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Fachkräfteportal vor Ort: Zu Besuch in der JVA Wuppertal-Ronsdorf

Wir schließen gefühlte 25 Türen auf, bevor wir im Büro von Inge Roy angelangt sind. Aber kein Wunder: Schließlich sind wir nicht irgendwo, sondern in der Justizvollzugsanstalt Wuppertal-Ronsdorf. Wer hier einmal drin sitzt, kommt so schnell nicht raus.

13.08.2012

Das Büro von Frau Roy. Auch hier sind Gitter vor dem Fenster, aber dafür erhält sie eine "Gitterzulage".

Der sogenannte "Catwalk" - ein Verbindungsgang zwischen zwei Hafthäusern.

Mit diesem Notruf kann sich Frau Roy im Falle eines Falles Hilfe rufen - war aber noch nie nötig.

Cirka 500 männliche Jugendliche im Alter von 14 bis 24 Jahren verbüßen hier ihre Strafe und werden von 300 Mitarbeitern betreut: von Vollzugsbeamten, Psychologen, Sozialarbeitern, Seelsorgern und von Inge Roy. Frau Roy ist Diplompädagogin und seit vier Jahren im Strafvollzug tätig. Sie arbeitet gerne hier, das merkt man ihr an. Aber sie verspricht mir, mich nach dem Interview auch wieder raus zu lassen.

Fachkräfteportal:
Frau Roy, was machen Sie hier genau in der Justizvollzugsanstalt (JVA) und wie sieht bei Ihnen ein typischer Arbeitsalltag aus?

Inge Roy: 
Einen richtig typischen Arbeitsalltag gibt es bei mir eigentlich nicht. Jeder Tag sieht ein bisschen anders aus. Aber ich fange mal von Anfang an. Ich bin Diplompädagogin und das ist für den Strafvollzug eine neue Berufsgruppe. Die gab es vorher nicht. Mit vier Jahren Berufserfahrung bin ich somit auch die Dienstälteste. Damals hat das Justizministerium beschlossen, dass die freie Zeit für Jugendliche im „Knast“  aktiver gestaltet werden muss, damit die Jungs nicht auf dumme Gedanken kommen.

Fachkräfteportal:
Und was tun Sie nun, damit die Jungs nicht auf dumme Gedanken kommen?

Inge Roy: 
Im Großen und Ganzen bin ich für die Planung und Organisation von Freizeitmaßnahmen zuständig. Ich arbeite mit Gruppen, mit denen ich verschiedene Projekte realisiere. Dafür hole ich mir Unterstützung und baue Netzwerke auf: mit Ehrenamtlichen, mit Externen und Honorarkräften.

Mein Lieblingsprojekt ist Podknast. (Mehr Informationen dazu unter: <link http: www.podknast.de _blank external-link-new-window external link in new>www.podknast.de) Ich war auch an der Entwicklung damals in Siegburg beteiligt und das war schon ein Meilenstein. Dass Jugendliche sich ein Thema mit Bezug zu ihrer Haftsituation ausdenken und dann mit der Videokamera losziehen und einen Film dazu machen, das war nicht leicht durchzusetzen. Bei den Jugendlichen selber ist das großartig angekommen. Ich habe selten ein Projekt erlebt, wo sich die Jugendlichen so toll entwickelt haben, gerade im sozialen Bereich. Sie waren pünktlich, sie haben Verantwortlichkeiten ausgehandelt, sie haben eigenständig gearbeitet, sind von Anfang bis Ende dabei geblieben. Das Projekt ist für die jungen Männer auch ein wichtiges Sprachrohr nach draußen, wo sie auch Feedback bekommen. Mittlerweile gibt es Podknast in allen Jugendstrafanstalten in Nordrhein-Westfalen.

Fachkräfteportal:
Sind Sie ganz frei in Ihrer Gestaltung von Freizeitaktivitäten oder gibt es Maßgaben, nach denen Sie sich richten müssen?

Inge Roy:
Grundsätzlich gilt im Vollzug immer, dass Sicherheit und Ordnung gewährleistet sein muss. Ich könnte jetzt keine Messerwerf-Gruppe einrichten (lacht), aber ansonsten habe ich doch recht freie Hand in der Gestaltung. Ich muss natürlich jeweils ein Konzept erstellen und mir das auch von verschiedenen Instanzen wie Anstaltsleitung, Sicherheit und Ordnung, Haushalt etc. absegnen lassen.

Fachkräfteportal:
Beziehen Sie die Jugendlichen in die Planung der Freizeitaktivitäten mit ein?

Inge Roy:
Durchaus. Wenn ich die Inhaftierten in meiner Gruppe habe, dann kenne ich sie ja auch und dann kommen sie auf mich zu mit Ideen und haben auch die Möglichkeit, Anträge zu stellen. Es gibt aber auch so Highlights, die laufen immer gut wie zum Beispiel unser Rap-Workshop. Da sind die Jungs immer Feuer und Flamme. Oder alles, was mit Sport zu tun hat, kommt gut an. Grundsätzlich muss man sagen, dass die Jugendlichen eigentlich fast alles gerne annehmen, was ihnen die Möglichkeit gibt, aus der Zelle heraus zu kommen und mit anderen Leuten zusammen zu sein.

Fachkräfteportal:
Für einen Außenstehenden ist das ja eher ein nicht ganz gewöhnlicher Ort, um dort seiner täglichen Arbeit nachzugehen. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, ausgerechnet im Justizvollzug anzuheuern?

