Themenspecial

Digitalisierung – Perspektiven für Professionsentwicklung und Qualifizierung in der sozialen Arbeit

Die Fachpraxis der sozialen Arbeit ist noch nicht ausreichend auf den digitalen Wandel vorbereitet. Zugleich ist dieser das zentrale Thema in allen Arbeitsbereichen. Im Rahmen der Fachtagung "Digitalisierung in der Kinder- und Jugendhilfe" bilanzierten die Teilnehmenden die Konsequenzen der Digitalisierung aus der Perspektive der Fachkräfte und identifizierten Anforderungen an die Fort- und Weiterbildung. Der folgende Beitrag dokumentiert die zentralen Ergebnisse der Abschlussdiskussion.

21.02.2017

Die vom Fachkräfteportal der Kinder- und Jugendhilfe ausgerichtete Fachtagung nahm den aktuellen gesellschaftlichen Prozess der Digitalisierung in den Blick und fragte nach Herausforderungen und Chancen, die sich aus unterschiedlichen inhaltlichen und strukturellen Perspektiven ergeben. Bei der Abschlussdiskussion zogen Niels Brüggen (JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis e.V.), Kristin Narr (Medienpädagogin), Sabine Depew (Diözesan Caritasverband für das Erzbistum Köln e.V.) und Dr. Herbert Wiedermann (Freie und Hansestadt Hamburg) Bilanz und blickten in die Zukunft: Welche Entwicklungen erwartet die Kinder- und Jugendhilfe in den kommenden Jahren und welche Konsequenzen haben diese für die Professionsentwicklung und Qualifizierung in der sozialen Arbeit?


Bild: Kerstin Boller

Das zunächst ernüchternde Resümee: Die Fachpraxis der sozialen Arbeit ist noch nicht ausreichend auf den digitalen Wandel vorbereitet. Die aktuelle Flüchtlingsproblematik erzeugt zugleich eine zusätzliche Dynamik. So steht die Kinder- und Jugendhilfe noch vor vielen ungeklärten Fragen – was ethische Aspekte angeht, aber auch hinsichtlich des Datenschutzes.
 

Technologische Innovation treibt Professionsentwicklung voran

Ob in der Forschung, der Medienpädagogik, auf Verbandsebene oder in der Verwaltung – die Diskutanten bestätigen: In allen Arbeitsfeldern ist die Digitalisierung das zentrale Thema, angefangen bei den Mitarbeitenden. So wies Dr. Herbert Wiedermann auf die Herausforderung hin, geeigneten Nachwuchs zu finden – auch im Recruiting spielen digitale Kompetenzen eine wesentliche Rolle. "Wer hat denn Lust, wenn er in seinem Privatleben für die unterschiedlichsten Anforderungen das Smartphone nutzt, in einer Behörde zu arbeiten wo Bleistift und Papier und Datenbanksysteme aus den 90ern praktiziert werden?" Die öffentliche Verwaltung müsse sich modernisieren um attraktiv für Bewerber zu bleiben. Gleichzeitig wird von den Fachkräften zunehmend mediale Kompetenz erwartet. So lautete auch eine Forderung von Niels Brüggen, in der Fort- und Weiterbildung müsse die Informationstechnik zu einem integrierten und selbstverständlichen Bestandteil werden.

Digitalisierung erfordert neue Inhalte der Qualifizierung

Neben der generell wachsenden Anforderung an Fachkräfte mit den medialen Entwicklungen Schritt zu halten gibt es auch konkrete Disziplinen, in denen sich die Anforderungen an Mitarbeiter verändern und damit neue Qualifizierungsfelder hervorbringen. Ändert sich beispielsweise die gesetzliche Lage hinsichtlich des Datenschutzes müssen Träger qualifiziert sein, um entsprechende Datenschutzanforderungen erfüllen zu können. Datenschutz wird damit ein komplexeres Thema in der Ausbildung werden.

