DVJJ: "Härte als Leitprinzip ist sinnlose Gewalt"

Der Disput zwischen „Kuschelpädagogik„ und „Sanktionspädagogik“ stellt einen Evergreen im Zuge der pädagogischen Wahrheitssuche dar – auch und insbesondere mit Blick auf das Thema Jugendkriminalität. ilja.koschembar@agj.de

12.01.2011

Stacheldraht vor Sonnenuntergang
Quelle: sxc/rzn

 

 

Die Deutsche Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen (DVJJ) nahm die jüngst geäußerten Vorstellungen des Bernauer Jugendrichters Andreas Müller zum Anlass, ein Plädoyer für die besonnene Zusammenarbeit zwischen Jugendhilfe und Justiz und gegen ein „Ende der Geduld“ zu formulieren:
„Die medial gut zu verkaufende Botschaft ist einfach: „Kuschelpädagogik“ bzw. „Extraportion Pädagogik“ werden mit Häme überschüttet, schnell muss Strafe sein und hart, „Kampf“ gegen Kriminalität ist angesagt, den man gewinnen muss. Man könnte hierzu sehr viel sagen, nur drei Punkte seien betont: 

1. Es ist nicht zutreffend, dass die mit dem sogenannten Neuköllner Modell verbundene Forderung nach Verfahrensbeschleunigung ein echtes Novum ist. Es ist richtig und entspricht gängigen Forderungen aus der Fachwelt, dass Verfahren vielfach unnötig lange dauern. Die Zusammenarbeit zwischen den Verfahrensbeteiligten klappt oft nicht optimal, die Personaldecke ist dünn, die Prioritäten unterschiedlich. Hier gibt es zahlreiche Ansatzmöglichkeiten für Beschleunigung. Dies darf allerdings nicht auf Kosten der Rechtsstaatlichkeit gehen und die Möglichkeit verschließen, einen pädagogischen Zugang zu denjenigen zu gewinnen, die nicht nur massive Schwierigkeiten machen, sondern ebenso massive Schwierigkeiten haben. Hier braucht es Flexibilität und manchmal auch einen langen Atem. Im Bereich der leichten bis mittleren Kriminalität, auf die das Neuköllner Modell zielt, ist der Weg, den das Gesetz vorsieht, die Diversion, also im Regelfall gerade der Verzicht auf eine Hauptverhandlung. Die Diversion bietet die Möglichkeit, flexibel und individuell, nötigenfalls mit Nachdruck auf Straftaten zu reagieren. Das „vereinfachte Jugendverfahren“ (§ 76 JGG) fristet aufgrund der Ausweitung der Diversion in der Tat ein Nischendasein in der Realität deutscher Jugendstrafverfahren. Wichtigstes Merkmal dieser Verfahrensform ist, dass die Staatsanwaltschaft nicht an der Gerichtsverhandlung teilnehmen muss und auch sonst von Verfahrensvorschriften abgewichen werden kann. Im Fokus steht dann eine schnelle, abgekürzte Hauptverhandlung – für die meisten einfachen Fälle zu viel, für die schwierigen zu wenig.

2. Einzelne Akteure des Systems sollten sich keinen Allmachtsphantasien hingeben: Es braucht viele und Vieles, um die Jugendkriminalität zu senken, Besonnenheit ist dabei ein guter Ratgeber, Strafe eine notwendige ultima ratio. Den strafenden Richter in das Zentrum des Jugendstrafverfahrens zu stellen, widerspricht dem Gesetz und der Vernunft. Aus gutem Grund ist das Gesetz auf Zusammenarbeit zwischen Jugendhilfe und Justiz angelegt, auf den Vorrang informeller Erledigungsformen, auf, ja auch auf Geduld, um den Titel des Buches von Frau Heisig „Das Ende der Geduld“ aufzugreifen. Wer am Ende seiner Geduld ist mit jungen Menschen, ist in einem Beruf, der ihn mit schwierigen jungen Menschen konfrontiert, am falschen Platz.

3. Selbstverständlich müssen Jugendlichen Grenzen gesetzt werden, das bestreitet kein vernünftiger Mensch. Das Problem ist, dass Grenzen nur dann Sinn machen, wenn es für diejenigen, denen sie aufgezeigt werden sollen, attraktiv ist, dazuzugehören und sich innerhalb der Grenzen zu bewegen. Druck allein erzeugt Gegendruck, Härte als Selbstzweck ist reine Machtausübung. Wenn es keinen Zug in die Mitte der Gesellschaft gibt, kein Motiv dazuzugehören und keinen realistischen Weg, dorthin zu kommen, dann verkommen Druck und Härte zu Gewalt, bei der der Stärkere gewinnt – eine Lektion, die die Jugendlichen, um die es hier geht, zur Genüge kennen.“

Quelle: Deutsche Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen (DVJJ) e.V.

ik

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