gezielten Intervention Schritte eingeleitet beziehungsweise umgesetzt, um zusätzliche intensivpädagogische Betreuungsplätze für gewaltauffällige Jugendliche im Raum Hamburg zu akquirieren.

Frühzeitig handeln

Das Maßnahmenpaket des Handlungskonzepts beschränkt sich jedoch nicht nur auf die Betreuung von Jugendlichen, die bereits Gewaltdelikte verübt haben. Im Programm „Early Starter“ zur Gewaltprävention im Kindesalter wurden in den vergangenen beiden Jahren mehr als 1000 Kinder, die durch aggressives Verhalten in Kindergärten und Grundschulen aufgefallen sind, mit Hilfe einer speziellen Diagnostik identifiziert und in gewaltpräventive Hilfen vermittelt. Die Ergebnisse der Evaluation zeigen zum einen, dass Einrichtungen die angebotenen Kurse insbesondere in problembelasteten Stadtteilen verstärkt nutzen. Zum anderen bestätigen die Einrichtungen, dass das Projekt „Early Starter“ eine große Bedarfslücke für den Umgang mit Kindern, die durch aggressives Verhalten auffallen, geschlossen hat.

Verstärkte Kooperation zwischen den Behörden

Ziel des gesamten Handlungskonzeptes war und ist es, die Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Behörden zu verbessern. Die Evaluation bescheinigt, dass das insgesamt gut gelungen ist. Vor allem die gemeinsamen Fallkonferenzen zu schwer delinquenten Jugendlichen haben den Austausch der Behörden untereinander aber auch mit Jugendhilfeträgern verbessert. Dennoch hatte die Schwachstellenanalyse des Tötungsdelikts am Bahnhof Jungfernstieg einige Optimierungsbedarfe aufgezeigt. So hatten die am Fall Beteiligten beispielsweise zu wenige Kenntnisse über laufende Maßnahmen in Schule und Jugendhilfe oder über strafrechtliche Verfahren.

Zur Vervollständigung des Gesamtbildes des Jugendlichen werden Schulen deshalb nun durch die Staatsanwaltschaft über bestimmte Strafsachen gegen Jugendliche informiert (MiStra-Mitteilungen). Auch Gerichte können zukünftig über den Ausgang der Strafverfahren gegenüber den Schulen berichten.

Prävention in der Breite

Alle Schüler der Klassen 5 bis 8 werden durch fortgebildete Präventionsbeamte der Polizei jährlich zu den Themen Gewaltprävention und Zivilcourage unterrichtet. Das Handlungskonzept aus 2007 sah vor, dieses seit langem bestehende Projekt verbindlich zu machen und auszuweiten. Das ist erfolgt: Im Schuljahr 2008/09 wurden zum Beispiel insgesamt 6.200 Unterrichtsstunden an 186 Schulen durchgeführt. Im Schuljahr 2009/10 erhöhte sich die Zahl der Unterrichtsstunden auf 6.826 und die der erreichten Schulen auf 192. Die Evaluation des Konzeptes hat außerdem gezeigt: Die Zusammenarbeit zwischen Polizei und Schulen gestaltet sich ausgesprochen positiv, die Akzeptanz bei Lehrkräften und Schülern ist hoch. Der Unterricht hat sich in Form und Inhalt bewährt.

Im ersten Handlungskonzept wurde festgelegt, dass die Zahl der Polizeibeamtinnen und -beamten, die den Schulen als Ansprechpartner zur Verfügung stehen (COP 4U), aufgestockt werden soll. Inzwischen wurden zehn zusätzliche Stellen geschaffen. Die Evaluation kommt insgesamt zu einem sehr positiven Ergebnis. Die Aufstockung hat zu einer erhöhten Betreuungsdichte und intensiveren Zusammenarbeit geführt. Somit konnte die gewünschte Verbesserung des gegenseitigen Vertrauens sowie die Absprache gemeinsamer Maßnahmen zwischen den Schulen und der Polizei zur Eindämmung von Jugendkriminalität erzielt werden.

Schnellere Verfahren

Mit den Maßnahmen PROTÄKT, das seit 2007 auf besonders auffällige unter 21 Jahre alte Gewalttäter abzielende Programm und PriJuS, das seit Oktober 2010 in ganz Hamburg beschleunigte Verfahren für 14- bis 16-jährige Schwellentäter anstrebt, sind zwei Programme in das Handlungskonzept aufgenommen worden, die durch eine täterorientierte Verfahrensbearbeitung bzw. durch eine enge Kooperation der am Verfahren beteiligten Stellen dafür sorgen sollen, dass die Strafe in enger zeitlicher Nähe zur Straftat erfolgt. Die Evaluation bescheinigt PROTÄKT, dass die damit verbundenen Ziele erreicht worden sind: Die Zuständigkeitskonzentration gewährleistet, dass die Sachbearbeiter jeweils über alle laufenden Verfahren gegen „ihre“ PROTÄKT-Täter informiert sind. Dadurch können Verfahren zügiger bearbeitet und die Täter schneller angeklagt werden. Zusätzlich wurde durch die Einführung von „Täterakten“ die Verfahrensführung qualitativ verbessert. PriJuS konnte noch nicht evaluiert werden.

Opferschutz

Der Opferschutz hat in fast allen Säulen des Handlungskonzepts eine hohe Bedeutung. Die meisten Maßnahmen haben einen präventiven Charakter. Die Verhütung von Gewalttaten stellt den besten Opferschutz dar. Um dem Opferschutz aber ein besonderes Gewicht zu geben, hat der Senat das Handlungskonzept im Jahr 2008 um die zehnte Säule Opferschutz erweitert.

Gerade für minderjährige und für heranwachsende – nicht selten traumatisierte – Gewaltopfer ist vordringlich, sie durch qualifizierte Beratung und Unterstützung aufzufangen und an die jeweiligen für spezifische Bedarfe kompetenten Opferhilfestellen weiterzuvermitteln.

Ein neues Regelangebot im Sinne einer Lotsenfunktion soll deshalb Opfer in die Lage versetzen, eine wirksame Rechtsberatung zur Ausschöpfung ihrer Rechte im Strafrecht, im Zivilrecht, im staatlichen Opferentschädigungsrecht sowie psychologische und therapeutische Hilfen verstärkt wahrzunehmen. Der Lotse soll den jungen Opfern beispielsweise als erster Ansprechpartner vor und nach einer Anzeige bei der Polizei dienen und etwa in eine passende Opferberatungsstelle vermitteln. Für das neue Angebot werden insgesamt jährlich 75.000 Euro von der Sozial-, der Innen- und der Justizbehörde eingesetzt.

Quelle: Behörde für Soziales, Familie, Gesundheit und Verbraucherschutz der Freien und Hansestadt Hamburg

ik 

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