Inge Roy:
Ich habe bei Prof. Phillip Walkenhorst in Dortmund studiert und er hat mich praktisch auf das Gleis gesetzt. In einem Seminar bei ihm konnte man ein Praktikum im Vollzug machen damals in der JVA Iserlohn. Das hat mich so geprägt, dass ich mein Studium danach darauf ausgerichtet habe, mal im Vollzug zu arbeiten. Prof. Walkenhorst hat mich dann sehr unterstützt bei meinen Bemühungen, bis ich schließlich die Stelle in der JVA Siegburg bekam.

Fachkräfteportal:
Fühlen Sie sich durch Ihr Studium gut gewappnet für Ihren jetzigen Beruf?

Inge Roy:
Nein, überhaupt nicht. Alles, was wir da an Theorie gelernt haben, ist für die Praxis hier eigentlich total uninteressant und überflüssig, von den wissenschaftlichen Anteilen mal abgesehen. Ich hätte viel mehr Praktika machen sollen – auch in unterschiedlichen Bereichen. Und manchmal denke ich, ich hätte vielleicht auch eher mit einer Ausbildung beginnen sollen zum Beispiel im psychiatrischen Bereich, um etwas früher ein bisschen mehr geerdet zu sein. Wenn ich etwas an der Uni gelernt habe, dann mich relativ schnell in einem Riesen-System zu Recht zu finden.

Fachkräfteportal:
Was sind spezifische Herausforderungen Ihrer Tätigkeit?

Inge Roy:
Das Wichtigste hier ist, authentisch zu sein. Die Jugendlichen kommen einem sofort auf die Schliche, wenn man das nicht ist. Die wollen natürlich alles Mögliche von einem wissen. Da muss man sich unter Umständen auch abgrenzen und darf nicht alles preisgeben, aber man muss immer ehrlich dabei bleiben. Dann braucht man Durchhaltevermögen, wenn man etwas erreichen will. Hier geht es ja auch sehr bürokratisch zu. Da verlangt es schon manchmal eines langen Atems und auch einer gewissen Flexibilität. Man muss auch definitiv Spaß daran haben, hier zu arbeiten. 

Fachkräfteportal:
Als junge Frau stehen Sie hier ausschließlich jungen Männern mit einer kriminellen Vergangenheit gegenüber. Ist das manchmal auch schwierig für Sie?

Inge Roy:
Auch das ist geteilt. Zum Teil sind die Jugendlichen einer Frau gegenüber viel höflicher, so darf ich zum Beispiel nichts Schweres tragen. Das ist wirklich noch alte Schule. Auf der anderen Seite ist es sicherlich hin und wieder für mich ein bisschen schwieriger, eine Ansage zu machen. Von einer Frau lassen sie sich schon weniger gerne etwas sagen, als von einem Mann. 

Fachkräfteportal:
Haben Sie in Ihrer vierjährigen Tätigkeit bisher jemals eine bedrohliche oder kritische Situation mit den Strafgefangenen erlebt?

Inge Roy:
Nein, eigentlich nicht. Wir sind aber auch mit einem „Notruf“ ausgerüstet, den wir in kritischen Situationen auslösen können, damit einem sofort geholfen werden kann.

Fachkräfteportal:
Sie werden hier ja auch mit viel Leid konfrontiert. Können Sie das nach Feierabend hinter sich lassen?

Inge Roy:
Das geht zum Glück ganz gut. Ich bin aber auch im Freizeitbereich nicht ganz so viel damit belastet. Natürlich kenne ich die Akten und die Jungs erzählen auch viel und da wird schon klar, die sind alles andere als behütet aufgewachsen. Aber ich kann das in der Arbeit ganz gut ausblenden. Ich werde auch häufig gefragt: „Kannst Du mit Vergewaltigern oder Kinderschändern arbeiten?“ Ja, ich kann. Wenn ich mit den jungen Männern arbeite, dann habe ich den jeweiligen Jugendlichen vor mir und nicht seine kriminelle Vergangenheit.

Fachkräfteportal:
Wo sehen Sie sich beruflich in 10 Jahren?

Inge Roy:
Das ist eine interessante Frage. Also eine Laufbahn in dem Sinne habe ich nicht. Ich habe mit meinem Wechsel nach Wuppertal-Ronsdorf die Fachbereichsleitung „Soziale Förderung“ übernommen und bin im höheren Dienst angesiedelt. Ich möchte erst einmal meinen Fachbereich aufbauen und kann mir vorstellen, mit der Zeit mehr Verantwortung zu übernehmen. Allerdings merke ich doch, dass mir die praktische Arbeit mit den Jugendlichen sehr am Herzen liegt. Im Moment bin ich  mit meiner Arbeit hier so zufrieden und ausgefüllt, dass ich mir da gar keine Gedanken zu machen. Mal sehen, was kommt!

Fachkräfteportal:
Was würden Sie sich von politischer Seite an Unterstützung für Ihre Arbeit wünschen?

Inge Roy:
Was ich mir generell wünschen würde: der Strafvollzug ist Endstation. Hilfen müssen viel früher ansetzen. Anstatt im sozialen Bereich immer mehr zu kürzen und Fachkräfte durch Honorarkräfte zu ersetzen, müsste viel mehr in eine solide Präventionsarbeit investiert werden. Wenn die Jugendlichen erst einmal hier gelandet sind, haben die bereits eine Spirale durchlaufen von Drogen und Gewalt, da hätte es schon vielfache Interventionsmöglichkeiten gegeben. Auch im Bereich des Übergangsmanagement, wenn die Jugendlichen den Strafvollzug verlassen, würde ich mir noch viel mehr Unterstützung für die Reintegration wünschen. Es sind leider viel zu viele, die wieder rückfällig werden. Und auch, wenn ich gerne hier arbeite, es gibt prima Alternativen zum Knast.

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