Sozialpolitik
Aktuelle Analyse - Beschäftigten im Sozialbereich droht Altersarmut
Drohende Altersarmut ist nicht nur die Folge von politischen Reformen, sondern auch von problematischen Beschäftigungsbedingungen im Sozialbereich. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Analyse von Forschern des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung.
04.03.2015
Ob Geldsorgen den Ruhestand verhageln, hängt zu einem wesentlichen Teil von der Erwerbsbiografie ab: Einkommen, Arbeitszeit, Auszeiten wegen familiärer Verpflichtungen, Arbeitslosigkeit oder Krankheit. Je stärker der eigene Lebenslauf gegenüber dem Modellfall des Rentners abfällt, der 45 Jahre ohne Unterbrechung durchschnittliche Rentenbeiträge geleistet hat, desto knapper fällt die Rente aus. Und gerade wer wenig verdient oder länger ohne Job ist, wird die Lücke auch kaum durch private Vorsorge schließen können – schon während des Berufslebens ist das Geld zu knapp, um nennenswerte Beträge für eine Riesterrente abzuzweigen.
Altersarmut kann potenziell Menschen in allen Wirtschaftszweigen treffen. Groß ist das Risiko aber vor allem dort, wo gut bezahlte und unbefristete Vollzeitstellen heute eher die Ausnahme als die Regel sind. Das gilt gerade für den Sozialsektor, wie die Analyse der WSI-Forscher Dr. Florian Blank und Susanne Schulz deutlich macht. Dabei gelten die Wirtschaftsfelder Erziehung, Gesundheit und Pflege als besonders zukunftsträchtig (siehe auch Grafik 1; Link unten).
Obwohl die Bedeutung von Kinderbetreuung und der Wachstumsbranche Gesundheit sowie der demografisch bedingt steigende Bedarf an Plätzen für die Altenbetreuung stets betont würden, liege bei den Beschäftigungsverhältnissen vieles im Argen, schreiben die Wissenschaftler. Einsparungen und Privatisierungen prägten das Bild. Die Ökonomisierung des sozialen Sektors äußere sich in Arbeitsverdichtung und einem wachsenden Anteil untertariflich bezahlter Jobs. Der traditionellen Arbeitsteilung entsprechend sind vor allem Frauen in Betreuungs- und Pflegeeinrichtungen beschäftigt; in Arbeitsverhältnissen, die meist atypisch sind und häufig als prekär bezeichnet werden müssen, so Blank und Schulz. So sind beispielsweise Minijobs und Teilzeitarbeit sehr stark verbreitet.
Ausreichende oder gar zufriedenstellende Rentenansprüche erwüchsen aus solchen Jobs selten, warnen die Forscher. Hinzu kommt: Weil Stress und Belastungen im Arbeitsalltag von Sozialbetrieben zunehmen, ist eine längere Lebensarbeitszeit für einen erheblichen Teil der Beschäftigten keine realistische Option. Viele äußern Zweifel, ob sie ihren Job bis zur regulären Altersgrenze durchhalten.
Ärztinnen und Ärzte haben der Untersuchung zufolge mit ähnlichen Arbeitsbelastungen zu kämpfen wie das Pflegepersonal. Wegen des besseren Verdienstes und ihrer Möglichkeiten, auch außerhalb des Klinikbetriebs hohe Einkommen zu erzielen, dürfte Altersarmut bei ihnen jedoch eine untergeordnete Rolle spielen. Im Fall langjähriger Teilzeitarbeit stiegen jedoch auch hier die Risiken.
Um Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Sozialbereich vor Altersarmut zu schützen, müssten Blank und Schulz zufolge drei Wege beschritten werden:
- Eine größere Reichweite von Tarifverträgen, etwa durch Allgemeinverbindlicherklärungen, würde Löhne und Rentenansprüche prekär Beschäftigter erhöhen.
- Die weit verbreitete Teilzeit- und geringfügige Beschäftigung müsste zurückgedrängt werden, etwa durch bessere Möglichkeiten zur Kinderbetreuung und andere Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Job und Familie.
- Verbesserte Arbeitsbedingungen – "gute Arbeit" – würden die Voraussetzungen für einen längeren Verbleib im Beruf schaffen.
Darüber hinaus sei die allgemeine Rentenpolitik gefragt: Die Absenkung des gesetzlichen Rentenniveaus ließe sich zurücknehmen; Zeiten ohne Erwerbseinkommen oder mit Niedrigverdienst könnten rentenrechtlich aufgewertet werden. Gefragt seien "eine Politik im Sozialsektor, die dem Stellenwert des Sektors und der Arbeit der dort Beschäftigten angemessen ist, und eine Rentenpolitik, die wieder eine substanzielle Zielvorstellung definiert und verfolgt".
Quelle: Hans-Böckler-Stiftung vom 24.02.2015
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