Darüber hinaus müssen Qualifizierungsprozesse es aber auch Fachkräften ermöglichen, eine Haltung zu technologischen Entwicklungen und ihren Konsequenzen zu entwickeln und einzunehmen. Immer wieder wurde – sowohl von den Diskutanten als auch aus dem Publikum – die Forderung laut, Kinder- und Jugendhilfe müsse politischer werden und etwa Widerstand gegen datensammelnde Unternehmen leisten. Als Arbeitsfeld müsse sie eine kritische Haltung definieren und sich stärker vernetzen. Nur wenn sie sich politisiere, könne sie eine kritische Masse erreichen.

Fatalismus begegnen, sensibilisieren, ausprobieren

Ein grundsätzlicher Konflikt, der sich immer wieder zeigt: Fachkräfte sollen "da sein wo ihr Klientel ist“ – also gegebenenfalls auch Tools nutzen, die sie privat oder aufgrund ethischer Überzeugungen eigentlich ablehnen, um Jugendliche überhaupt erreichen zu können. Gleichzeitig haben sie in ihrer beruflichen Rolle die Verantwortung, problematische Medien nicht zu nutzen, um auch bei den Jugendlichen ein Bewusstsein zu wecken und zum Umdenken anzuregen.

Wie können sie also ihr Klientel für rechtliche oder ethische Problemstellungen sensibilisieren, ohne sich jugendrelevanten Medien komplett zu verweigern? Kristin Narr spricht sich dafür aus, Alternativen anzubieten und diese gemeinsamen mit Jugendlichen auszuprobieren. Beim gemeinsamen Entdecken alternativer Tools, könne man kritische Aspekte der Massenmedien problematisieren. Sabine Depew fordert, man müsse Fachkräfte dazu ermutigen neue Apps, Plattformen und Tools einfach auszuprobieren – "erst wer sich auskennt kann mitmachen".

Das Fachkräfteportal der Kinder- und Jugendhilfe in 10 Jahren

Zum zehnjährigen Bestehen des Internetprotals nahmen die Teilnehmenden zum Ende der Diskussion auch konkrete Perspektiven für das Fachkräfteportal selbst in den Blick: Welche Rolle kann das Portal in Zeiten des digitalen Wandels einnehmen und wo schlummern Chancen für eine Weiterentwicklung?

Eine Möglichkeit: offene bzw. freie Bildungsressourcen verstärkt anzubieten oder auch das zur Verfügung stellen kleiner Lehrvideos. Insbesondere für die Fort- und Weiterbildung bieten (audio-) visuelle Informationsangebote große Entwicklungsmöglichkeiten für das Portal. Die Social-Media-Aktivitäten bieten die Möglichkeit Vernetzung und fachlichen Austausch zu intensivieren. Über Blogs können Perspektiven aus Wissenschaft und Praxis dar- und zur Diskussion gestellt werden. Aber auch die Bedeutung "klassischer" Zugänge zu Information wurde hervorgehoben, etwa der Newsletter.

Nicht zuletzt ist das Fachkräfteportal der Kinder- und Jugendhilfe auch der Ort, an dem Fachkräfte sich differenziert über aktuelle Entwicklungen im Themenbereich Digitalisierung und Mediatisierung informieren können. Als Informationsportal hat es sich immer auch in der Rolle gesehen, die Entwicklung der Informationsgesellschaft und ihrer Konsequenzen für die Kinder- und Jugendhilfe fachlich zu reflektieren und Orientierung für die digitale Medienanwendung in der Fachpraxis der sozialen Arbeit zu geben.  

Das Fachkräfteportal der Kinder- und Jugendhilfe veranstaltete am 05./ 06. Dezember 2016 die Fachtagung "Digitalisierung in der Kinder- und Jugendhilfe" in Berlin. Die Veranstaltung thematisierte medienpädagogische, professions- und organisationsbezogene Fragestellungen genauso wie jugend-, bildungs- und netzpolitische Standpunkte.

Zentrale Aspekte der Diskussion werden in Form einer losen Abfolge von Fachbeiträgen unter  www.jugendhilfeportal.de/themenspecial dokumentiert und für die weitere fachliche Auseinandersetzung zur Verfügung gestellt.

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