Bildungsbericht 2022

Weniger Neuzugänge, mehr Passungsprobleme, anhaltende soziale Ungleichheiten

Das Soziologisches Forschungsinstitut Göttingen (SOFI) e.V. hat im nationalen Bildungsbericht „Bildung in Deutschland 2022“ den Bereich der beruflichen Bildung bearbeitet und stellt zentrale Ergebnisse vor: Mit 890.000 Neuzugängen zu den drei Sektoren der beruflichen Bildung ist in 2021 ein neuer Tiefpunkt erreicht worden.

04.07.2022

Vor allem im dualen System sind Nachfrage und Angebot deutlich gesunken und passen immer weniger zueinander. Probleme der Fachkräftesicherung stellen sich trotz zunehmender Zahl an Anfänger:innen zudem im Bereich Gesundheit, Erziehung und Soziales. Darüber hinaus sind die Chancen auf eine erfolgreiche Berufsausbildung nach wie vor sehr ungleich nach Schulabschluss und Nationalität verteilt.

Der deutliche Rückgang des Angebots, in stärkerem Maße noch der Nachfrage nach dualen Ausbildungsplätzen insbesondere in den letzten zwei Jahren, verweist auf erhebliche Unsicherheiten sowohl auf Seiten der Betriebe als auch der jungen Erwachsenen im Zuge der Corona-Pandemie.

„Eine große Herausforderung wird darin bestehen, wieder mehr Betriebe und Bewerber:innen für die duale Ausbildung zu gewinnen, da sonst die Gefahr besteht, dass sich der Ausbildungsmarkt wie schon nach der Finanzkrise nicht mehr gänzlich erholt“, kommentierte Prof. Dr. Susan Seeber (Universität Göttingen / SOFI) die aktuellen Entwicklungen.

Als Mitglied einer unabhängigen Gruppe von Wissenschaftler:innen hat sie den Bildungsbericht 2022 mit erstellt. Zudem haben Probleme der fehlenden Passung zwischen Ausbildungsplätzen und Bewerber:innen wieder zugenommen, am stärksten in Niedersachsen und Rheinland-Pfalz. Dies verweist darauf, dass allein Maßnahmen, die auf eine Ausweitung des Angebots an Ausbildungsstellen setzen, wie die im Koalitionsvertrag aufgeführte Ausbildungsplatzgarantie, nicht reichen werden, um Fragen der Leistungsfähigkeit und Fachkräftesicherung angemessen zu begegnen.

„Insbesondere die Zunahme der berufsfachlichen Passungsprobleme macht mehr als deutlich, wie wichtig Berufsorientierungsmaßnahmen wie Informations- und Beratungsangebote oder Betriebspraktika, die in den letzten beiden Jahren nur bedingt stattfinden konnten, für den Übergangsprozess sind“, erläuterte Prof. Susan Seeber.

Probleme der Fachkräftesicherung stellen sich zudem in Berufen des Schulberufssystems. Trotz des Anstiegs der Anfänger:innenzahlen im Bereich Gesundheit, Erziehung und Soziales, welcher nach Bundesland variiert und z.B. in Niedersachsen unterdurchschnittlich ausfällt, bleiben die Zuwächse in diesen Berufen noch immer deutlich hinter der fortbestehenden Fachkräftenachfrage zurück.

„Die Herausforderung besteht zum einen darin, die Berufsfelder attraktiver zu gestalten, um die Zahl der Bewerber:innen zu erhöhen. Zum anderen ist auch mehr qualifiziertes Bildungspersonal für die Ausbildung des Fachkräftepersonals von morgen bereitzustellen. So besteht insbesondere in den Bereichen der Sozialpädagogik und Pflege ein erheblicher Bedarf an Lehrkräften und Praxisanleitungen“, betonte SOFI-Forscherin Dr. Maria Richter, die an der Erstellung des vom SOFI verantworteten Kapitels „Berufliche Ausbildung“ mitgewirkt hat.

Anhaltende soziale Ungleichheiten beim Ausbildungszugang verweisen zudem auf ungenutzte Ausbildungspotenziale. So ist die Teilhabe an beruflicher Bildung in Deutschland vor allem mit Blick auf das Vorbildungsniveau und die Nationalität der Ausbildungsinteressierten weiterhin sehr ungleich verteilt: Junge Erwachsene mit maximal Erstem Schulabschluss und Personen nichtdeutscher Staatsangehörigkeit gelingt nicht nur seltener der Übergang in eine vollqualifizierende Ausbildung, sie erleben auch überproportional häufig Ausbildungsabbrüche.

„Zwar gelingt zwei Drittel derjenigen, die zunächst ihre Ausbildung vorzeitig beendet haben, die Wiedereingliederung in institutionelle Bildung“, so Dr. Maria Richter, „gleichzeitig erlebt ein großer Teil der jungen Erwachsenen aber auch brüchige Bildungsverläufe mit der Gefahr, gänzlich aus dem formalen Bildungsprozess auszusteigen und als Ungelernte in den Arbeitsmarkt zu münden“.

Trotz widriger Umstände in den letzten zwei Jahren konnten Prüfungen überwiegend durchgeführt werden. Herausforderungen haben sich Ausbildungsabsolvent:innen allerdings vermehrt beim Übergang in den Arbeitsmarkt gestellt, ersichtlich an den leicht sinkenden Beschäftigungsquoten im ersten Jahr der Corona-Pandemie. Dies ist unter anderem auch bedingt durch die rückläufige Übernahmequote bei dual ausgebildeten jungen Erwachsenen zwischen 2019 und 2020.

„Es bleibt daher zu beobachten, welche Wirkungen und Konsequenzen die Corona-Pandemie mittel- und längerfristig für die berufliche Bildung haben wird“, resümierte Prof. Susan Seeber. „Eine offene Frage ist dabei ebenso, ob sich Lerndefizite aufgrund der pandemiebedingten Schul- und Betriebsschließungen auf den Ausbildungserfolg auswirken werden“.

Über den nationalen Bildungsbericht

Der Bildungsbericht Bildung in Deutschland erscheint seit 2006 alle zwei Jahre und wird von einer unabhängigen Autor:innengruppe unter Federführung des Deutschen Instituts für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation herausgegeben, an der das SOFI von Anfang an beteiligt war.

Quelle: Soziologisches Forschungsinstitut Göttingen (SOFI) e.V. vom 23.06.2022

Redaktion: Pia Kamratzki

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